Earthship Tempelhof

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Gemeinsam Bauen mit Erde und Abfall: In einem Dorf in Süddeutschland ist ein Gebäude der besonderen Art gelandet – der Earthship-Tempelhof. Das autarke Versorgungsgebäude wurde von der Gemeinschaft Schloss Tempelhof selbst aus Erde, Autoreifen, Lehm und Holz erbaut. Am Rande der Natur dient es als Basis für 14 mobile Wohneinheiten.

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Die ökologische Gemeinschaft Schloss Tempelhof wächst seit 2010 in Kreßberg, im nordöstlichen Baden-Württemberg. Sie befindet sich inmitten einer wunderschönen ländlich hügeligen Landschaft in der Nähe von Schwäbisch Hall, zwischen Stuttgart und Nürnberg. Dort leben derzeit etwa 140 Menschen, zirka 40 Kinder und 100 Erwachsene. Ausgelegt ist das Projekt auf Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für 150-200 Menschen.

Wichtig ist den BewohnerInnen der gemeinschaftliche Einsatz für das „Wir“, wie es an oberster Stelle unter Visionen und Werte auf ihrer Internetseite heißt. Inzwischen gibt es auf Schloss Tempelhof neben der Landwirtschaft auf 26 ha Grün- und Ackerland einen Laden, ein Café, eine staatlich genehmigte, private Grund- und Werkrealschule und zwei Grundstücke für experimentelles Bauen – das „Tempelfeld“ und „Naturerfahrung“. Auf dem Sondergebiet „Naturerfahrung“, im Norden des Bebauungsplans Tempelhof sollen dereinst Experimente wie Pfahl-, Weiden- oder Erdhäuser realisiert werden. Im Südosten liegt das „Tempelfeld“. Hier siedelte eine kleine Gruppe aus der Gemeinschaft, die seit 2015 ein so genanntes „Earthship“ baut. Nach der Idee des Architekten Michael Reynolds ist ein Earthship ein Gebäude aus natürlichen und recycelten Materialien, das sich autark mit Wasser, Wärme und Strom versorgt. Es nutzt möglichst einfache Technologien – „low tech“ – und kann weitgehend selbst erbaut werden. Ziel ist es, möglichst wenig Maschinen und möglichst viel Handarbeit einzusetzen.

1 Willkommen – die Sozialstation der “Tempelfelder”
2 Ein Teil des Rohbaus besteht aus elf Lagen Altreifen
3 Gemeinsame Erstellung des Rohbaus mit Freiwilligen für Kost und Logis

Erstes Earthship

Per Hand werden natürliche und wiederverwertete Materialien, wie Erde, Glasflaschen, Aluminiumdosen und vor allem Autoreifen verarbeitet. Die Autoreifen werden wie Bausteine für die tragenden Wände verwendet. Dazu werden sie mit Erde gefüllt, die in ihnen verdichtet wird. Auch Prof. Gernot Minke und der Architekt Peter Hübner verwendeten in den 80er Jahren Altreifen, um geneigte Dächer zu begrünen. Upcycling nennt man diese Art der Wiederverwertung. Michael Reynolds baute ein solches autarkes Gebäude in den 1970er Jahren in Taos, New Mexiko. Damals war es revolutionär, Wohlstandsabfall zu verbauen. Reynolds kämpfte erfolgreich gegen viele Widerstände. Inzwischen gibt es weltweit etwa 1.000 Earthships. In Europa ist es immer noch nicht einfach, dieses Konzept umzusetzen. Materialien werden hier weitaus besser recycelt. Und in Belgien ist das Bauen mit Altreifen verboten, da aus den Reifen Blei oder Zink ins Grundwasser gelangen könnten. In Deutschland fördert Earthship die Idee mit Workshops zu Permakultur und Bauen.

Mitteleuropäisches Klima

Im Vorfeld der Überlegungen, ein Earthship auf dem Tempelhof zu bauen, organisierte der Verein „Bauhütte Lebenshaus“ eine Exkursion zum Europäischen Earthship-Zentrum in Tschechien. Seit 2012 steht dort das erste Earthship in Mitteleuropa. Das fachliche Resümee des Vereins sah nicht gut aus: „Das Earthship-Konzept ist baulich nicht für das mitteleuropäische Klima geeignet“, ist in seiner Chronik zu lesen. Grund seien „Wärmebrücken, Schimmelbildung, Erdtemperatur 11 ºC (9 ºC kälter, als in New Mexiko), fehlende solare Energieeinstrahlung und Temperierung, ungeeignete Baustoffe und Bauausführung.“

Die Tempelhofer entschieden sich deshalb für ein Earthship in modifizierter Form. Auf dem Tempelfeld erhielt es vor allem mehr Dämmung, u. a. mit Schaumglas-Schotter und Schafwolle, zudem Wandtemperierung und Dachbegrünung. „Wir durften keine zu großen Modifikationen vornehmen“, sagt Max Thulé, Bauleiter des Ausbaus, Bewohner und verantwortlich für die Firma MoWo – Mobiles Wohnen, deren mobile Einheiten das Earthship begleiten. „Dann wäre es kein Earthship mehr gewesen. So haben wir nur geschaut, wo können wir auf die Polystyroldämmung verzichten, wo können wir mit Folien anders umgehen.

4 Gemeinschaftliches Bauen will organisiert werden
5 Hinter der Glasfassade liegt eine Pufferzone mit kleiner Pflanzenkläranlage
6 Das Earthship ist neben den mobilen Einheiten gelandet

Die Decke haben wir nicht hinterlüftet ausgeführt. Sie erhielt zudem ein Baumwolltextil und fünf Zentimeter Schafwolldämmung, um die Akustik zu verbessern.“ Wegen Bauauflagen musste das potenziell autarke Gebäude an Nahwärme, Strom und Wasser angeschlossen werden. „Wir dürfen Regenwasser nicht trinken. Das war die Auflage des Gesundheitsamtes“, erklärt Thulé. „Wir können im Bereich Wasserzufuhr aber relativ schnell offgrid gehen.“ Dazu wird die Wasserqualität während des Betriebs im Labor untersucht.

Experimentelle Gemeinschaft

Auf dem Tempelfeld leben bis zu 25 Menschen mit vielen Kindern. Sie wagen ein Lebens- und Wohnexperiment mit einem stärkeren Bezug zur Natur und suchen nach Alternativen zu eingefahrenen sozialen Strukturen. „Wie funktioniert eine größere Struktur, als die Familie, eine Sippe oder ein Pylon“, fragt Max Thulé, „wie geht es, sich in der Gruppe mehr zu beheimaten? Wir wollten einen geschützten Raum für uns, aber nicht nur für uns als Familie in einer Wohnung, sondern in einem größeren Gefäß.“ Wie in einer Wagenburg wohnen sie in 14 mobilen Einheiten, umgebauten Bauwagen oder eigens gebauten Räumen. „Aufenthaltsräume“ werden sie im Bauantrag genannt.

Nach einer internen Bausatzung soll es möglich sein, dass sie eines Tages weiterziehen. Gemeinsame Aktivitäten fanden bisher fast nur im Sommer im Freien statt, weil im Winter ein warmer, ausreichend großer Gemeinschaftsraum fehlte. Diesen realisierte die Gemeinschaft vom September 2015 bis April 2016, ein zentrales Versorgungsgebäude (180 m2) mit Bad, Toilette, Küche und Wohnzimmer. Zum offenen Gemeinschaftsbad sagt Thulé: „Für uns war es wichtig, Räume zu schaffen, in denen auch Begegnung stattfindet. Es war für uns auch davor ganz normal, zusammen zu duschen.“ Ursprünglich war das Haus auch für Gäste gedacht. Eine Wohnnutzung ist aber aus brandschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.

Baudaten Versorgungsgebäude Earthship

Bauherr Schloss Tempelhof e. G.
zeichnender ArchitektRalf Müller
Bauleitung ab Rohbau Max Thulé
Außenwände: von außen nach innen
Erdhügel, Schaumglasplatten, Erde in Autoreifen
gestampft, 11 Lagen; Ringanker mit verlorener
Schalung aus Aluminiumdosen, Maschendraht
als Putzträger, Lehmputz 3,5 cm (i. M.) und Lehm-Feinputze
leichte Innenwände
Holzständer ausgefacht mit Glasflaschen
und Lehm
Oberflächen Kalk- und Lehmputze, Mosaike
Gründach, 6 Grad: von außen nach innen
8 cm Substrat, Drainagevlies, EPDM, Bitumenbahn,
16 cm Schaumglas, wasserführende Schicht Bauderbahn, 30 mm Vollholzschalung, Rundholzsparren, 2 x 12,5 mm Gipsfaserplatten, 2 x 25 mm Schafwolldämmung, Baumwolltextil
Boden
kapillarbrechende Schicht, Dämmung Schaumglasschotter, XPS unter den Reifen (erford. wegen Vibrationen beim Verdichten), Stampflehm mit
Lehmspachtel oder Solnhofer Platten, Sockel aus Biberschwänzen
Fenstereinfach verglaster Wintergarten, Isolierglasscheiben zu den Räumen
WärmeNahwärme, Solarthermie, Temperierung der Zuluft über 6 Rohre DN 300 x9m, Thermik über Dachluken im Wintergarten; zwei Kupferrohre in Außenwänden; Boden mit 32 m Temperierung in 12 cm Tiefe als träger Speicher
Grauwasser2 Regenwasser-Zisternen mit 25 m3 für Gemüsewaschen, Schmutzwaschbecken, Waschmaschine; kleine Pflanzenkläranlage im Wintergarten für Toilette
StromPhotovoltaik in der Attika, Wechselrichter, Batterien
Monitoring 30 Sensoren für Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wandfeuchtigkeit
Nachhaltigkeitsindikatorenlow tech, Selbsthilfe, Workshop mit 50 Helfern
Kostenca. 300.000 EUR ohne Erschließung

Gemeinsam Bauen

Das Earthship kostete etwa 300.000 EUR, ohne die Kosten für die Erschließung des Tempelfeldes. Ein Crowdfunding erbrachte stolze 198.000 EUR. Beim Selber-Bauen halfen auch Freiwillige. Etwa 50 Baubegeisterte erstellten in vier Wochen den Rohbau für freie Kost und Logis. Der Frage, ob das Bauen mit ehrenamtlichen Helfern Geld spart, stimmten in einer umfangreichen Studie [1] nur 32 % der Tempelhofer zu. Genauso Wenige schätzen das Selbst-Bauen mit ehrenamtlichen Helfern als lohnendes Konzept für ihre Gemeinschaft ein. Für die Gemeinschaft war die Baustelle eher eine Zerreißprobe. Trotzdem sind die Tempelhofes der Meinung, dass das Selbst-Bauen mit ehrenamtlichen Helfern als ein Stück Baukultur weiter gepflegt werden sollte.

Wer es ausprobieren möchte, kann auch andere erprobte Selbstbau-Prinzipien wählen, wie etwa das von Walter Segal; diesem Prinzip entsprechend wurde bereits in den 80-er Jahren das Stuttgarter Bauhäusle erbaut. Schon heute inspiriert das soziale Experiment zum Weiterbauen. In der Nähe von Hamburg wird gerade die nächste Landung geplant.

Links
schloss-tempelhof.de
earthship-tempelhof.de
earthship-deutschland.de
earthship.com

Montoringdaten fürs Earthship
monitor.earthship-tempelhof.de
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1 Kommentar

  1. Ab und zu werden Führungen angeboten.
    Die nächste Führung ist am 8. Dezember 2019 von 15-16 Uhr.
    Jetzt im Winter vielleicht etwas weniger voll als im Sommer :).

    Antworten

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Titelbild: Achim Pilz
Bilder 1, 4 – 6: Achim Pilz
Bilder 2, 3: Tempelhof e.G.

[1] Earthship Tempelhof – Unikat oder Prototyp für den ländlichen Raum? Alanus Hochschule FB Architektur Gemeinschaftsorientierte Projektentwicklung Prof. Brigitte Scholz. Online auf der Earthship Tempelhof Website unter: tinyurl.com/ydcq2hpx

Autor

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