„Puddewohl“ fühlen mit Hanf, Kalk und Lehm
Martin Meyer ist mit Herz und Seele ein Seemann. Während seines Studiums des Sondermaschinenbaus segelte er auf so manchem Weltmeer. Um dem Meer näher zu sein, ergriff er gemeinsam mit seiner Frau Lisette die Chance, ein Leuchtturm-Projekt mit Hanf, Kalk und Lehm zu realisieren. In Puddemin, einem kleinen Dorf an der Südküste von Rügen, baute er ein Ferienhaus. Mit 24 anderen Häusern liegt es auf einem ehemaligen LPG-Brachgelände (LPG = Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), dessen Hallen abgerissen und betonierte Fläche entsiegelt wurden. Wenn schon ein freistehendes Häuschen mit Garten drumherum, dann ein möglichst ökologisches, dachte sich Meyer. Auf der Webseite des Baubiologie Magazins las er in dem Artikel „Hanf – Baustoff der Zukunft“, wie die guten Eigenschaften der Schäben des Nutzhanfs mit den Vorteilen von Kalk kombiniert werden. Der daraus hergestellte Hanfkalk ist gut für die Gesundheit und die Umwelt, reguliert Temperatur und Feuchte, dämmt Schall und bietet Brandschutz.
Meyer knüpfte darauf Kontakt zu dem Architekten Roger Dauer, Eigentümer von HanfKalk-Berlin und Gründungsmitglied des Hanfbau-Kollektivs. Dauer hat schon einige Erfahrungen mit dem Baustoff und realisierte zusammen mit Mitgliedern des Hanfbau-Kollektivs im Impact Hub Berlin im CRCLR House ca. 120 m² Trennwände mit erhöhten Anforderungen an den Schallschutz für Büro- und Arbeitsräume. Er lud Meyer nach Berlin ein. 2020 nahm dieser an einem Workshop im Berliner Umweltbildungszentrum Schmetterlingshorst teil, bei dem eine Wand aus Hanfkalk gestampft wurde. Gerne erinnert er sich daran: „Ich habe die Eigenschaften von Hanfkalk erfühlt und mit meinen Sinnen wahrgenommen.“ und ergänzt schmunzelnd: „Das war eine vertrauensbildende Maßnahme.“
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Das Haus von Familie Meyer ist eines der ersten in Deutschland mit einem innovativen Hanfkalk-Bausystem aus Belgien2
Der schöne Garten und der Friesenwall wurden von einem Landschaftsarchitekten angelegt
System Isohemp
Das Planer-Team Hanf-Ingenieur Henrik Pauly und Hanfkalkexperte Dauer berieten ihn bezüglich möglicher Bauweisen und Verarbeitungstechniken von Hanfkalk. Nach intensiver Recherche und Besichtigung von Produktion und Steinen des belgischen Herstellers Isohemp ließ er sich auf das neue Produkt ein, obwohl dieses bisher in Deutschland keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat. Das System aus verschiedenen Formsteinen hat allerdings in Belgien eine technische Zulassung für die Gebrauchstauglichkeit auf nationaler Ebene. Anfang 2022 kostete das gesamte Material (Außen- und Trennwände, Fußbodendämmung, Klebemörtel) für das Haus mit 171 m² Wohn- und Nutzfläche 30.000 Euro. Damals produzierte der Hersteller Steine für etwas zehn Häuser im Monat. Das System besteht aus massiven Vollsteinen sowie Schalsteinen mit Aussparungen für armierte Betonstützen, Ringbalken und Stürze in den Außenwänden. Ein dicker Kalkputz außen und ein dicker Lehmputz innen sorgen für die Wind- und Luftdicht ganz ohne Folien. Für nicht tragende Innenwände gibt es 15er Vollsteine. Auf dem Stahlbetonboden wurden im Erdgeschoss Vollsteine verlegt, im Obergeschoss kam auf die Vollholzdecke eine lasttragende Schüttung aus zerstampftem Verschnitt und Resten der Steine. Nach Angaben des Herstellers speichert der verbaute Hanfkalk fast 7 Tonnen CO2.
Die Dachkonstruktion und die Ringanker sind fertig. Die Giebeldreiecke werden gerade mit Hanfkalksteinen ausgemauert
Bauherr Martin Meyer auf der Baustelle. Beim Bauen mit dem Hanfkalk-Bausystem, das in Deutschland noch keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat, vermittelte er viel zwischen allen Beteiligten.
Das Hanfkalk-Haus im Rohbau noch ohne Reetdach.
Insgesamt fast 7 Tonnen CO2 speichern die Hanfkalksteine in Außen- und Innenwänden sowie Dämmung der Böden.
Außen erhielten die Hanfkalksteine einen dicken Kalkputz, innen einen dicken Lehmputz – wind- und luftdicht ohne Plastik
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Die Dachkonstruktion und die Ringanker sind fertig. Die Giebeldreiecke werden gerade mit Hanfkalksteinen ausgemauert4
Bauherr Martin Meyer auf der Baustelle. Beim Bauen mit dem Hanfkalk-Bausystem, das in Deutschland noch keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat, vermittelte er viel zwischen allen Beteiligten.5
Das Hanfkalk-Haus im Rohbau noch ohne Reetdach.6
Insgesamt fast 7 Tonnen CO2 speichern die Hanfkalksteine in Außen- und Innenwänden sowie Dämmung der Böden.7
Außen erhielten die Hanfkalksteine einen dicken Kalkputz, innen einen dicken Lehmputz – wind- und luftdicht ohne Plastik
Statisches Skelett
Die statischen Lasten des Gebäudes trägt ein Stahlbetonskelett, das mit Hanfkalk umdämmt und mit dämmenden Hanfkalksteinen ausgemauert ist. Die Lasten der aufgehenden Geschosse tragen Stahlbetonstützen, in jeder Ecke eine sowie vier in den langen Wänden und drei in den kurzen, z.B. zwischen den Fenstertüren (siehe Plan). Zusätzliche Längs- und Queraussteifung erfolgte durch einen umlaufenden Stahlbetonbalken.
Für die tragenden Innenwände wurden Kalksandsteine verwendet, für die nicht tragenden Hanfkalksteine. Weil Meyer möglichst wenig Beton wollte, überzeugte er den Rohbauer – gegen dessen anfänglichen Widerstand – eine Brettstapeldecke einzubauen. Diese kostete 32.000 Euro. Für die akustische Entkopplung und um die Fenster abzudichten, kam ebenfalls Hanf als Dämmstreifen oder Stopfwolle zum Einsatz. Gerne hätte der Bauherr Glasschaum für die Dämmung der Bodenplatte verwendet. Dieses Material hat aber für die hohen Windlasten auf Rügen keine Zulassung. Und so wurde es doch konventionelles XPS (= Extrudiertes Polystyrol).
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Detail Dach
Detail Außenwand
Detail Sockel und Boden
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Grundriss Erdgeschoss9
Grundriss Obergeschoss10
Detail Dach11
Detail Außenwand12
Detail Sockel und Boden
Herausforderung Hanfkalksteine
„Es ist heikel, mit einem Material ohne allgemeine bauaufsichtliche Zulassung zu arbeiten“, betont Meyer. „Ich habe mich da trotzdem rangetraut, weil ich als Sondermaschinenbauer ein ganz gutes technisches Allgemeinverständnis und Gespür habe.“ Stetig und geduldig vermittelte er zwischen den Baubeteiligten und trug mit seiner Frau die steigenden Baukosten.
Mittlerweile hat der Hersteller der Hanfkalksteine schon einiges verbessert. Der Hersteller So produziert er inzwischen Steine mit größeren, quadratischen Aussparungen. Und es gibt weitere Änderungen: Meyers Vollsteine haben glatte Stöße, inzwischen sind sie über Nut und Feder verzahnt, um Setzungs- und Schwundrisse zu vermeiden. Bei Meyers wurde am Ende noch eine Charge davon verarbeitet. „So plan hätten sie gleich sein sollen“, bemerkt der Bauherr dazu. Neu produzierte Steinformate sind auch kleiner und damit leichter.
Erneuerbare Energien
Die Wärme zum Heizen und für das Warmwasser stellen eine Luft-Wasser-Wärmepumpe und ein Holzofen mit Wassertasche zur Verfügung. Ein Speicher mit Röhrenwärmetauscher puffert sie. Fußbodenheizungen ergänzen die angenehme Wohnwärme. Dezentrale Lüfter mit Wärmerückgewinnung halten die Luft frisch, auch wenn niemand im Haus ist. Momentan noch nicht realisiert sind die Photovoltaikelemente vor den Fensterläden.
Innen sind die Hanfkalksteine mit Lehm verputzt. Möbel und Küche sind aus Vollholz
Gemütlich ist es vor dem Kamin, der auch eine Wassertasche besitzt
Boden und Bad erhalten Atmosphäre durch Travertinplatten
Unter dem schrägen Dach ist es besonders gemütlich. Lehmputz und Lehmfarbe sorgen für ein ausgeglichenes Raumklima
Blick über den First des Reetdachs zum Puddeminer Bodden
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Innen sind die Hanfkalksteine mit Lehm verputzt. Möbel und Küche sind aus Vollholz14
Gemütlich ist es vor dem Kamin, der auch eine Wassertasche besitzt15
Boden und Bad erhalten Atmosphäre durch Travertinplatten16
Unter dem schrägen Dach ist es besonders gemütlich. Lehmputz und Lehmfarbe sorgen für ein ausgeglichenes Raumklima17
Blick über den First des Reetdachs zum Puddeminer Bodden
Ökologische Materialien
Meyer legt grundsätzlich Wert auf baubiologische Materialien, die gesundheitlich unbedenklich, klimaschützend und kreislaufgerecht sind. „Langlebigkeit und geringer Ressourcenverbrauch sind mir wichtig“, sagt er „und dass die Baustoffe gesund für Mensch, Tier und Umwelt sind.“
Das Dach des Hauses ist aus Reet, der auf Rügen seit fast 4.000 Jahren verwendet wird. Der Außensockel wurde mit Schaumglasplatten überdämmt. Und die Fassade erhielt eine leicht ocker getönte Silikatfarbe, die gut zu der Patina des Reets passt. Die Holzfenster sind von einem lokalen Handwerker produziert worden.
Im Inneren ist der Bodenbelag aus lebendig gezeichnetem Travertin. Im Bad wird man von seinem warmen Farbton ganz umhüllt. Auch alle Oberflächen sind möglichst ökologisch. Innen wurde mit grünem, weißem und blauem Lehmfeinputz sowie Lehmfarbe gestaltet. „Der Lehm ist nicht so empfindlich, wie ich zu Anfang dachte“, freut sich der Hausherr. „Außerdem ist er reparaturfreundlich und wir haben ein angenehmes Raumklima.“ Sanft gerundete Kanten lassen die Wände besonders behütend erscheinen.
Die von einem Handwerker in der Nähe gefertigte Treppe ist aus Esche und schwingt sich wie eine Holzskulptur in die Höhe. Selbstredend sind die Möbel aus Vollholz. Die kräftige Eiche von Küchenmöbeln und Esstisch passt gut zu den mineralischen Oberflächen.
„PuddeWohl“ fühlen
Entstanden ist ein selbstbewusst wirkendes Haus mit Wohlfühlklima, das die Meyers „PuddeWohl“ nennen. Wer es betritt, wird von dem großzügigen und hohen Wohnraum empfangen und riecht gleich die angenehmen Naturmaterialien. Im Obergeschoss, in dem sich drei Schlaf- und ein Badezimmer befinden, wirken die Räume durch die offene Holzbalkendecke darüber noch einmal großzügiger.
Aus zwei Fenstern sieht man auf den „Rügischen Bodden“, der in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar ist. Aktuell wächst der schön gestaltete Garten ein. Ein Friesenwall trennt ihn angenehm sanft vom Fahrweg. Meyer hat auch Pläne für einen Fahrrad- und E-Bike Fuhrpark und ein Kanu, das die Gäste nutzen können. PuddeWohl ist eines der ersten beiden Gebäude in Deutschland, die mit diesem Bausystem geplant und umgesetzt wurden.
Mit Hanfkalksteinen oder vor Ort hergestellten Material könnte schnell und günstig gesunder Wohnraum erstellt werden, bei dem so viel wie möglich lokal produziert wird. Damit ist Hanfkalk Teil der ökologischen Bauwende.
Baudaten
Hanfkalkhaus PuddeWohl in Puddemin, Rügen
Bauherren | Lisette und Martin Meyer |
Baujahr | 2023 |
Wohnfläche | 151 m² (Nutzfläche 20 m²) |
Außenwand | Silikatfarbe | Kalkputz 2 cm | Hanfkalksteine 36 cm (Isohemp) in Stahlbetonskelett | Lehmputz 2 cm | U-Wert = 0,19 W/m²K |
Dach | Reet | Hinterlüftung | Sparrendach mit Holzweichfaser und Zellulosedämmung | U-Wert = 0,17 W/m²K |
Haustechnik | Luft-Wasser-Wärmepumpe | Kaminofen mit Wassertasche | dezentrale Lüftung mit Wärmerückgewinnung | Fußbodenheizung |
Besonderheit | Brettstapeldecke |
Statik | Austrup Ingenieure |
Ausführungsplanung und Fachbauleitung | Roger Dauer (Calculator Bauregie GmbH), Berlin und Hanfingenieur Henrik Pauly, Tübingen |
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