Umbau und Sanierung eines Dorfgemeinschaftshauses
Das Rathaus der Gemeinde Schorfheide in Finowfurt hat seinen Sitz in einem opulenten alten Industrie-Mühlengebäude. Die früher in der Mühle beschäftigten Gesellen logierten seit den 1930er-Jahren in einem Fachwerkhaus, das aus diesem Grund den Namen „Müllers Ruh“ erhielt. Es hat schon lange nicht mehr seine ursprüngliche Funktion inne, stand jedoch nie leer und wurde nach 1990 unter anderem als Sitz der Gemeindeverwaltung genutzt.
Allerdings hatte sich in dem zentral gelegenen, ortsprägenden Gebäude der Hausschwamm eingenistet. Entsprechend aufwendig war die Sanierung. „Finanziell war das für eine 5.000-Seelen-Gemeinde nicht zu stemmen“, sagt Manuela Mathäs, projektleitende Architektin der Spreeplan Projekt UG, die als Generalplanerin für das Bauvorhaben fungiert. Das war nur mithilfe öffentlicher Fördermittel machbar.
Öffentlich gefördert
900.000 Euro erhielt Schorfheide aus dem EU-Leader-Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums. Aus dem Entwicklungsbudget des Landkreises Barnim flossen 980.000 Euro. Weitere 300.000 Euro stammten aus Schlüsselzuweisungen des Landes Brandenburg. Mit diesem finanziellen Rückhalt gelang ein ehrgeiziges Sanierungsprojekt: Das anderthalbstöckige Gebäude mit einer Grundfläche von 200 Quadratmetern wurde in ein Dorfgemeinschaftshaus mit 410 Quadratmeter Nutzfläche auf zwei Etagen verwandelt. Ein neuer Anbau mit Aufzug auf einer Längsseite erweitert es um einen barrierefreien Zugang. „Wir haben bei der Sanierung ausschließlich auf ökologische Materialien gesetzt“, so Architektin Mathäs, die auf Baubiologie und Bauschäden spezialisiert ist.
Um zwei vollwertige Geschosse zu erhalten, wurde das Dach um einen Meter angehoben. Das neue Holzdach wird von einer Stahl-Rahmenkonstruktion getragen, die durch das Erdgeschoss hindurch auf neun Meter tiefen Mikrobohrpfählen abgestützt wird. Das Dach ist in Brettsperrholzbauweise ausgeführt, mit Holzweichfaserplatten gedämmt und gemäß einer Vorgabe des Denkmalschutzes mit Bitumenschindeln gedeckt.
Auf diese Weise entstand im Obergeschoss ein großer, stützenfreier Multifunktionsraum, der für Versammlungen, Trauungen, Seminare, Vorträge oder kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. Dank des barrierefreien Zugangs sind auch Veranstaltungen für Seniorinnen und Senioren geplant. Im Erdgeschoss sind die Räume kleiner und beherbergen diverse Büros der Gemeinde sowie ein Trauzimmer.
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Das ortsprägende Fachwerkhaus wurde aufwendig saniert und ist nun als Dorfgemeinschaftshaus Treffpunkt für den ganzen Ort2
Der neue Anbau für den Aufzug setzt mit seiner Stahlkonstruktion einen Kontrast zum Bestands-Fachwerkbau3
Der Blick in den alten Flur vor der Sanierung: Abgehängte Mineralfaser-Decken, Wandpaneele aus Holzverbundwerkstoffen, Lacke und Raufasertapeten4
Einladend: Der neue Flur mit tragenden Sichtfachwerk- und leichten Strohbauplattenwänden, die mit Kalkfarben gestrichen sind
Konsequent ökologisch
Das Fachwerk wurde zunächst in Zimmermannsarbeit saniert und vom Hausschwamm befreit. Die Außenwände erhielten eine mineralische Innendämmung in Form diffusionsoffener Platten aus expandierten Perliten. So bleiben Mauerwerk und Holzfachwerk außen sichtbar – man muss kein Vertreter der Denkmalschutzbehörde sein, um diese Maßnahme zu begrüßen.
Im Sockelbereich des Erdgeschosses dienen Schaumglasschotter und Blähglasgranulat aus recyceltem Altglas als feuchteresistente und kapillarbrechende Wärmedämmschicht. Auch bei der Gestaltung der Innenräume kommen ausschließlich gesunde Baustoffe wie Strohbauplatten, Lehm- und Kalkputze, Holzdielen und Sumpfkalkfarben zum Einsatz.
Innovative Klimadecke
380 der insgesamt 410 Quadratmeter Nutzfläche sind mit Deckenheizungen ausgestattet, sogenannten Natur-Klimadecken aus Lehm des Herstellers ArgillaTherm. Die junge Firma aus Göttingen ist ein Verbund verschiedener Industrieunternehmen und dem Land Niedersachsen. Ihr Gründer und Geschäftsführer Axel Lange hat über die Jahre hinweg mit seinem Team den Tonmineralgehalt der ArgillaTherm-Module immer mehr erhöht – auf inzwischen 55 Prozent. Klassischer Baulehm hat deutlich weniger.
Pro Quadratmeter könne ein Argillatherm-Modul 1,7 Liter Wasser aufnehmen und zeitverzögert wieder abgeben – über 20-mal so viel wie herkömmlicher Lehm. Die Feuchteregulierung geschehe zudem sehr schnell. Das trägt zu einem guten Raumklima und ermöglicht eine effiziente Kühlung im Sommer. „Wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, ist eine gute Temperierung und Feuchteregulierung besonders wichtig“, begründet die Architektin die Entscheidung für die Lehmmodule.
Zur Kühlung werden die Klimadecken im Finowfurter Fachwerkhaus derzeit (noch) nicht eingesetzt – zur Abführung der Wärme wäre entweder eine Wärmepumpe oder ein Grundwasser-Kühlkreislauf nötig.
Die installierte Gas-Brennwerttherme bedient lediglich den Heizwärme-Kreislauf. Aufgrund der großen Verteilflächen arbeitet sie mit einer niedrigen Vorlauftemperatur und damit energiesparend. Auf den Einbau einer automatischen Lüftungsanlage konnte die Planerin dagegen verzichten. Die Lüftung des Gebäudes erfolgt frei.
Durch das Anheben des Holzdachs ist ein großer, offener Saal entstanden. Das Dach trägt eine sichtbare Stahlrahmenkonstruktion
Im Obergeschoss wurden die Module der Klimadecken direkt auf die Brettsperrholzdecke geschraubt. Im Erdgeschoss war dazu eine Unterkonstruktion erforderlich
Im nächsten Schritt wurden die Heizleitungen eingebaut. Danach erfolgt der Auftrag einer dünnen Schicht Lehmputz sowie der Anstrich mit Sumpfkalkfarbe
In den ökologisch hochwertig sanierten Räumen im Erdgeschoss finden unter anderem ein Trauzimmer, der Finowfurter Ortsvorsteher, der Ortschronist, der Verein Förderkreis Burkina Faso und eine kleine Bibliothek Platz
Optisch und ökologisch ist das neue Dorfgemeinschaftshaus ein Vorzeigebeispiel
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Durch das Anheben des Holzdachs ist ein großer, offener Saal entstanden. Das Dach trägt eine sichtbare Stahlrahmenkonstruktion6
Im Obergeschoss wurden die Module der Klimadecken direkt auf die Brettsperrholzdecke geschraubt. Im Erdgeschoss war dazu eine Unterkonstruktion erforderlich7
Im nächsten Schritt wurden die Heizleitungen eingebaut. Danach erfolgt der Auftrag einer dünnen Schicht Lehmputz sowie der Anstrich mit Sumpfkalkfarbe8
In den ökologisch hochwertig sanierten Räumen im Erdgeschoss finden unter anderem ein Trauzimmer, der Finowfurter Ortsvorsteher, der Ortschronist, der Verein Förderkreis Burkina Faso und eine kleine Bibliothek Platz9
Optisch und ökologisch ist das neue Dorfgemeinschaftshaus ein Vorzeigebeispiel
Treffpunkt für Menschen – und Tiere
„Ich wünsche mir, dass das Haus nun auch mit Leben gefüllt wird“, so Bürgermeister Wilhelm Westerkamp bei der feierlichen Eröffnung des Dorfgemeinschaftshauses Mitte März 2024. Die Voraussetzungen, dass „Müllers Ruh“ seine neue Rolle erfüllen wird, sind sehr gut: Die barrierefreien Räume wirken hell und großzügig, das Raumklima lässt nichts zu wünschen übrig. Führungen und ein Tag der offenen Tür sowie erste Trauungen im neuen Saal bringen den Einheimischen das Haus nahe.
Nicht zuletzt hat auch die Vogelwelt in dem Gebäude ihre neue, alte Heimat wiedergefunden: Mauersegler, Spatz und Schwalbe mussten während der Sanierung zeitweise umquartiert werden. Zum Frühjahr 2023 wurden neue Nistkästen für 96 Mauerseglerpaare angebracht. Sie wurden gut angenommen – wenngleich mit Hilfe eines Tricks: Es waren Vogelstimmen vom Band, welche die Vögel nach ihrer Rückkehr aus Afrika zurück zu „Müllers Ruh“ lockten.
Baudaten
Sanierung des Dorfgemeinschaftshauses in 16244 Schorfheide-Finowfurt (Brandenburg), Hauptstraße 116
Baujahr | vermutlich um 1890 | 1934 erster Umbau |
Sanierung/Umbau | Herbst 2019 (Abbrucharbeiten) bis März 2024 (offizielle Eröffnung) |
Grundfläche | 9 x 23 m |
Nutzfläche | 410 m² auf 2 Etagen |
Außenwände (von außen nach innen) | Fachwerkkonstruktion | Ausfachung Sichtmauerwerk | Schilfrohr-Putzträger | Ausgleichsputz | Perlite-Innendämmung | Lehm-Ober- und -Unterputz | Außenwände neuer Anbau: EG Ziegelmauerwerk, außen gedämmt mit Holzweichfaserplatten, OG Stahlkonstruktion |
Innenwände | Sichtfachwerk mit Mauerwerk bzw. Ziegelmauerwerk | leichte Trennwände aus Strohbauplatten | jeweils Lehm- oder Kalkputz sowie Sumpfkalkfarben |
Boden/Decke | EG im Sockelbereich Schaumglasschotter und Blähglasgranulat | ansonsten Lehmschüttung (Bestand) | Lehm-Klimadecken | Bodenbelag: Holzdielen |
Dach | neue tragende Stahlrahmenkonstruktion | Brettsperrholzelemente | Holzfaserdämmung | Eindeckung Bitumenschindeln |
Heizung/Kühlung | Gas-Brennwerttherme | Deckenflächenheizungen mit Lehm-Klimadecken | Kühlung nachrüstbar |
Projektleitung | Dipl.-Ing. Arch. Manuela Mathäs, Spreeplan Projekt UG, Berlin |
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