Barrierefreier Dachausbau im Denkmal

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Das Dachgeschoss eines 120 Jahre alten Denkmals wurde dank viel Eigenleistung zu einem baubiologischen, barrierefreien und zu 100 % erneuerbar beheizbarem Ruhestands-Domizil.

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Die Villa in Brackenheim bei Heilbronn war 1905, der Zeit des des spรคten Jugendstils in einem historisierenden Stil mit viel Liebe zum Detail erstellt worden. Sie hat ein expressives Sichtfachwerk oberhalb des massiven Erdgeschosses, schlanke Fenster, reich verzierte Erker, ein bewegtes Dach und eine Remise gegenรผber. Sie beherbergte eine Arztpraxis, eine Wohnung und zwei kleine Bediensteten-Zimmern unter dem Dach. Seit 1919 gehรถrt sie der Familie Daniel. Bis in die 1960er Jahre wurde das zweigeschossige Dachgeschoss als unbeheizte Bรผhne genutzt. Dann zog Wolfgang Daniel dort als Jugendlicher ein. Nach Lehr- und Wanderjahren als Landschaftsarchitekt kam er mit seiner Frau, Elisabeth Kemmler-Daniel โ€“ Gรคrtnermeisterin โ€“ wieder zurรผck und zog 1990 in die ausgebaute Remise gegenรผber. Bis 2022 wohnten sie dort auf 200 mยฒ. Ihre Kinder waren schon ausgezogen, die Wohnung zu groรŸ, so dass sie diese in der Familie weitergaben und sich noch einmal auf das Abenteuer Bauen einlieรŸen. Fรผrs Alter wollten sie sich das Dachgeschoss der Villa zu einem barrierefreien Domizil ausbauen. In der Wohnung der Villa wohnte damals Wolfgangs Mutter, in der ehemaligen Arztpraxis seine Schwester.

1 Zustand des 120 Jahre alten Denkmals vor dem Umbau, in dessen Zuge auch die Glasbausteine zurรผckgebaut und die Fenster erneuert wurden
2 Frรผhe Entwurfszeichnung des Bauherren
3 Unterkonstruktion fรผr den neuen Aufzug, die in das Vordach im EG eingefรคdelt wurde
4 Familie Daniel baute das Dachgeschoss mit einem neuen Aufzugturm barrierefrei aus

Planen mit dem Denkmalamt

Fรผr eine barrierefreie ErschlieรŸung und die Nutzung des Dachgeschosses entwarfen sie auf der Westseite der Villa einen Aufzugsturm mit AuรŸenerschlieรŸung fรผr alle Geschosse durch Treppen- und Balkonanlage im Hof und eine bessere Belichtung der Dachwohnung. Fรผr Dachausbau und Turm war eine Baugenehmigung nรถtig. Als sie diese beim Planungsamt nachfragten, stellte sich รผberraschend heraus, dass die Villa Denkmalstatus hatte. รœberraschend, denn beim Ausbau der Remise vor 30 Jahren hatten sie einen Antrag gestellt, die Villa unter Denkmalschutz zu stellen โ€“ mit ablehnendem Bescheid. Sie war erst 1997 in die Landesdenkmaliste aufgenommen worden. Mit dem Denkmalstatus waren Abstimmungen mit der Denkmalbehรถrde nรถtig, welche die Planung erst einmal nicht freigab. โ€žSie wollten, dass wir den Umfang der neuen Flรคchen reduzierenโ€œ, erinnert sich Elisabeth Kemmler-Daniel und ihr Mann ergรคnzt: โ€žDurch den Widerstand haben wir noch einmal nachgedacht und tatsรคchlich reduziert.โ€œ

Ein Kritikpunkt war der Nachbau der Fenster in den Giebeln. Das Amt wollte Kreuzsprossen in den hochformatigen ร–ffnungsflรผgeln. โ€žDie hat es aber noch nie gegebenโ€œ, รคrgert sich der Bauherr. โ€žDenkmalschutz finde ich sehr wichtig. Aber die Vorgaben mรผssen รผberlegt sein.โ€œUnd so lieรŸ er die neuen Fenster nach den Originalen bauen. โ€žWir haben alles denkmalgerecht gemachtโ€œ, betont er. โ€žIm Ganzen war der Austausch sehr fruchtbarโ€œ, fasst es seine Frau zusammen.

Erneuerbar heizen

Hilfreich waren auch die Tipps vom Baubiologen IBN und Denkmalexperten Dipl. Ing. Rolf Canters von Bau Plusenergie im Rahmen der von der KfW gefรถrderten Baubegleitung. Der Energieberater Canters war ihnen von Peter Steinhausen empfohlen worden, Lieferant der รถkologischen Baustoffe und ebenso Baubiologe IBN. Er bestรคtigte sie auch darin, einen Holzofen einzubauen. โ€žEin Holzofen sorgt bei Betrieb รผber die Raumluft fรผr zusรคtzlichen Luftwechsel und entfeuchtetโ€œ, betont Canters. Zudem erhielten alle senkrechten Wรคnde Wandheizungen, Bad und Kรผche FuรŸbodenheizung, alles wassergefรผhrt, versorgt durch eine bestehende Gas-Zentralheizung. โ€žWir haben die Wandheizung noch nie angeschaltetโ€œ,amรผsiert sich der Hausherr. Der Heizeinsatz des Ofens mit 9 KW genรผgt fรผr die 120 mยฒ. Im letzten Winter heizten sie ausschlieรŸlich mit Holz und benรถtigten dafรผr 4 – 5 Raummeter.

5 Der Bauherr beim Bearbeiten der Ecksteine …
6 โ€ฆ und beim Montieren der Wandheizung
7 Der neue Balkon ist mit halbtransparenten Photovoltaikmodulen รผberdacht
8 In luftiger Hรถhe, zwischen Aufzugturm und neuem Eingang fanden Gรคrtnermeisterin und Landschaftsarchitekt noch Platz fรผr zwei Pflanzbeete

ร–kologische Dรคmmung

Das Dach mit den drei Giebeln dรคmmten Daniels von innen mit Holzfaserplatten mit einem Spalt unter den Ziegeln fรผr die Hinterlรผftung. โ€žDas ist eine komplexe Dachformโ€œ, betont der Energieberater . โ€žDeshalb sind wir nicht von auรŸen ran.โ€œ Zum Glรผck waren die 120 Jahre alten Dachziegel noch gut erhalten, so dass sie liegen bleiben konnten. Nur die Kehlbleche wurden gestrichen. Eine feuchtevariable Dampfbremse ermรถglicht, dass die Holzkonstruktion nach innen rรผcktrocknet.

Die ausgemauerten Fachwerkgiebel und die Drempel erhielten von innen einen Kalk-Dรคmmputz, den Wolfgang Daniel auf lotrecht angebrachten Latten abzog. Darauf klebte er dรผnne Holzfaserdรคmmplatten mit Nut und Feder in Lehm und setzte zudem Dรผbel. Diese Flรคchen โ€“ gut 50 mยฒ โ€“ belegte er mit Wandheizleitungen und รผberputzte sie mit einem Kalk/Lehmputz mit Hanffasern. โ€žDer Lehm erleichtert die Verarbeitbarkeit, weil der Putz nicht so schnell anzieht. AuรŸerdem verbessert er den Feuchteaustausch im Wandaufbau und somit das Raumklima merklichโ€œ, erklรคrt der Baubiologe. AnschlieรŸen verputze der Bauherr alle Flรคchen mit einem armierten Kalk-Feinputz und strich zum Abschluss eine Sumpfkalkfarbe.

Zur Bรผhne hin dรคmmen heute als Putztrรคger unter den Deckenbalken Holzweichfaserplatten und zwischen den Balken Hanfdรคmmmatten. Auf den vorhandenen Dielenboden kamen Kanthรถlzer, mineralisierte Holzspรคne und Holzweichfaserdรคmmplatten. Der neue Dielenbelag ist aus Lรคrchenholz. Auch bei Sommerhitze ist die Dรคmmung mit wรคrmepuffernden Materialien sehr zufriedenstellend.

Photovoltaik am Denkmal

Energieberater Canters fand einen wirtschaftlich sinnvollen Platz fรผr die Photovoltaikmoduleauf dem glรคsernen Vordach รผber dem Balkon im 1.OG. โ€žWie haben uns darauf berufen, dass die transparenten Module von der StraรŸe nicht einsehbar sindโ€œ, erklรคrt er auf die Frage, ob die Bewilligung schwierig war.

9 Kalkputz, Wandheizungen, ein Grundofen und differenziertes Kunst- sowieย Tageslicht erzeugen ein angenehmes Raumgefรผhl
10 Giftige Holzschutzmittel im Dachtragwerk bestรคtigte die Analyse einer Materialprobe. Baufamilieย Danielย maskierte die Hรถlzer mit Schellack
11 Alles ist heute barrierefrei fรผr das Wohnen im Alter vorbereitet

Viel Eigenleistung

Der Umbau begann 2020. Mit Hilfe der Familie รผbernahm das Ehepaar viele Gewerke. โ€žWir haben fast alles selbst gemachtโ€œ, erzรคhlt der Bauherr stolz. So mauerte er auch den Aufzugsturm selbst und schnitt in den Sandstein fรผr die Ecksteine Gesichter, Sonne, Mond und Tiere. Zusammen zogen sie neue Wรคnde ein, legten Wandheizleitungen, sanierten Bรคder, inklusive der neuen Elektroverkabelung und dรคmmten das Dach. Mehr als 5.000 h Eigenleistung flossen in das Projekt.

Ein Zimmerermeister kam, um die Gauben und die Turmhaube aufzuschlagen. Auch die Elektroanschlรผsse fรผhrte ein Meisterbetrieb aus. Ebenso den Ausbau des Bades โ€“ incl. Anschluss der Toiletten an eine 21mยณ Regenwasserzisterne โ€“ und Setzen des Ofens. Das meiste fรผhrten die Bauherren aus, auch die Schadstoffsanierung.

Schadstoff-Maskierung

Altbauten sind oft mit Schadstoffen belastet, so auch hier. In den Konstruktionshรถlzern gab es 

keine Ausfluglรถcher des Hausbocks, dafรผr Bohrlรถcher mit Pfropfen fรผr das Insektengift. Es fand sich auch eine Rechnung รผber โ€žKampfmittelโ€œ von 1954. Baubiologe Canters schickte eine Mischprobe aus Holzspรคnen ins Labor. Die Holzschutzmittelanalyse mit einem Scan auf die 16 wichtigsten Wirkstoffe bestรคtigte eine sehr hohe Belastung an PCP sowie Spuren von Lindan und Dioxinen. Deshalb strichen die Eigentรผmer, geschรผtzt durch Atemmasken, alle Balken mit Schellack, der die Gifte weitgehend absperrt. โ€žAuรŸerdem haben wir uns entschieden, die meisten Hรถlzer zu verkleidenโ€œ, berichtet Elisabeth Kemmler-Daniel. โ€žNur, wo es nicht anders ging, haben wir sie sichtbar gelassen.โ€œ 

Auch im Keller gab es Schadstoffe. Dort waren die Hรถlzer der Abtrennungen mit damals PCP-haltigem Xyladekor gestrichen gewesen. Sie wurden ebenso wie die Dachpappe eines Flachdachs, die Asbest enthielt, mit Schutzausrรผstung ausgebaut, verpackt und ordnungsgemรครŸ entsorgt. โ€žDas hat ein Haufen Geld gekostetโ€œ, bestรคtigt die Baufrau.

Mehr Licht

Fรผr ausreichend Licht sorgen vier vergrรถรŸerte Dachflรคchenfenster sowie zwei neue Gauben. Eine liegt รผber dem Treppenhaus, die andere Richtung Turm, mit dem sie รผber eine Terrasse verbunden ist. Dort ist auch der neue barrierefreie Eingang. Die neu gebauten Fenster in den vier Giebeln erhielten fรผr besseren Durchblick einen etwas hรถher liegenden Kรคmpfer. โ€žWir sind extrem zufriedenโ€œ, freut sich der Hausherr. โ€žAlles funktioniert hervorragend.โ€œ

Baudaten

Barrierefreies Denkmal in Brackenheim

Baujahr1905
Sanierung2022
Wohnflรคche120 mยฒ
BaufamilieElisabeth Kemmler-Daniel, Wolfgang Daniel
AuรŸenwรคnde (von auรŸen nach innen)Fachwerk mit zementgebundenem Bimssteinen, Kalk-Dรคmmputz, Wandheizung, Lehmkleber, Holzhartfaserplatten, Kalkputz, Kalkfarbe. Bzw. bestehendes Dach mit Holzfaserdรคmmung zwischen und unter den Sparren, Dampfbremse, Kalkputz, Kalkfarbe.
HeizsystemHolzofen sowie bestehende Gastherme fรผr Wandheizung
Photovoltaik1,8 KWp, semitransparent im Glasvordach
Eigenleistung5.000 h
PlanungWolfgang Daniel
Energieberatung, BaubegleitungRolf Canters, www.bauplusenergie.de
MateriallieferungPeter Steinhausen, www.steinhausen-naturbau.de
Quellenangaben

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Titelbild: Achim Pilz
Bilder 1-3,5,6: E. + W.Daniel
Bilder 4,7-11: Achim Pilz

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

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