“Haus des Lernens”
Drei Sรคulen der Nachhaltigkeit: GESA (Gemeinnรผtzige Sanierungs- und Beschรคftigungs-GmbH) hat ihren Sitz in St. Pรถlten, รsterreich. Sie unterstรผtzt arbeitsmarktferne Personen mit Beratung, Qualifizierung und angeleitete Beschรคftigung bei der Integration fรผr den Arbeitsmarkt. 2016/17 wurde ein dreigeschossiges, strohgedรคmmtes und barrierefreies โHaus des Lernensโ gebaut. DI Erwin Schwarzmรผller war u. a. fรผr die Raumprogramm, das Baukonzept und die Bauphysik zustรคndig. Antรณn Nothegger hat mit ihm gesprochen.
Lieber Erwin, beschreibe uns das fรผr dich Besondere an der GESA?
Mir gefรคllt, dass die GESA alle Nachhaltigkeitsaspekte berรผcksichtigt. In Kursen der GESA werden TeilnehmerInnen durch soziale und fachliche Qualifizierung persรถnlich stabilisiert und fit fรผr den Arbeitsplatz gemacht. Angeboten werden verschiedene Arbeitsbereiche wie Wohnraumsanierungen, Grรผnraumpflege, Holzarbeiten oder Computerwiederverwertung. รbernommen werden Auftrรคge von oft gemeinnรผtzigen Einrichtungen. Neben einem hohen Anteil an Sozialarbeit und Gruppenaktivitรคten werden auch Arbeitspraktika โ abseits vom โHaus des Lernensโ โ auf betriebsfremden Baustellen bei anderen Auftraggebern absolviert.
Das neu gebaute โHaus des Lernensโ hast du gemeinsam mit dem Geschรคftsfรผhrer Johann Lechner konzipiert. Worauf lag der Fokus?
Johanns Kernforderung war, alle drei Nachhaltigkeitssรคulen zu beachten, also รkologie und soziales Engagement mit รถkonomischer Leistbarkeit zu verbinden. Das haben wir alles ganz gut hinbekommen. Unser Leitspruch dabei war: โWir bauen ein Haus, das vorwiegend aus nachwachsenden Naturbaustoffen gemacht ist. Dadurch belasten wir so wenig wie mรถglich die Umwelt.โ Und dann: โDie Errichtung des Hauses bietet arbeitslosen Menschen einen befristeten Arbeitsplatz und eine Qualifizierung speziell im Umgang mit naturnahen Baustoffen.โ Und zu guter Letzt: โDas Haus ist nicht nur mit Bankdarlehen, sondern ganz bewusst von sozial und รถkologisch engagierten Menschen durch Nachrangdarlehen finanziert.โ
Also haben auch TeilnehmerInnen von GESA-Kurse mitgebaut?
Richtig, mรถglich war das durch das von der EU, dem Land Niederรถsterreich und AMS (Arbeitsmarktservice)co-finanzierte Ausbildungsprogramm โFit im Handwerkโ. Die Integration der TeilnehmerInnen im normalen Baualltag war nicht einfach, aber es ist der GESA gut gelungen. รbernommen wurden z. B. weniger gefรคhrliche Arbeiten im Innenausbau, bei der Begrรผnung und Pflasterung im Auรenbereich oder ein Groรteil des Stroheinbaus. Auรerdem waren sie als Helfer bei Lehmputz-, Fliesen- und Installationsarbeiten dabei. Auch Holzbรถden wurden von ihnen verlegt.
Die Finanzierung erfolgte u. a. mit Crowdfunding …
Ja, und das ist auch noch im Wachsen. Auf diese Weise wurden bis dato รผber 170.000 โฌ organisiert. Angestrebt sind bis zu 300.000 โฌ โ das werden mehr als 10 % der Bausumme sein. Mรถglich ist das alles dank des รถsterreichischen Alternativfinanzierungsgesetzes. Das ist ein neues Bundesgesetz, welches die Zulรคssigkeit der Finanzierung durch alternative Finanzinstrumente regelt. Darin werden z. B. die sogenannten Nachrangdarlehen explizit angesprochen. Daneben gibt es einen klassischen Bankkredit und auch Eigenmittel. Die gesamte Finanzplanung wurde transparent und รผbersichtlich gehalten. Das ist vor dem Hintergrund der normalen Geschรคftstรคtigkeit der GESA mit ihrem Anteil an Fรถrderungen aus AMS und Landesstellen fรผr Qualifizierung und Betreuung und Beschรคftigung Langzeitarbeitsloser besonders wichtig.
Dann hat also alles von der Planung bis zur Umsetzung reibungslos funktioniert?
Naja (lacht) … Jeder, der bei Projekten dieser Grรถรe dabei war, weiร, dass es immer Herausforderungen gibt. Kleinere Kompromisse im Baualltag waren okay, etwa um die Ausbildungsinhalte und Ziele im Kurs einzuhalten. Schwierig war u. a. das sperrige Verhalten der Baubehรถrden. Verlangt wurde z. B. eine Stellungnahme einer รถsterreichischen Prรผfanstalt zur nicht lasttragenden Strohwand, obwohl wir ein gรผltiges Brandprรผfzeugnis einer zertifizierten europรคischen Prรผfanstalt hatten. Das widerspricht EU-Recht, kostete extra Geld und war zeitraubend. Solche Mechanismen werden, wie ich finde, proaktiv eingesetzt, um die konventionelle Bauindustrie รsterreichs zu schรผtzen.
Dazu kommt, dass Grundlagenforschung z. B. an Universitรคten und in Betrieben gefรถrdert wird, die Fรถrderung der Umsetzung aber kaum. Das verursacht ein groรes Innovationshemmnis im รถsterreichischen Forschungsbetrieb.
Aufstellung der Holzbauwรคnde durch Strobl-Holzbau
"
Fit im Handwerk" Kursteilnehmer beim Zuschnitt eines Strohballen
Rohbau in Verputzphase
1
Aufstellung der Holzbauwรคnde durch Strobl-Holzbau2
“Fit im Handwerk” Kursteilnehmer beim Zuschnitt eines Strohballen3
Rohbau in Verputzphase
Und was waren in diesem Sinne deine persรถnlichen Highlights?
Ich mag Stroh als Baustoff und arbeite seit รผber 15 Jahren an der Forschung in unterschiedlichen Projekten mit. Es freut mich besonders, dass ich beim neuen GESA-Gebรคude, dem bisher hรถchsten und grรถรten mit Stroh gedรคmmten Gebรคude in รsterreich, mitwirken konnte. Abseits davon kann sich die รkobilanz sehen lassen. Das Gebรคude leistet unter Beschรคftigung Arbeitsloser einen nennenswerten Beitrag gegen Klimaerwรคrmung und das zu konkurrenzfรคhigen Herstellungskosten inklusive sehr guten โinneren Wertenโ.
Gemeint sind damit Passivhausqualitรคt, umfangreiche Lehmputz- und Sichtholzoberflรคchen, Holzalufenster, Holztรผren, Vermeidung von Umweltgiften und schรคdlichen Lรถsungsmitteln, ausreichende Wรคrmespeichermassen zur Verbesserung des Raumklimas, mรถgliche Nachtkรผhlung, zwei Komfortlรผftungsanlagen, Abschattungseinrichtungen und energieeffiziente Beleuchtung mit entsprechender Steuerung, 2 Stromtankstellen fรผr e-Mobility auf den noch geforderten Parkflรคchen โ trotz direkter Anbindung an den รถffentlichen Verkehr. In Regelbauteilen wie Auรenwรคnden, Decken zu Auรenluft etc. wurde zwischen 65 und 80 % graue Energie eingespart, bei Zwischendecken ca. 50 %. Der Betoneinsatz blieb auf die Bodenplatte, 2 Sichtbetonstiegen, Estriche im Nassbereich, Fluchttreppenhaus, einige Werkstรคtten sowie Pflasterflรคchen beschrรคnkt. Bei 1.236 m2 Nettonutzflรคche wurden รผber 450 t Holz, ca. 50 t Stroh und 80 t Lehmputz verbaut.
Damit ist deutlich mehr CO2 im Gebรคude gespeichert, als bei konventioneller Bauweise fรผr Gebรคudeerstellung sowie 80 Jahre Beheizung und Klimatisierung an CO2 freigesetzt wรผrde. Die Materialien sind nach ihrer Nutzungsdauer entweder wieder verwendbar, recyclebar oder kรถnnen problemlos kompostiert und verheizt werden. Die รkobilanz werden wir mit der โeco-2softโ-Software auf www.baubook.at dokumentieren. Das โHaus des Lernensโ zeigt, wie es gelingt, mit nachwachsenden und regionalen Baustoffen Holz, Stroh, Hanf und Lehm auch wirtschaftlich zu bauen.
Herzlichen Dank fรผr das Gesprรคch!
MAGK Architekten
MAGK Architekten
- GESA: www.gesa-noe.at/ueber-gesa/haus-des-lernens/
- DI Erwin Schwarzmรผller: www.stroh-web.at und www.magk.at
- รsterreichisches Alternativfinanzierungsgesetz: www.kurzlink.de/AltFG
- Baubook: www.baubook.at
Ihre Stimme zรคhlt
Kommentarregeln:
Wir sind neugierig, was Sie zu sagen haben. Hier ist Raum fรผr Ihre Meinung, Erfahrung, Stellungnahme oder ergรคnzende Informationen. Bitte beachten Sie bei Ihrem Kommentar folgende Regeln:
- Bitte keine Fragen: Auf dieser kostenlosen Informationsplattform kรถnnen wir keine Fragen beantworten - bitte stellen Sie Ihre Fragen direkt an unsere Autor*innenAutor*innen.
- Bitte keine Werbung: Gerne kรถnnen Sie auf Ihre Produkte/Dienstleistungen mit einem Werbebanner aufmerksam machen.
Wie werde ich
Baubiolog*in IBN?
How to become a Building Biology Consultant IBN?
Nachhaltig weiterbilden
Know-how, Zusatzqualifikationen und neue berufliche Mรถglichkeiten fรผr Baufachleute sowie alle, die sich fรผr gesundes, nachhaltiges Bauen und Wohnen interessieren.
Unser Kompetenz-Netzwerk
Hier finden Sie unsere qualifizierten Baubiologischen Beratungsstellen und Kontakte im In- und Ausland nach Standort und Themen sortiert.
รber die Baubiologie
Die Baubiologie beschรคftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebรคude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Fรผr einen schnellen, aufschlussreichen รberblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhรคltlich.
0 Kommentare