Psychische Belastungen am Bau
Die Bauwirtschaft ist traditionell durch kรถrperlich beanspruchende Arbeit geprรคgt. Zunehmend wird der Einfluss psychischer Belastungen wahrgenommen, teils auch stigmatisiert. Lรคsst sich die Zunahme psychischer Belastungen belegen?
Diese Frage stellt sich tatsรคchlich fรผr alle Branchen und Wirtschaftssektoren. Seit etwa 15 Jahren besitzen wir verlรคssliche Daten aus Befragungen. Daraus geht hervor, dass die Menschen zunehmend psychische Belastungen am Arbeitsplatz angeben. Diese Entwicklung bildet zum einen die Realitรคt ab, wie wir sie wahrnehmen. Zum anderen muss man bei Befragungsdaten bedenken, dass die Menschen im Laufe der vergangenen Jahre sensibler fรผr das Thema psychische Belastungen geworden sind. Auch deshalb haben wir einen Anstieg bei den Belastungen in der Arbeitswelt zu verzeichnen โ auch am Bau, allerdings nicht so stark. Wenn man die Statistiken zu psychischen Erkrankungen betrachtet, sind andere Branchen vorn, vor allem das Dienstleistungsgewerbe und der Pflegebereich. In der Baubranche sind im Vergleich weitaus weniger Fรคlle psychischer Erkrankungen zu verzeichnen. Das ist zunรคchst positiv und kann einerseits aussagen, es geht den Beschรคftigten in dieser Hinsicht wirklich besser. Andererseits kann es bedeuten, dass die Beschรคftigten weniger Probleme zugeben. Die Baubranche ist eine von Mรคnnern dominierte Branche. Es ist wissenschaftlich gut dokumentiert, dass Mรคnner psychische Probleme eher verschweigen als Frauen.
Wie kann die Aufklรคrung darรผber, was psychische Belastungen sind und wie mit ihnen umzugehen ist, vorangetrieben werden?
Sobald der Begriff โPsycheโ ausgesprochen wird, denken die meisten Menschen automatisch an psychische Krankheiten. Denn anders als bei den eigenen Fachkenntnissen neigen Menschen in ihrer Alltagswelt dazu, nicht alles zu differenzieren. Die Verwendung des Wortes โStressโ ist dafรผr ein gutes Beispiel. Ein erfolgreicher Weg der Ansprache ist meines Erachtens zu sagen: โPsychische Belastungen haben Folgen, und das sind in erster Linie Unfรคlle.โ Jeder sieht ein, dass Zeitdruck entsteht und es zu Fehlern kommt, wenn jemand an einer Maschine arbeitet, deren Taktung zu hoch ist. Nun bin ich schon ganz nah dran, verstรคndlich zu machen, was mit psychischen Belastungen gemeint ist. Und die Folgen davon sind in diesem Fall eben keine psychischen Erkrankungen, sondern Unfรคlle.
Warum kommt es aufgrund psychischer Belastungen zu Unfรคllen?
Das lรคsst sich im Test gut demonstrieren. Am Institut fรผr Arbeit und Gesundheit der DGUV haben wir eine โStresskammerโ, eine Art mobiles Bรผro. Darin ist es mรถglich, psychische Belastungen zu simulieren. Personen mรผssen in der Stresskammer eigentlich einfache Aufgaben lรถsen. Nach und nach kommen bestimmte Stรถrfaktoren wie Lรคrm oder ungรผnstiges Handling dazu. Die Aufgaben sind schlieรlich immer schneller, also unter Zeitdruck, zu lรถsen. Wir stellen fest, dass sich die Leistungen fast aller Testpersonen massiv verschlechtern. Die kรถrperliche Anspannung nimmt messbar zu. Bereits nach einer Minute steigt die Herzfrequenz und die Nackenmuskulatur verspannt.
Wenn Sie an die Arbeit auf dem Bau denken, welche psychisch belastenden Faktoren kommen nach ihren Erkenntnissen besonders hรคufig vor und was sind deren Ursachen?
Hoher Termindruck und Arbeitsverdichtung sind sicherlich relevante Faktoren. Aber auch die Kunden, mit denen die Beschรคftigten und Fรผhrungskrรคfte am Bau umgehen mรผssen, haben sich verรคndert. Sie sind meist gut informiert und fordern noch mehr als frรผher Qualitรคt und Leistung ein. Deshalb mรผssen die Menschen viel interagieren, auch mit Vorgesetzten, Kollegen und Angehรถrigen anderer Gewerke. Diese Kommunikation ist eine Schlรผsselsituation, die verdeutlicht, auch die Beschรคftigten am Bau sind Dienstleister. Auf die damit verbundenen psychischen Beanspruchungen ist zu achten โ genauso wie auf den Helm oder die Sicherheitsschuhe.
Wie kรถnnen gerade kleinere Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern psychischen Belastungen begegnen?
Die klassischen Handwerksbetriebe sind ganz anders strukturiert als industrielle Unternehmen mit Betriebsรคrzten und betrieblichem Gesundheitsmanagement. Bei kleinen Handwerksbetrieben ist der persรถnliche Kontakt direkter. Man trifft sich morgens, bevor es zur Arbeit geht, trinkt einen Kaffee, unterhรคlt sich, auch รผber Privates. Verรคnderungen des Verhaltens, die auf psychische Belastungen zurรผckgehen, fallen in einem solchen Kreis schnell auf, auch wenn Betroffene darรผber nicht sprechen. In so einer betrieblichen Atmosphรคre kann eine Prรคventionskultur entstehen, in der es darum geht, gegenseitig Verantwortung fรผreinander zu รผbernehmen. Das folgt bereits dem Prinzip der Ideen-Treffen, die wir besonders kleinen Unternehmen empfehlen, um psychische Belastungen im Betrieb aufzuspรผren. Wenn das Verhรคltnis nicht so eng ist, gibt es die Mรถglichkeit, Probleme anzusprechen, indem etwa gefragt wird, warum vermehrt Fehler passieren oder die Arbeitsleistungen sich verรคndert haben.
โ DGUV-Information: So gehtยดs mit Ideen-Treffen
Was raten Sie Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Fรผhrungskrรคften der Bauwirtschaft, um fรผr sich und ihre Beschรคftigten einen gesunden Umgang mit Zeitdruck und Arbeitsverdichtung zu entwickeln?
Grundsรคtzlich stellt sich die Frage, warum kommt es zu Zeitdruck und Arbeitsverdichtung? Mir ist klar, dass sich solche Situationen auch mit der besten Planung nicht vermeiden lassen. Wenn also einmal unter Zeitdruck gearbeitet werden muss, ist besonders auf die daraus resultierenden Gefรคhrdungen zu achten. Bedenklich ist, wenn Zeitdruck und รผbermรครige Arbeitsbelastung die Regel sind. Dann lรคuft grundsรคtzlich etwas falsch. Sicherheit und Gesundheit wurden in diesem Fall nicht in der Arbeitsplanung berรผcksichtigt. Das gilt ebenso fรผr Ausfรคlle durch Krankheit oder in der Urlaubszeit. Eine vernรผnftige Personalplanung kalkuliert Reserven mit ein, sonst fรคhrt das Unternehmen von vorneherein auf Verschleiร.
Unternehmerinnen und Unternehmer sind mit ihrer Verantwortung einem hohen Druck ausgesetzt. Fรผr das eigene Wohlergehen ist zu empfehlen, bewusst auf die eigene Sicherheit und Gesundheit zu achten, sich entsprechendes Wissen anzueignen, auf Unternehmernetzwerke zurรผckzugreifen und die eigene Leistungsfรคhigkeit auch realistisch einzuschรคtzen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Unternehmer โ wie manche Angestellte auch โ oftmals weiterarbeiten, wenn sie erkrankt sind oder eine Verletzung erlitten haben. Ebenso nachgewiesen ist, dass sich der Umgang des Unternehmers mit Zeitdruck und Stress auf seine Beschรคftigten รผbertrรคgt. Die Verantwortung, die Unternehmerinnen und Unternehmer tragen, schlieรt also eine nicht zu unterschรคtzende Vorbildfunktion fรผr ihre Beschรคftigten mit ein.
Wie kรถnnten Unternehmen zusรคtzlich motiviert werden, etwas gegen psychische Belastungen zu tun?
Entgegen allgemeinen Annahmen ist durch Studien belegt, dass fรผr die Unternehmen die Kostenfrage nicht an erster Stelle steht. In einer europaweiten Befragung sagten Arbeitgeber, ihnen sei es vor allem wichtig, rechtssicher aufgestellt zu sein. Deshalb muss klar kommuniziert werden, dass es gesetzliche Regeln fรผr psychische Belastungen bei der Arbeit gibt, die einzuhalten sind.
Welche Bedeutung besitzt die Gefรคhrdungsbeurteilung psychischer Belastungen in diesem Zusammenhang?
Sie ist das richtige Instrument, um bestehende Belastungsfaktoren strukturiert zu ermitteln. Allerdings mรผssen die Fรผhrungskrรคfte verstรคrkt eingebunden werden. Wir als Unfallversicherungstrรคger wollen zukรผnftig noch mehr an sie herantreten und ihnen verdeutlichen: Wenn ihr euch um psychische Belastungen kรผmmert, dann ergibt sich daraus auch ein unternehmerischer Vorteil. Es gibt aber einen erheblichen Qualifizierungsbedarf. Sowohl bei den Fรผhrungskrรคften als auch bei den Fachkrรคften fรผr Arbeitssicherheit registrieren wir, dass sie oft nicht wissen, wie sie mit dem Thema psychische Belastungen umgehen sollen. Wir wollen also nicht nur fรผr das Thema sensibilisieren, sondern die Verantwortlichen in den Unternehmen auch schulen, um sie handlungsfรคhig im Umgang mit psychischen Belastungen zu machen. Es hilft, auf Beispiele fรผr Belastungen zu setzen, die jeder schon einmal selbst erlebt hat und nachvollziehen kann. Nehmen wir Lรคrm, er stรถrt die Konzentration, er geht auf die Nerven.
IBN-Kommentar
Zu den Zielen der Baubiologie gehรถren humane und gesunde Arbeitsplรคtze sowie die Fรถrderung handwerklicher Arbeit. In diesem Sinne lautet eine der 25 Leitlinien der Baubiologie: โRegionale Baukultur und Handwerkskunst fรถrdernโ.
Heutige Baustellensituationen, die lรคrmende Welt der Maschinen, Staub, gesundheitsschรคdliche und umweltschรคdigende Materialien sowie Termin- und Kostendruck fรผhren hรคufig zu Berufskrankheiten und erzeugen ein Klima der Negativitรคt und des Stresses fรผr alle Beteiligten. Oft werden Handwerker nur noch als billige Arbeitskrรคfte oder Monteure/Verarbeiter industriell vorgefertigter Produkte gesehen. So bleibt wenig Raum fรผr gute, sinnerfรผllte und kreative Arbeit, die man eigentlich gerne und mit Freude machen sollte. Auf diese Weise schadet man nicht nur den Menschen, die auf dem Bau tรคtig sind, sondern letztendlich der Gesellschaft insgesamt.
Ziel sollte es deshalb sein, gesunde Arbeitsplatzverhรคltnisse, Kreativitรคt, gutes Handwerk und Qualitรคt zu fรถrdern. Nur so kรถnnen Stรคdte, Dรถrfer, Gebรคude, Rรคume, Mรถbel und Einrichtungsgegenstรคnde entstehen, die baubiologischen Kriterien entsprechen und den Bedรผrfnissen nicht nur der am Bau Beteiligten, sondern auch der Bauherren und der Gesellschaft insgesamt gerecht werden.
Kurzfristig kalkuliert mag dies zu geringen Mehrkosten fรผhren. Mittel- bis lรคngerfristig betrachtet fรผhrt eine solche Vorgehensweise aber zu รถkonomischen Vorteilen. Weniger physisch wie psychisch Kranke, gut gelaunte und motivierte Arbeitnehmer wie -arbeitgeber sowie ein gesรผnderes Wohn- und Arbeitsumfeld fรผr alle Menschen. Wir sollten deshalb nicht billig, sondern โpreis-wertโ bauen, sprich โist seinen Preis wertโ.
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รber die Baubiologie
Die Baubiologie beschรคftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebรคude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Fรผr einen schnellen, aufschlussreichen รberblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhรคltlich.
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