Wohnerei Kusel, Genossenschaftliche Selbstorganisation – Teil 1
Wie so manches gemeinschaftlich organisierte Projekt hat auch die โWohnerei Kuselโ eine lรคngere und wechselvolle Geschichte: Bereits 2008 befasste sich eine Gruppe von sechs Personen mit der Idee, ein Wohnprojekt in der rheinland-pfรคlzischen Kleinstadt Kusel zu realisieren. Sie organisierten mit viel Engagement eine Impulsveranstaltung, um die Idee in ihrem Wohnort bekannt zu machen und grรผndeten mit zehn Mitgliedern ein Jahr spรคter den Verein โรkosiedler Westpfalzโ. Dieser hatte laut Satzung das Ziel, das โgenerationsรผbergreifende Wohnen zu fรถrdern und zu entwickelnโ.
Um ihrem Ziel nรคher zu kommen, nahm die Gruppe professionelle Beratung in Anspruch und besuchte verschiedene Wohnprojekte. Dabei bildete sich eine Kerngruppe von drei Familien heraus, die nun โverantwortlich die Planung und Ausfรผhrung grundlegender Schritte รผbernahmโ, wie Michael Hoffers erklรคrt. Als Teil der Kerngruppe erinnert er sich gerne an die โmotivierenden und inspirierenden Gesprรคche und Diskussionenโ bei den Besuchen, denn dabei โwurde uns klar, was wir wollen und was nichtโ, so Hoffers.
Es ging stetig vorwรคrts, denn 2010 entschied sich die Gruppe fรผr den Architekten und Baubiologen IBN Heiko Anken und bereits im Februar 2011 fiel die Entscheidung fรผr das Grundstรผck auf der Schlosshรถhe im Kuseler Stadtteil Diedelkopf. Im Herbst danach verabschiedete der Stadtrat den projektbezogenen Bebauungsplan und im September 2012 fand innerhalb der landesweiten โAktionswoche Wohnenโ ein Besuchertag mit etwa 100 Interessierten statt, die sich รผber das Wohnprojekt “Schlosshรถhe” und รผber gemeinschaftliches Wohnen allgemein informierten.
Genossenschaftsgrรผndung
Zu Beginn des Jahres 2013 โbestand unsere Gruppe aus sieben Parteien und vier Generationen, die das Projekt ein Jahr lang vorantrieben und intensiv aquiriertenโ, wie sich Michael Hoffers erinnert. So konnten innerhalb eines Jahres auch die รผbrig gebliebenen zwei Wohnungen vergeben werden. Zeitgleich arbeiteten die Mitglieder der Projektgruppe eine Genossenschaftssatzung aus, denn sie hatten sich das Ziel gesetzt, โmรถglichst viel selbst bestimmenโ zu wollen.
In der Prรคambel ihrer Genossenschaftssatzung formulierten die Mitglieder die wichtigsten Ziele fรผr ihr Wohnprojekt: โDie Mitglieder der โWohnerei Kuselโ eG wollen eine Lebens- und Wohnform schaffen, die die Zufriedenheit des Einzelnen und das gemeinschaftliche Zusammenleben ermรถglicht und fรถrdert. Toleranz, Offenheit, Gemeinsinn, Kommunikationsbereitschaft und Konsensentscheidungen werden getragen vom Respekt vor der Persรถnlichkeit des Einzelnen und der Verantwortung fรผr die Gemeinschaft. Grundlage und Ausrichtung von โSchlosshรถheโ ist ein liebevoller, wertschรคtzender und ehrlicher Umgang miteinander. Unser Projekt spricht alle Generationen an: Junge Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Singles, รคltere und alte Personen. Ausrichtung des Wohnprojektes ist es, die organisatorischen und wohnlichen Voraussetzungen fรผr dieses Zusammenleben zu schaffen und langfristig zu sichern.โ
Die Wohnungen der Genossenschaft auf der Schlosshรถhe bei Kusel wurden im Sommer 2015 bezogen
Groรes Interesse beim Spatenstich im Juli 2014
Die Vorstรคnde der Wohnerei Kusel eG unterschreiben den Bauantrag, in der Mitte Michael Hoffers
1
Die Wohnungen der Genossenschaft auf der Schlosshรถhe bei Kusel wurden im Sommer 2015 bezogen2
Groรes Interesse beim Spatenstich im Juli 20143
Die Vorstรคnde der Wohnerei Kusel eG unterschreiben den Bauantrag, in der Mitte Michael Hoffers
Warum Genossenschaft?
Die Genossenschaft als traditionelle Rechtsform der Selbsthilfe entspreche den Wertvorstellungen vieler Wohnprojekte, denn sie zeichne sich โdurch demokratische Strukturen und durch eine Bestandsfรคhigkeit unabhรคngig von den einzelnen beteiligten Personenโ aus, erlรคutert der Genossenschaftsexperte Dr. Burghard Flieger von der Weiterbildungs- und Beratungsagentur innova eG. Als demokratische Unternehmensform sind Genossenschaften dadurch gekennzeichnet, dass sie sich im Eigentum ihrer Mitglieder befinden, die damit das volle Entscheidungsrecht รผber ihr gemeinschaftliches Unternehmen innehaben. Es gilt die Grundregel โein Mensch, eine Stimmeโ. Eine Besonderheit von Genossenschaften ist ihr Fรถrderprinzip, wodurch sie sich von anderen Rechtsformen unterscheidet und das auch gesetzlich festgelegt ist. Denn ihr Zweck ist nicht die Gewinnerzielung, sondern gemรคร Genossenschaftsgesetz ist er โdarauf gerichtet, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschรคftsbetrieb zu fรถrdernโ.
In der Satzung der Wohnerei Kusel eG steht dazu: โZweck der Genossenschaft ist die Fรถrderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere, รถkologisch und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung. Insbesondere fรถrdert die Genossenschaft selbstbestimmtes sowie gemeinschaftliches Wohnen ihrer Mitglieder.โ
Fรผr die Wohnerei war es laut Michael Hoffers daher entscheidend, dass ihr Grundstรผck auf der Schlosshรถhe nun im Besitz der Genossenschaft und somit โder Spekulation entzogenโ sei. Im Verlauf ihrer Grรผndungszeit hatten sie ihren Willen, die Geschicke ihres Projekts selbst bestimmen zu wollen, so konkretisiert, dass nur Menschen, die auch selbst auf der Schlosshรถhe wohnen, Mitglied in der Genossenschaft sein dรผrfen. Wer spรคter einmal woanders wohnen will, muss dann aus der Genossenschaft austreten und bekommt seine anfangs eingezahlten Anteile wieder zurรผck.
enossenschaftlich wohnen in der Wohnerei im rheinland-pfรคlzischen Kusel
chwungvoll รถffnet sich die Fassade nach Sรผden
4
Genossenschaftlich wohnen in der Wohnerei im rheinland-pfรคlzischen Kusel5
Schwungvoll รถffnet sich die Fassade nach Sรผden
Michael Hoffers erwรคhnt noch zwei weitere Grรผnde, warum die Genossenschaft aus seiner Sicht die am besten passende Rechtsform sei fรผr ihr Wohnprojekt: Im Gegensatz beispielsweise zu einer GmbH ist bei einer Genossenschaft die Aufnahme neuer Mitglieder und auch der Austritt bisheriger Mitglieder unbรผrokratisch und ohne notarielle Eintragung mรถglich.
Noch wesentlich wichtiger ist ihm jedoch die spezielle Doppelrolle, die die Genossenschaftsmitglieder haben. Denn jedes Mitglied ist einerseits รผber die Genossenschaft Miteigentรผmer und andererseits gleichzeitig รผber den sogenannten โNutzungsvertragโ Mieter seiner Wohnung in der โWohnereiโ. Diese Doppelrolle ist charakteristisch fรผr viele Genossenschaften und trage laut Hoffers sehr zur Verbundenheit mit dem Projekt bei.
Projektdaten
Projekt | Die Wohnerei Kusel eG | 66869 Kusel Diedelkopf | www.wohnprojekt-kusel.de |
Neu gegrรผndete Wohngenossenschaft | 20 Bewohner รผber 3 Generationen |
Neubau | 9 Wohneinheiten (60-125 m2) sowie Gemeinschaftsraum und Gรคstewohnung |
Wohnflรคche gesamt | 800 m2 |
Grundstรผcksgrรถรe | 2.500 m2 |
Baubeginn | 2014 |
Bezug | Sommer 2015 |
Bauweise | Holzrahmen | Energie- und Wasserkonzept | barrierefrei |
Energieeffizienz | KfW 40 |
Landesfรถrderung
Sowohl in der Grรผndungsphase des Projekts, als auch wรคhrend der Bauzeit, sorgte die Wohnerei Kusel fรผr eine rege Beteiligung der รffentlichkeit. Die rheinland-pfรคlzische Ministerprรคsidentin Malu Dreyer zeigte ihre Unterstรผtzung und kam zur Einweihungsfeier im Juni: โIch freue mich, dass mit Hilfe des Fรถrderprogramms des Landes bezahlbare und barrierefreie Wohnungen entstehen konntenโ, so Dreyer. Der Landesregierung sei es ein wichtiges Anliegen, auch private Initiativen bei der Realisierung gemeinschaftlicher Wohnprojekte noch besser zu unterstรผtzen, denn solchen Projekten gehรถre vor dem Hintergrund des demografischen Wandels die Zukunft, erklรคrte sie.
Wohngenossenschaften im Trend
Dass die Wohnerei Kusel eG kein Einzelfall ist, sondern dass gemeinschaftliches Wohnen in der Rechtsform einer Genossenschaft im Trend liegt, belegt eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesinstituts fรผr Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR). Befragt wurden 107 Genossenschaften, die zwischen 2000 und 2011 realisiert wurden. 57 von ihnen verfolgen einen Mehrgenerationen-Ansatz und die Zahl der Neugrรผndungen nahm nach der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes im Jahr 2006 deutlich zu.
In ihrer abschlieรenden Beurteilung der Fallstudien kommt der Autor Micha Fedrowitz zu einer optimistischen Einschรคtzung: โAls Vorteil der Genossenschaft kann insbesondere die Abbildung des gemeinschaftlichen und nachbarschaftlichen Ansatzes und die Mรถglichkeit der Einbeziehung solidarischer Finanzierungsmodelle hervorgehoben werden.โ
Wie geht Genossenschaft?
Im Unterschied zur GmbH muss eine Genossenschaft Mitglied werden in einem
genossenschaftlichen Prรผfungsverband, der die regelmรครige Pflichtprรผfung durchfรผhrt.
Auch wenn die Regelungen mit einer Gesetzesnovellierung 2006 etwas gelockert
wurden, gelten vor allem die damit verbundenen Kosten fรผr einige Wohnprojekte
als Hemmschuh, die Rechtsform der Genossenschaft zu wรคhlen.
Vertiefende Informationen:
- Projekt-Datenbank zur Grรผndung
- Wohnbund-Beratung in NRW
- Prรผfungsverbands-unabhรคngige Beratung und Konzeptentwicklung
- Gemeinschaftl. Wohnprojekte in Deutschland: aktuell.nationalatlas.de/2011
- Gemeinschsftliches Wohnen in Deutschland, Autor: Micha Fedrowitz
Hinweis zu Teil 2
In Teil 2 zu diesem Beitrag geht es vor allem um die Baukosten und die Nutzung von erneuerbaren Energien.
Ihre Stimme zรคhlt
Kommentarregeln:
Wir sind neugierig, was Sie zu sagen haben. Hier ist Raum fรผr Ihre Meinung, Erfahrung, Stellungnahme oder ergรคnzende Informationen. Bitte beachten Sie bei Ihrem Kommentar folgende Regeln:
- Bitte keine Fragen: Auf dieser kostenlosen Informationsplattform kรถnnen wir keine Fragen beantworten - bitte stellen Sie Ihre Fragen direkt an unsere Autor*innenAutor*innen.
- Bitte keine Werbung: Gerne kรถnnen Sie auf Ihre Produkte/Dienstleistungen mit einem Werbebanner aufmerksam machen.
Wie werde ich
Baubiolog*in IBN?
How to become a Building Biology Consultant IBN?
Nachhaltig weiterbilden
Know-how, Zusatzqualifikationen und neue berufliche Mรถglichkeiten fรผr Baufachleute sowie alle, die sich fรผr gesundes, nachhaltiges Bauen und Wohnen interessieren.
Unser Kompetenz-Netzwerk
Hier finden Sie unsere qualifizierten Baubiologischen Beratungsstellen und Kontakte im In- und Ausland nach Standort und Themen sortiert.
รber die Baubiologie
Die Baubiologie beschรคftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebรคude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Fรผr einen schnellen, aufschlussreichen รberblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhรคltlich.
0 Kommentare