Tragendes Lehmstein­mauerwerk nach DIN 18940

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Die neue Norm für tragendes Lehmsteinmauerwerk gilt für Gebäude bis 13 Metern Höhe. Sie ist ein wichtiger Schritt für die Anwendung klima- und ressourcenschonender Bauweisen und zeigt, wo Lehmsteinmauerwerk energieintensive Mauerwerksbaustoffe ersetzen kann.

Autorin

Johanna

Baier

wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Tragwerksplanerin, Mitautorin Entwurf der DIN 18940

Die Baubranche verursacht über ein Drittel der globalen CO2-Emissionen. Um die im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegten Klimaziele bis 2030 zu erreichen, ist eine deutliche Reduzierung der grauen Emissionen im Bauwesen unerlässlich. Bisher lag der Schwerpunkt vor allem auf den Emissionen während der Nutzungsphase eines Gebäudes. Inzwischen ist jedoch klar, dass auch die grauen Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Produktion der Baustoffe, dem Bau bis hin zum Abriss – berücksichtigt werden müssen. Besonders das Tragwerk eines Gebäudes bietet erhebliches Potenzial zur Emissionsminderung.

Der Einsatz von tragendem Lehmsteinmauerwerk könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. In den letzten Jahren wurden in Deutschland fast 70% aller Wohngebäude in Mauerwerksbauweise errichtet [1]. Lehmmauerwerksbaustoffe bieten im Vergleich zu herkömmlichen Mauerwerksbaustoffen zwei wesentliche ökologische Vorteile: Zum einen können Lehmbaustoffe aufgrund ihrer Wasserlöslichkeit beliebig oft recycelt werden. Auch ist ein vollständiges und sortenreines Recycling der einzelnen Komponenten, wie z.B. Sand möglich. Zum anderen weisen Lehmbaustoffe geringere CO2-Emissionen auf. Das liegt daran, dass während der Herstellung Lehmbaustoffe, wenn überhaupt, bei geringen Temperaturen getrocknet und nicht wie z.B. Ziegel gebrannt werden. Im Gegensatz zum Kalksandstein oder Zementmörtel, wird auch durch die Herstellung der einzelnen Ressourcen kein CO2 frei.

Bisher erfolgte die Bemessung von tragendem Lehmsteinmauerwerk in Deutschland nach den Lehmbau Regeln [2], welche in allen Bundesländern Bestandteil der Listen der Technischen Baubestimmungen (LTB) sind. Die Lehmbau Regeln enthalten ein veraltetes und restriktives Bemessungskonzept für Lehmsteinmauerwerk. Sie bilden in vielerlei Hinsicht nicht die Leistungsfähigkeit moderner Lehmbaustoffe ab. Im Rahmen eines durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Forschungsvorhabens [3] konnten ausreichend Grundlagen zusammengetragen werden, um ein zeitgemäßes Bemessungskonzept für Lehmsteinmauerwerk zu entwickeln. Auf dieser Grundlage konnte im Juni 2023 die DIN 18940 [4] veröffentlicht werden. Die Norm regelt aktuell die Konstruktion, Bemessung und Ausführung von tragendem Lehmmauerwerk in Deutschland.

Das Bemessungskonzept der DIN 18940 lehnt sich an die Grundprinzipien der vereinfachten Berechnungsmethoden für unbewehrte Mauerwerksbauten nach DIN EN 1996-3/NA [5] an. Dabei werden die materialspezifischen Eigenschaften von Lehmsteinmauerwerk, insbesondere der Einfluss der Feuchte auf die Festigkeits- und Verformungskenngrößen berücksichtigt. Durch die Einführung der Norm konnte der Anwendungsbereich von Lehmsteinmauerwerk erheblich erweitert werden: Während nach den Lehmbau Regeln maximal zweigeschossige Gebäude der Gebäudeklasse 2 geplant werden konnten, können nach der DIN 18940 tragende Wände aus Lehmmauerwerk in Gebäuden mit einer Höhe von 13,0 m und damit die Gebäudeklassen 1 bis 4 nachgewiesen werden. Die tragenden Lehmsteinwände erfüllen dabei auch die An­forderungen an die Feuerwiderstandsdauer von 60 min gemäß Gebäudeklasse 4. Mit einer Bemessung nach DIN 18940 können zudem die Mindestdicken tragender Wände aus Lehmsteinmauerwerk von 24 cm auf 17,5 cm für Innenwände sowie von 36,5 cm auf ebenfalls 17,5 cm für Außenwände reduziert werden.

Bauprodukte, Konstruktion, Ausführung

Für tragendes Lehmsteinmauerwerk sind Lehmsteine nach DIN 18945 [6] sowie Lehmmauermörtel nach DIN 18946 [7] zu verwenden. Seit der Veröffentlichung der DIN 18940 wächst der Markt an Lehmsteinen beständig. Mittlerweile produzieren auch einige namhafte Kalksandstein- oder Ziegelhersteller Lehmsteine, da diese mit den gleichen Produktionsverfahren wie Ziegel oder Kalksandsteine hergestellt werden. Preislich sind Lehmsteine und Lehmmauermörtel teilweise noch etwas teurerer als herkömmliche Mauerwerksbaustoffe. Allerdings wird in Deutschland die CO2-Bepreisung von derzeit 45 €/t auf 65 €/t bis 2026 steigen [8]. Deshalb ist zu erwarten, dass der der Preis von Bauprodukten für Lehmmauerwerk zukünftig niedriger sein wird als der von Porenbeton, Kalksandstein, Ziegeln und Zementmörtel.

Neben der Herstellung unterscheidet sich auch das Vermauern von Lehmsteinen nicht von der Ausführung von Mauerwerk aus Ziegel oder Kalksandsteinen. Der Lehmsteinbau hat unter den tragenden Massivlehmbauweisen deshalb das größte Potenzial in der breiten Anwendung, da für den Lehmweller- und Stampflehmbau spezielle Kenntnisse und Ausrüstungen notwendig sind. Die Vorgaben des Eurocode 6 [9] bezüglich Konstruktion und Ausführung von Mauerwerk konnten in der DIN 18940 für Lehmsteinmauerwerk übernommen werden. Es sind wenige Ergänzungen erforderlich, die auf der Wasserlöslichkeit von Lehmbaustoffen begründet sind. Beispielhaft ist hier zu nennen, dass aus Gründen des Havarieschutzes Schichten aus wasserbeständigem Material bis min. 5 cm über der Oberkante des Fertigfußbodens auf jeder Geschossdecke auszubilden sind. Im Spritzwasserbereich darf ebenfalls kein Lehmsteinmauerwerk verbaut werden, hier sind hydraulisch gebundene oder gebrannte Baustoffe zu verwenden (siehe Abbildung 1).

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass in der Praxis des Mauerwerksbaus hauptsächlich das Vermauern von Plansteinen im Dünnbettmörtel ohne Stoßfugenvermörtelung zum Einsatz kommt. Dies ist u.a. in einer verkürzten Bauzeit begründet, welche wiederum in einer Kosteneinsparung resultiert. Zwar sind auf dem Markt bereits Lehmdünnbettmörtel sowie Lehmplansteine verfügbar, jedoch ist in der DIN 18940 bislang ausschließlich die Bemessung von Lehmsteinen in Normalmörtel mit Stoßfugenvermörtelung geregelt. Mehrere Lehmsteinhersteller streben derzeit eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) für ihre Produkte an, um den Einsatz von Lehmplansteinen und Lehmdünnbettmörtel für tragende Wände zu ermöglichen. Auch läuft ein Forschungsvorhaben, welches zum Ziel hat, diese Bauweise in der nächsten Version der DIN 18940 zu integrieren. Dies sind wichtige Entwicklungen, um Lehmsteinmauerwerk bezüglich Ausführungszeiten und den damit verbundenen Kosten auf dieselbe Ebene wie herkömmliches Mauerwerk zu bringen und damit konkurrenzfähig zu machen.

1 Lehmsteinmauerwerk mit Sockel aus Kalksandsteinen im Spritzwasserbereich, DRK-Kita Garz, Rügen. Bei der Kita (s. Aufmacherbild) sind Innen- wie auch Außenwände aus Lehmsteinen.
2 Das Forschungshaus Nr. 4 in Bad Aibling von Florian Nagler Architekten ist ein dreigeschossiger Wohnungsbau
3 Kombiniert sind hier tragende Innenwände aus Lehmsteinmauerwerk (ab dem 2. Geschoss) mit Decken und Außenwänden aus Massivholz

Gegenüberstellung von Lehmsteinmauerwerk und herkömmlichen Mauerwerk

Um einen anschaulichen Vergleich von Lehmsteinmauerwerk zu herkömmlichem Mauerwerk herzustellen, werden die Mauerwerksarten hinsichtlich der Tragfähigkeit sowie bauphysikalischer Eigenschaften, wie Schall- und Brandschutz in der Tabelle 1 gegenübergestellt. Der Vergleich erfolgt anhand einer Innenwand ohne Öffnungen (Wandhöhe H = 2,75m) eines dreigeschossigen Wohngebäudes mit Massivholzdecken. Die Geschossigkeit des gewählten Beispiels stellt den dominierenden Fall im Wohnungsbau in Deutschland dar. Laut statistischem Bundesamt wurden in letzten Jahren über 95% der Wohngebäude in Deutschland mit drei oder weniger Vollgeschossen errichtet [1].

Während mit Mauerwerk aus Lehmsteinen oder Porenbeton Festigkeiten von maximal 2,8 N/mm² erreicht werden können, weist Mauerwerk aus Ziegel oder Kalksandsteinen Festigkeiten bis zu 17 N/mm² auf [4, 9]. Tabelle 1 zeigt jedoch anschaulich, dass für Gebäude mit wenigen Geschossen höhere Festigkeiten kaum einen Unterschied in der Wandstärke ausmachen. Dass im obersten Geschoss die Wanddicke von Porenbeton trotz der gleichen Mauerwerksdruckfestigkeit dennoch schlanker ist, ist der minimal zulässigen Wanddicke geschuldet. Gemäß DIN EN 1996-3/NA ist eine Mindestwanddicke von 11,5 cm erforderlich, wohingegen nach DIN 18940 die Mindestwanddicke 17,5 cm beträgt.

Die Gegenüberstellung verdeutlicht, dass im geringeren Geschossbereich oft nicht die vertikale Tragfähigkeit, sondern Anforderungen hinsichtlich Schall- und Brandschutzes maßgebend sind für die erforderliche Wanddicke. Handelt es sich zum Beispiel um eine Trennwand zwischen zwei Nutzungseinheiten, muss bei allen Mauerwerksarten die Wanddicke aus Schallschutzgründen auf mindestens 24 cm erhöht werden. Aufgrund der geringen Rohdichte müsste Porenbetonmauerwerk sogar eine Wanddicke von 61,5 cm aufweisen, wobei an dieser Stelle eher eine Vorsatzschale zum Einsatz kommen würde.

Die hohe Rohdichte von Lehmsteinen, Vollziegeln und Kalksandsteinen bringt nicht nur im Schallschutz Vorteile mit sich, sondern resultiert zudem in einer hohen wirksamen Wärmespeicherfähigkeit Cwirk. Je größer die wirksame Wärmespeicherfähigkeit der einzelnen Bauteile, die einen Raum umschließen, desto langsamer erwärmt bzw. kühlt ein Raum aus [10]. Die Größe ist demnach maßgeblich für den sommerlichen Wärmeschutz. Dieser spielt im Anbetracht der jährlichen Zunahme der Tage mit Temperaturen über 30°C in Deutschland eine immer wichtigere Rolle.

Das ausschlaggebendste Argument für die Verwendung von Lehmsteinmauerwerk liefert ein Vergleich der Ökobilanz der Mauerwerksbaustoffe. Abbildung 2 zeigt das Treibhauspotenzial GWPTotal der in Tabelle 1 aufgeführten Steine, wobei die Module A1-A3 (Herstellung), C3 (Abfallverwertung), C4 (Deponierung) sowie das Modul D, welches die Gutschriften infolge Materialrecycling enthält, verglichen werden. Vereinfacht werden für die Ökobilanz nur die Steine betrachtet und der Mörtel außen vorgelassen, da sie volumenmäßig den Großteil des Mauerwerks ausmachen. 

Die Herstellung (Modul A1-A3) ist bei allen Steinen verantwortlich für den größten Anteil an CO2-Emissionen, wobei Lehmsteine das geringste Treibhauspotential aufweisen. Das ist darin begründet, dass Lehmsteine nur bei geringen Temperaturen getrocknet werden und energieintensive Brennvorgänge, wie bei der Ziegelherstellung, entfallen. Im Rahmen der Herstellung verursacht die Trocknung von Lehmsteinen die höchsten CO2-Emissionen, denn aktuell erfolgt die Trocknung mit fossilen Energieträgern. Erfolgt die Trocknung beispielweise mit Biogas, können 75% an CO2-Emissionen pro m³ eingespart werden.

Die Abfallverwertung und Deponierung hat keinen erheblichen Anteil am kumulierten Treibhauspotential. Die Gutschriften für Ziegel im Modul C3 sind mit einer Rekarbonatisierung, also einer Bindung von CO2 im Material während des Lebenszyklus, zu erklären [11].

Aufgrund der Wasserlöslichkeit bzw. der reversiblen Bindung der Tonmineralien können aus zerkleinertem Abbruchmaterial neue Lehmbaustoffe hergestellt werden. Darüber hinaus ist eine vollständige und sortenreine Rückgewinnung aller Materialbestandteile, wie z.B. Sand, einfach möglich. Zwar ist es möglich, Abbruchmaterial von herkömmlichem Mauerwerk teilweise in Form minderwertiger Materialien wieder zu verwerten, eine Trennung einzelner Rohstoffe ist hierbei allerdings nicht möglich und das Abbruchmaterial kann nur für minderwertigere Zwecke wieder eingesetzt werden. Dies spiegelt auch das Modul D wider: Die Wiederverwendung von Lehmsteinbruch kompensiert die negativen Umwelteffekte der primären Herstellung von Lehmsteinen vollständig, wohingegen bei anderen Steinen nur geringe Rückgewinnungspotenziale vorhanden sind. Im Sinne einer zirkulären Bauwirtschaft stecken hierin die größten Umweltentlastungspotenziale des Lehmbaus.

4 Gegenüberstellung erforderlicher Wanddicken von Mauerwerk aus Lehmsteinen, Porenbeton, Ziegel und Kalksandstein hinsichtlich Tragfähigkeit, Schall- und Brandschutz für eine Innenwand eines dreigeschossigen Wohngebäudes (Lasteinzugsbreite 6,0 m, Lasten Geschossdecke: ständige Last gk = 3 kN/m², Nutzlast qk = 1,5 kN/m²; Lasten Dachdecke: gk = 1 kN/m², Schneelast sk = 1,0 kN/m²).
5 Treibhauspotenzial GWPTotal von Kalksandstein, Ziegel, Porenbeton und technisch getrockneten Lehmsteinen exkl. Abfallverbrennung in kgCO2-Äq/m³ – Daten aus ÖKOBAUDAT [12] & Muster-UPD für Lehmsteine [13]

Aktuelle Praxisbeispiele und erste Anwendungserfahrungen

Während der letzten Jahrzehnte wurden Lehmsteine fast ausschließlich im nichttragenden Bereich in der Sanierung als Ausfachung historischer Fachwerkgebäude eingesetzt. Die Veröffentlichung der DIN 18940 hat bewirkt, dass nun zahlreiche Projekte mit tragendem Lehmsteinmauerwerk in Planung sind. Das erste Projekt, welches nach DIN 18940 bemessen wurde, ist das mittlerweile fertiggestellte dreigeschossige Forschungshaus Nr. 4 in Bad Aibling bei Rosenheim von Florian Nagler Architekten. Hier werden tragende Innenwände aus Lehmsteinmauerwerk mit Außenwänden und Decken aus Massivholz kombiniert (siehe Abbildung 3, 4). Die massiven Innenwände tragen dazu bei, dass das Gebäude im Winter wenig Wärmeenergie verbraucht und im Sommer nicht überhitzt. Die Holzdecken sind nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll, sondern durch die im Vergleich zu Stahlbetondecken geringeren Lasten konnten schlankere Wände realisiert werden. Anhand des Bauvorhabens konnte zudem gezeigt werden, dass, trotz unterschiedlicher Gewerke und Abläufe im Holz- und Massivbau die Kombination von Lehmmauerwerk und leichten Holzdecken auch in der Ausführung gut funktioniert. Dass das Vermauern der Lehmsteine im Lehmmauermörtel sich nicht anders verhält als die Ausführung herkömmlichen Mauerwerks, konnte die ausführende Firma bestätigen, die bis dahin noch keine Erfahrung mit dem Baustoff Lehm bzw. in der Ausführung von Lehmsteinmauerwerk hatte.

Weitere mehrgeschossige Mehrfamilienhäuser und Bürobauten sind beispielsweise in Berlin, Augsburg, Kirchheim, Wangen und Worms in Planung. Auch kommt vermehrt die Nachfrage von privaten Bauherren, Einfamilienhäuser aus Lehmsteinmauerwerk zu realisieren. Während im Wohnungsgeschossbau ein regelmäßiger Grundriss i.d.R. vorausgesetzt werden kann, ist dies bei Entwürfen von Einfamilienhäusern oft nicht der Fall. Unregelmäßige Grundrisse mit nicht übereinanderstehenden Wänden oder zu kurzen aussteifenden Scheiben führen bei allen Bauweisen zu einem höheren Ressourcenverbrauch. Bei Lehmsteinbauten kann dadurch ein Materialwechsel auf Steine mit höherer Druckfestigkeit und damit energieintensivere Materialien notwendig werden.

Generell bedeutet eine nachhaltige ressourcenschonende Architektur nicht nur mit klimaverträglichen Baustoffen zu planen, sondern auch den Entwurf an die Eigenschaften des Materials anzupassen. Im Lehmsteinmauerwerk bedeutet ein materialgerechtes Konstruieren z.B. Öffnungen übereinander anzuordnen. So können Wandabschnitte vermieden werden, in denen höhere Wanddicken erforderlich sind. Generell sollten Fenster am besten in stehenden Formaten geplant werden, um breite Öffnungen und dadurch hohe Einzellasten aus Stürzen zu vermeiden. Weiterhin ist eine ausreichende Anzahl langer aussteifende Wandabschnitte vorzusehen, wobei diese Aussage allgemein auf den Mauerwerksbau zutrifft.

Zusammenfassung

Die Veröffentlichung der DIN 18940 ist ein wichtiger Schritt für die Etablierung von Lehmsteinmauerwerk als leistungsfähige sowie klima- und ressourcenschonende Alternative im Bauwesen. Sie ermöglicht im Vergleich zu den bisher gültigen Lehmbau-Regeln eine ökonomischere Bemessung von Wänden aus Lehmsteinmauerwerk. Weiterhin erweitert die DIN 18940 den Anwendungsbereich auf Gebäude mit einer maximalen Höhe von 13 m und damit auf die Gebäudeklassen 1 bis 4.

Die Gegenüberstellung von Lehmmauerwerk mit herkömmlichem Mauerwerk sowie ersten Anwendungserfahrungen zeigen das enorme Potenzial von Lehmsteinmauerwerk auf. Es wird deutlich, dass die Tragfähigkeit von Lehmmauerwerk mit der von Porenbeton vergleichbar ist und im überwiegenden Anwendungsfall des Wohnungsbaus zu vertretbaren Wandstärken führt. Die im Vergleich zu Ziegel- oder Kalksandsteinmauerwerk größeren Wandstärken werden relativiert durch positive Einflüsse auf den sommerlichen Wärmeschutz. Zudem bestimmt oft nicht die Druckfestigkeit des Materials die Wanddicke, sondern bauphysikalische Anforderungen, wie Schall- und Brandschutz. Bei Wänden mit Schallschutzanforderungen sind die Wanddicken von Lehmmauerwerk mit denen von Kalksandstein und Vollziegeln vergleichbar. Gleichzeitig zeigt der Vergleich des Treibhauspotenzials GWPTotal mit anderen Mauersteinen, dass Lehmsteine in der Herstellung erheblich weniger CO2-Emissionen verursachen. Darüber hinaus kompensiert die Wiederverwendung von Mauerwerksbruch die negativen Umwelteffekte der Herstellung von Lehmsteinen vollständig.

Im Anwendungsbereich der Gebäudeklassen 1 bis 4 könnte Lehmsteinmauerwerk zukünftig einen großen Teil der energieintensiven Mauerwerksbaustoffe ersetzen und damit einen wichtigen Beitrag zum klimaschonenden und kreislaufgerechten Bauen leisten.

Autoren

Johanna Baier

  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der BAM in dem Forschungsprojekt „Bemessung vom Stampflehm – Experimentelle und numerische Grundlagen unter Berücksichtigung des Feuchteeinflusses“
  • Tragwerksplanerin im Bereich Holz- und Lehmbau bei ZRS Ingenieure (2019 – 2023)
  • Mitautorin Entwurf der DIN 18940 und Beteiligung als Gastmitglied im Normungsausschuss Lehmbau bei der weiteren Ausarbeitung der DIN 18940

Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)
johanna.baier@bam.de
www.bam.de

Prof. Dr. Christof Ziegert

  • Honorarprofessor für Lehmbau an der FH Potsdam
  • Geschäftsführer ZRS Ingenieure GmbH
  • Obmann Normausschuss Lehmbau am DIN. Mitautor DIN 18940 und Autor aller weiteren Normentwürfe im Lehmbau
  • Maurer und Bauingenieur

ZRS Ingenieure GmbH, Berlin
ziegert@zrs.berlin
www.zrs.berlin

Quellenangaben

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1 Kommentar

  1. Sehr gründlicher Artikel! Alles wissenswerte, um endlich richtig günstig (alle Kosten werden berücksichtigt), nachhaltig, ökologisch, baubiologisch und schön zu bauen. Mit tragenden Lehmsteinen.

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Titelbild: ZRS Ingenieure
Bild 1:
ZRS Ingenieure
Bilder 2-3: Sebastian Scheels
Abbildung 4:
ZRS Ingenieure – Bilder: Lehmstein von Claytec | Porenbeton von Xella | Ziegel von Wienerberger | Kalksandstein von KS-Original
Abbildung 5: ZRS Ingenieure

[1] Statistisches Bundesamt (Destatis), “Bauen und Wohnen: Baufertigstellungen von Wohn- und Nichtwohngebäuden (Neubau) nach überwiegend verwendetem Baustoff – Lange Reihen ab 2000,” 2022.
[2] F. Volhard and U. Röhlen, Dachverband Lehm e.V., Ed. Lehmbau Regeln Begriffe – Baustoffe – Bauteile, 3. Auflage ed. Wiesbaden: Vieweg + Teubner, 2009.
[3] P. Wiehle, M. Brinkmann, M. Thiele, C. Ziegert, and C.-A. Graubner, “Schaffung von Bemessungsgrundlagen für Lehmmauerwerk auf Basis von DIN EN 1996/NA mittels experimenteller und numerischer Untersuchungen. Abschlussbericht über das Verbundforschungsprojekt, gefördert unter dem Az: 34599/01 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU),” 2023. [Online]. Available: https://www.dbu.de/OPAC/ab/DBU-Abschlussbericht-AZ-34599_01-Hauptbericht.pdf
[4] DIN 18940:2023-06. Tragendes Lehmsteinmauerwerk – Konstruktion, Bemessung und Ausführung.
[5] DIN EN 1996-3/NA:2019-12, Nationaler Anhang – Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten – Teil 3: Vereinfachte Berechnungsmethoden für unbewehrte Mauerwerksbauten.
[6] DIN 18945:2024-03. Lehmsteine – Anforderungen, Prüfung und Kennzeichnung.
[7] DIN 18946:2024-04. Lehmmauermörtel – Anforderungen, Prüfung und Kennzeichnung.
[8] §10 Absatz 2 BEHG.
[9] DIN EN 1996-1-1/NA:2012-05, Nationaler Anhang – Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten – Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk.
[10] W. M. H. Willems, Lehrbuch der Bauphysik. Springer Fachmedien Wiesbaden, 2017.
[11] Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU), “UMWELT-PRODUKTDEKLARATION nach ISO 14025 und EN 15804+A1: Mauerziegel (ungefüllt), gültig bis 2026,” 2021.
[12] Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. ÖKOBAUDAT – Informationsportal Nachhaltiges Bauen, UUID: Kalksandstein (f7235d64-16e5-42d0-94c8-797a3cd6cd37), Ziegel (30514538-fcb4-483b-b5d5-c108d2037536), Porenbeton (dfac45db-fd07-4dcb-9359-2b8b4e882d62) [Online] Available: https://www.oekobaudat.de/
[13] Dachverband Lehm e.V., “Muster-Umweltproduktdeklaration nach DIN EN 15804: Lehmsteine nach DIN 18945, gültig bis 2028,” 2023.

Autorin

Johanna

Baier

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