Lehm – der unterschätzte Superbaustoff, Teil I
Lehm, Holz und Dämmstoffe aus Pflanzenfasern: Kaum eine Baustoffkombination dürfte so ressourcenschonend, bewährt und dauerhaft sein und auch in weiter Zukunft nachhaltig eingesetzt werden können. Die breite Anwendung dieser weder Mensch noch Umwelt Schaden zufügenden Baustoffe wird seit einigen Jahren immer populärer – dank unzähliger Realisierungen, vieler Publikationen, bauaufsichtlich eingeführter Lehmbau Regeln und neuer DIN-Normen für industrielle Lehmprodukte (siehe Infokasten „Lehmproduktnormen“ und Lit. [1] und [2]). Denn Lehmbaustoffe haben besondere bauphysikalische Vorteile, die bei Neu- und Altbau konstruktive, auch kostensparende Vereinfachungen ermöglichen (Abb. 1-3).
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Neubau, Leichtlehm mit Innendämmung (vgl. Abb. 2), Haus J. Darmstadt, Schauer+Volhard Architekten BDA2
Neubau-Außenwand mit Innendämmung: 1 Dünnlagen-Innenputz | Leichtlehmplatte (oder Leichtlehmauftrag auf Lattung, alternativ Gipsfaserplatte) | 2 Einblasdämmung | 3 Leichtlehmauftrag auf Lattung | 4 Außenputz (vgl. Abb. 1)3
Montage der Rahmenelemente für den Holz-Lehmbau, Haus J. Darmstadt
Minimale Energie für die Herstellung
Von modernen Industriebaustoffen unterscheidet sich die Baustoffkombination Lehm-Holz-Naturfaser in puncto Ressourcenschonung und Herstellungsenergie wesentlich. Mit Wasser aufbereitete Lehmbaustoffe – genauer, die enthaltenen Tonminerale – werden ausschließlich durch Lufttrocknung ausreichend fest. Deshalb wird für ihre Herstellung auch wenig fossile Energie benötigt. Im Wesentlichen wird sie nur zur künstlichen Trocknung eingesetzt, wofür auch Sonnenwärme aus Glashäusern oder Luftkollektoren genutzt werden kann.
Durch Photosynthese nachwachsendes Holz und Pflanzenfasern ersetzen gebrannte Baustoffe, künstliche Fasern und Schaumkunststoffe.
Zu harte Baustoffe
Viele moderne harte Baustoffe basieren auf der Verbrennung fossiler Energie. Resultat sind hochfeste Baustoffe, die für bestimmte Aufgaben sinnvoll sind, aber oft auch da eingesetzt werden, wo eine viel geringere Festigkeit ausreichen würde. Abgesehen von der Energieverschwendung macht sich diese Gedankenlosigkeit am Ende bei Abriss, Rückbau oder Verwertung lärmintensiv bemerkbar und kostet wieder enorme Energie. Fest verklebte Verbundbaustoffe lassen sich sogar oft nur noch als Sondermüll entsorgen. Bei ihnen wird nur an die billige Herstellung gedacht und nicht an das Ende des Produktkreislaufs. Gegenüber Hartbaustoffen wie Stahlbeton und Mauerwerksteinen, die dann zerschlagen, zerschreddert und zermahlen werden müssen, schöngefärbt als Recycling bezeichnet, lässt sich trockener Lehm relativ leicht mechanisch aufbrechen und, nur mit Wasser aufbereitet, immer wieder in neuer Form wiederverwenden. Dieses Alleinstellungsmerkmal von Lehm ist noch gar nicht ausreichend gewürdigt.
Lehmbaustoffe sind zwar nicht besonders fest, aber ihre Festigkeit reicht auch für tragende Wände aus. Wird der Lehm allerdings – wie bei international praktizierter Sichtlehmarchitektur meist üblich – mit einigen Prozent Kalk oder Zement “stabilisiert”, bekommt er zwar eine höhere Druck- und Regenfestigkeit, verliert aber seine Reversibilität, d.h. unendliche Formbarkeit und Wiederverwendbarkeit. Nach Definition der in Deutschland gültigen Lehmbau Regeln [Lit. 2] ist er damit kein eigentlicher “Lehmbaustoff” mehr. Statt den Kalk der gesamten Wandmasse beizumischen, reicht ein Kalkputz, um unstabilisierte Wände wetterschützend zu verputzen.
Ist dagegen Sichtlehm ohne Stabilisierung gewünscht, wie z.B. beim Alnatura Campus in Darmstadt, muss bei Stampflehm entweder die natürliche Zusammensetzung des (örtlichen) Baulehms schon geeignet sein oder sie muss für eine rohe Lehmoptik künstlich optimiert werden. Lehm, Ton und Zuschläge werden dann allerdings oft über große Entfernungen herbeitransportiert, was bei ausgesprochen schweren Massebaustoffen energetisch fragwürdig ist. Historisch ist Stampflehmbau deshalb ausschließlich in Regionen verbreitet, in denen Ortlehm schon in richtiger Zusammensetzung verfügbar ist.
Naturfasern stabilisieren ökonomisch
Eine gebräuchliche Art der Stabilisierung ist die Zumischung von Naturfasern. Schon im Alten Testament ist die Strohfaserzugabe zu Lehmsteinen erwähnt. Strohlehm im Fachwerkbau gehört zu den ältesten und dauerhaftesten Baustoffen. Damit wird die Festigkeit gegen Wasser- und Frosteinwirkung wesentlich gesteigert. Elastizität sowie ausreichende Bruch-, Biege- und Stoßfestigkeitswerte von Lehmsteinen und Lehmplatten werden erreicht, ohne die Reversibilität zu verlieren.
Lehm wird heute – und historisch in ganz Nordeuropa – überwiegend nichttragend im (Holz-) Skelettbau, besonders dem Holzrahmenbau und bei der Sanierung von Fachwerkgebäuden als vielseitiger Baustoff für die Ausfachung von Außen- und Innenwänden, Decken und Dach eingesetzt – in geringerer Schichtstärke und meist unsichtbar, verkleidet oder verputzt. Auch im Innenbereich, bei Trockenbau, Putz und Dünnlagenbeschichtungen werden statt gebrannter Bindemittel, natürliche Bindemittel wie Ton und Lehm eingesetzt, ohne Qualitätseinbußen, mit angemessener Festigkeit und guter Gebrauchstauglichkeit. Diese Ausfachungsprinzipien lassen sich auf Ausbau und Sanierung von Skelettbauten allgemein übertragen, z.B. auch auf Stahl oder Stahlbeton.
Auch Holzmassivbau könnte mit Lehm ergänzt werden, z.B. um mit zusätzlich speichernder Masse einen besseren sommerlichen Hitzeschutz zu erreichen oder für mineralische Oberflächengestaltungen. Optimal ist aber der Skelettbau, bei dem die tragenden und die füllenden Funktionen sinnvoll aufgeteilt sind. Holz wird (sparsam) für die Tragstruktur eingesetzt, Lehm dient zur nichttragenden Ausfachung und Bekleidung, ein altes sehr ökonomisches Prinzip (Abb. 3). Der Einsatz von hochwertigem maßhaltigen Holz ist minimiert und die Aufgaben der Raum- und der Flächenbildung übernehmen der anpassungsfähige Baustoff Lehm zusammen mit nachwachsenden Faserdämmstoffen. Die gutmütigen bauphysikalischen Eigenschaften dieser Ausfachungsbaustoffe ermöglichen kompakte Bauteile, die Grundfläche sparen.
Lehmbaustoffe sind unendlich wiederverwendbar
So wie Lehm nur durch Trocknung fest wird, so wird er nur durch Wasserzugabe wieder weich und erneut formbar. Dieser Prozess kann unendlich oft wiederholt werden. Schon immer wurden historische Strohlehmgefache und Strohlehmputze bei Umbauten wiederverwendet. Eine so selbstverständliche Wiederverwendung, wie sie über Jahrhunderte im Fachwerkbau praktiziert wurde, ist bei anderen Baustoffen undenkbar – von Holz oder Stein einmal abgesehen. Das Besondere ist, dass ein fester Baukörper, wie zum Beispiel ein Lehmgefach oder Lehm-Mauermörtel, nur mit Wasser wieder weich und formbar wird und für ein neues Lehmgefach oder neuen Mauermörtel zur Verfügung steht. Oder ein Lehmputz kann mit Wasser und Schwamm repariert werden, abgeschlagener Putz neu aufbereitet und wieder aufgetragen werden, ohne dafür Material ab- oder heranzufahren (Abb. 4). Wiederverwendung ist also quasi nebenbei auch ein Beitrag zur Lärm- und Verkehrsvermeidung.
Ziemlich unbekannt ist das historisch weltweit verbreitete und Jahrtausende alte (Natur-) Steinmauerwerk mit Lehmmörtel (Abb. 5). Rumänische Dörfer sind aus gebrannten Ziegeln mit Lehmmörtel gemauert. Die Berliner Trümmerfrauen konnten den weichen Kalkmörtel noch abklopfen, um die wertvollen gebrannten Ziegel wiederverwenden zu können. Mit zementhaltigen Mörteln ist das undenkbar. Dieselben Baustoffe können am Ort mehrfach wiederverwendet werden, in neuer Form und Gestalt. Mit künstlichen Steinen eröffnet Lehmmörtel auch hier und heute eine neue und nachhaltige Perspektive für tragendes Mauerwerk, das nach Lehmbau Regeln wieder zugelassen ist.
Reparatur von Strohlehmgefachen. Intakte Teile werden erhalten und die Fehlstellen mit wiederaufbereitetem Material ergänzt
Steinmauerwerk mit Lehmmörtel in der Dordogne
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Reparatur von Strohlehmgefachen. Intakte Teile werden erhalten und die Fehlstellen mit wiederaufbereitetem Material ergänzt5
Steinmauerwerk mit Lehmmörtel in der Dordogne
Lehmbaustoffe sind vielseitig
Die große Bandbreite der Rohdichte von etwa 400 bis über 2.000 kg/m³ ermöglicht leichte bis schwere Lehmbaustoffe, entsprechend Holz bis Schwerbeton. Mit dafür geeigneten geeigneten mineralischen und/oder pflanzlichen Zuschlägen werden u.a. Raumgewicht und Wärmeeigenschaften gesteuert. Leichte Stoffe sind lufthaltig und wärmedämmend, schwere Stoffe haben nur wenige Luftporen und wirken als Massespeicher.
Wärmedämmung gilt heute als wichtigste Eigenschaft von Außenbauteilen. Das hat zu einem wachsenden Einsatz von Kunstschaum- und Mineralfaserdämmstoffen geführt. Sie sind kaum kapillar feuchteleitfähig und -ausgleichend. So sind zu ihrem Feuchteschutz oft komplizierte und vielschichtige Konstruktionen nötig.
Wärmespeicherung als energiesparende Eigenschaft ist dagegen in den Hintergrund getreten und wird in gängigen Berechnungsverfahren weitgehend ignoriert. Bei zu wenig Speichermasse muss wegen der fehlenden thermischen Stabilität im Winter häufiger geheizt und im Sommer häufiger gekühlt werden. Thermostatgeregelt ist das heute zwar technisch kein Problem, aber energieintensiv. Mit einem Massespeicher wie Lehm können dagegen auch nicht kontinuierliche Sonnenstrahlung im Winter und Nachtkühle im Sommer gespeichert und somit genutzt werden.
Leichtlehmbaustoffe mittlerer Rohdichte haben ein ausgewogenes Verhältnis von Dämmung und Speicherung. Sie können nichttragender Raumabschluss und Putzträger in einem sein. Außenbauteile werden in der Regel mit einer Dämmschicht aus Naturfasern oder Zellulose innen, außen oder als Kerndämmung ergänzt. Damit wird der erforderliche Wärmeschutz erreicht – in einfachen, im Skelettbau schlanken Konstruktionen und ohne Dampfbremsen (Abb. 1-2). Im Lehm-Massivbau mit Stampflehm oder Lehmsteinmauerwerk dagegen müssen tragende Wände statisch bedingt viel dicker sein als es für die Wärmespeicherung genügen würde. Kommt die erforderliche Wärmedämmung hinzu, ist die Wanddicke baupysikalisch gesehen unnötig überdimensioniert.
In Teil II dieser Artikelserie geht es um bauphysikalische Größen wie Wasserempfindlichkeit, Kondensationsfeuchte und Sorptionsfähigkeit.
Dieser Beitrag besteht aus 3 Teilen:
Lehm – der unterschätzte Superbaustoff, Teil II
Ein normaler baulicher Feuchteschutz genügt, um wasserempfindlichen Lehm in unkomplizierte Holzkonstruktionen dauerhaft zu machen. Durch seine einmalige Kapillarität schützt er robust vor Feuchte. Dabei wird seine Sorptionsfähigkeit oft überbewertet.
Lehm – der unterschätzte Superbaustoff, Teil III
Erprobte Lehmbauteile wie Lehmmauerwerk, Stapeltechnik, Innendämmung, Trockenbauplatten, Brand- und Schallschutz sowie Abdichtungen ergänzen einen nachhaltigen Holzbau.
Lehmprodukt-Normen:
DIN 18942-1:2018-12 Lehmbaustoffe – Teil 1: Begriffe
DIN 18942-100:2018-12 Lehmbaustoffe – Teil 100: Konformitätsnachweis
DIN 18945:2018-12 Lehmsteine – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18946:2018-12 Lehmmauermörtel – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18947:2018-12 Lehmputzmörtel – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18948:2018-12 Lehmplatten – Anforderungen und Prüfverfahren
Literaturtipps:
[1a] Bauen mit Leichtlehm. Handbuch für das Bauen mit Holz und Lehm. 9. Auflage, Volhard F., Birkhäuser Verlag, Basel 08/2021
[1b] Light Earth Building, A Handbook for Building with Wood and Earth, Birkhäuser Verlag, Basel 2016
[1c] Construire en Terre Allégée, Actes Sud, Arles 2016
[2] Dachverband Lehm (Hrsg.): Lehmbau Regeln – Begriffe, Baustoffe, Bauteile, 3. Auflage, Vieweg + Teubner Verlage, Wiesbaden 2009
[3] Lehmausfachungen und Lehmputze – Untersuchungen historischer Strohlehme, Volhard, F., Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2010
[4] Lehm – feucht oder trocken? Lehmbaustoffe und Raumklima. In: Lehm im Innenraum – Eigenschaften, Systeme, Gestaltung., Volhard, F., 2. Auflage, Hrsg. Achim Pilz, IRB Fraunhofer-Verlag, Stuttgart 2012; S. 29 – 36
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