Interview mit Sonja Palmer

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Architektin und Denkmalpflegerin Sonja Palmer kennt sich besonders gut mit historischen Materialien und ihrer handwerklichen Fügung aus. Ihre "goldene Energie" integriert sie in gelungene Sanierungen.

regionaltypische Bauwerke – Sonja Palmer

Dipl.-Ing. (FH) Architektin

Am Nachtigallenwäldchen 11
DE-41749 Viersen

DIE FRAGEN STELLTE

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Sonja, wann und warum wurdest du Baubiologin IBN?

Die Baubiologie hat mich bei meinem Denkmalpflege-Studium begleitet. Mir war klar, dass ich historische Gebäude nicht in Kunststoff einpacken kann. Ich konnte mir vorstellen, dass die Baustoffe, die für den Menschen gesund sind, auch für Gebäude gut sind. Dann habe ich mich immer mehr mit Baubiologie beschäftigt. Im März 2013 habe ich die Ausbildung beim IBN gemacht. Danach war ich freiberuflich tätig, bis ich 2017 mein Architekturbüro gegründet habe.

Was sind deine Schwerpunkte im Büro?

Die Arbeit mit historischen und Bestandsgebäuden, die unter Denkmalschutz stehen. Mein Schwerpunkt ist, Konzepte für die weitere Nutzung zu entwickeln. Eine solche Zielfindungsphase braucht Zeit, in der auch Untersuchungen stattfinden können.

Wie hat sich das entwickelt, dass du im Konzeptionellen stark bist?

Das war schon mein Ding im Studium. Das lohnt sich besonders, wenn es um Fördermittel geht. Mit starken Konzepten gibt es eher Geld für historische Bestandsgebäude.

Du beantragst dann auch die Fördermittel?

Genau. Speziell Landesfördermittel. Meist gab es etwas aus dem Topf der Landeszuwendungen, oft die Höchstfördersummen. Ich mache dann auch die Baubegleitung, finde Handwerker und dokumentiere die Arbeiten, mitunter über längere Zeiträume über Haushaltsjahre hinweg. Nach meinen Berichten kommt die Bezirksregierung zur Abnahme.

Wie finden dich deine Kunden? 

Meist durch Mund zu Mund Propaganda. Ich werde oft empfohlen.

Wann wurdest du Baubiologische Beratungsstelle IBN?

2022 zusammen mit der Erweiterung meines Architekturbüros. Dadurch, dass ich immer mehr mit Denkmalpflege beauftragt wurde, kam immer mehr Wissen über Naturbaustoffe dazu. Und dieses Wissen möchte ich mit der Beratungsstelle weitergeben.

Mit welchen Themen kommen die meisten Kunden zu dir?

Wenn sie und ihre Gebäude nicht gesund sind. Also, wenn es z.B. Schimmelschäden gibt oder im Zuge von Umnutzungen historischer Gebäude.

1 Das niederrheinische Hallenhaus stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (dunkel), der angrenzende Stall aus den 1980er Jahren (hell) – eine auch baurechtlich komplexe Planung
2 Das Dachtragwerk mit denkmalgeschützter Mittelpfette war stark verformt. Die Reparatur mit neuer Unterstützung der Feldmitte ist maßgeschneidert. Pfeile zeigen die neue Lastverteilung
3 Der Hauptständer war eingemauert und durch Tapeten und Latexfarbe überdeckt gewesen, so dass der Fußpunkt komplett verfaulte. Repariert wurde in Eichenholz
4 Die Wände des Hauses waren zuerst mit Lehm ausgefacht, später mit Steinen. Die Haupteingangstüre arbeitete der Restaurator noch auf
5 Die neuen Lehmflächen wurden auf unterschiedliche Art und Weise ausgeführt. Ein Teil wurde wie ursprünglich glatt abgezogen
6 Der Ort der unzeitgemäß steilen Treppe wurde beibehalten …
7 … ein Deckenfeld herausgenommen und eine moderne Schranktreppe eingebaut.
8 Unterschiedliche Augen des Hauses: aufgearbeitete Stahlfenster des Stalls (rechts) und restaurierte Holzfenster des Hallenhauses (links)
9 Günstig ist der neue Heizungsraum im Transportcontainer. Er steht auf neuen Punktfundamenten auf dem alten Lehmboden der Scheune …
10 … Gegenüber steht der Pelletpeicher im Holzgerüst

Was bearbeitest du häufiger – Neu- oder Altbauten?

Was die Schäden anbetrifft, eher Neubau. Mit feuchten Kellern landen eher Altbauten bei mir.

Wie eng arbeitest du mit dem IBN zusammen? 

Das IBN gibt mir die Sicherheit im Hintergrund. Wenn ich eine Frage habe, kann ich anrufen.

Was sind andere wichtige Kooperationspartner für dich?

Innerhalb meiner Hauptarbeit kooperiere ich mit den Denkmalämtern. Wenn ich als Beratungsstelle Anfragen zur Messtechnik habe, dann gebe ich sie gerne an das Ingenieurbüro für Baubiologie und Umweltmesstechnik hier in der Nähe weiter.

Mit einem sehr erfahrenen Statiker arbeite ich auch eng zusammen. Mit ihm kann ich Schritt für Schritt auf der Baustelle arbeiten. Dann findet man etwas Neues und muss überlegen, wie das funktioniert. Wir arbeiten toll Hand in Hand. Er begleitet dann auch die ausführenden Firmen. Es ist gar nicht einfach, Statiker zu finden, die in der Lage sind, die Instandsetzung eines mehrere hundert Jahre alten Dachtragwerks zu rechnen. 

11 Kontrast von historisch und modern in der Baubiologischen Beratungsstelle IBN im historischen Ortskern von Dülken
12 Vor der sichtbar gemachten Fachwerkwand steht ein modernes und geradliniges multifunktionales Möbelstück. Aufgeklappt ist es eine Küche, zugeklappt ein Sideboard.
13 Viel goldene Energie im Tisch aus alten Gerüstbrettern der 1980er Jahre, verstärkt durch den geradlinigen Kofferschrank zum Zuklappen an der Wand und das Küchenmodul mit Backofen

Was war dein interessantestes Projekt?

Ich habe viele interessante Projekte, die ich alle mag. Jedes ist besonders (lacht). Besonders spannend war das Stadtbad in Krefeld. 

Warum war das Stadtbad spannend für dich?

Spannend war, mit der unteren Denkmalbehörde und der Stadt Krefeld zu überlegen, wie wir die identitätsstiftenden Merkmale finden, denn alle Oberflächen mussten erneuert werden. Das Bad hatte so viele Schadstoffe. Ein Ingenieur für Schadstoffe hat alles untersucht und leitete die Baustelle, damit fachgerecht saniert wird und nachher alles schadstofffrei ist. Die Farben der Holztüren enthielten PCB, deshalb mussten die ganz runter.

Auch der Putz musste runter. Er war ist durch die ebenfalls PCB-haltige Wandfarbe sekundär belastet und durch nachträgliche Spachtelungen asbesthaltig. Auch waren wir neugierig, was wir durch die Abtragung von Putzschichten noch erfahren können. Die erste Schicht, die bauzeitliche, hat uns darüber am meisten erzählt. Sie hat uns gezeigt, was es damals für eine Gestaltungsidee gab: Der Hauptflur war ganz bunt und die Nebenflure einfach und schlicht.

14 Das Stadtbad Krefeld von 1890 ist eines der größten Jugendstilbäder Deutschlands
15 Mit der Denkmalbehörde machte ich mich auf die Suche nach der Identität des historischen Orts und der Ausarbeitung von Richtlinien für die zukünftige Planung mit möglichst viel Erhalt goldener Energie
16 Wegen Schadstoffen musste der gesamte Putz abgeschlagen werden. Die händisch gezeichnete Abstraktion über Baustellenbilder zeigt die bauzeitliche Farbfassung im Flur des Bädertrakts
17 Das Deckengewölbe des Wandelgangs ist relativ bunt und mit viel Stuck verziert
18 Perspektive des Mittelgangs zwischen den beiden Lichthöfen

Schadstoffe sind ja auch spannende baubiologische Fragen …

… genau. Schadstoffbelastete Oberflächen müssen entfernt werden. Und da bin dann ich wieder gefragt, weil ich den Bestandsschutz mache. Dazu fotografiere und katalogisiere ich die betreffenden Räume: Großkeramiken, historische Fliesen, jeden Lichtschalter und vieles mehr. Auch wenn etwas eingelagert wird, kann man es jederzeit wieder exakt zuordnen.

Bei der Bestandserfassung erschließt sich auch der Charakter eines Gebäudes. Was macht ihn aus und worauf sollte man bei der späteren Planung achten, dass er nicht verloren geht? Was macht die goldene Energie aus?

Jetzt machst du mich aber neugierig – was verstehst du unter goldener Energie?

Viersen liegt ja eher in einer strukturschwächeren Region. Wie geht es aktuell der Bauwirtschaft dort?

In den Baustoffen ist graue Energie enthalten – die Energie, mit der sie produziert und eingebaut wurden. Der Begriff „goldene Energie“, wie ihn die Bundesstiftung Baukultur geprägt hat, soll verdeutlichen, dass Bestandsgebäude und ihre Bauteile neben der grauen Energie auch immaterielle und kulturelle Werte enthalten, mit sozialem, atmosphärischem, emotionalem und gestalterischem Mehrwert. Das alles unterstützt die Heimatverbundenheit und -liebe. Diese Energie überträgt sich ja auf uns Menschen und bewirkt, dass wir gerne wieder zurückkommen. 

Du propagierst „regionaltypische Baustile in moderner Umsetzung“. Was ist ein gutes Beispiel dafür?

Die Architektenkammer NRW hat dazu einen Flyer herausgegeben. Auch das Wohnhaus Denkler Jakob von Nikolaus Bienefeld finde ich ein gelungenes Beispiel. Grundsätzlich gilt, in früheren Zeiten genutzte Materialien auch wieder in das moderne Bauen einzubringen.

Aktuell ist es in den meisten Büros eher ruhig. Die Kunden verschieben das Bauen und Sanieren, auch wenn die Zinsen gerade wieder günstiger werden. Ich hoffe, dass sich das wieder erholt.

19 Die goldene Energie von Bestandsgebäuden und ihren Bauteilen ist ihr sozialer, atmosphärischer, emotionaler und gestalterischer Mehrwert
20 Regionaltypische Architekturform in regionaler moderner Umsetzung – wie beim Wohnhaus Denkler-Jakobs von Nikolaus Bienefeld mit Backsteinen, breiten Fugen und Rollschicht über den Fenstern sowie Fensterbänke aus Blei

Wie wirst du in dieser Situation mit deinen baubiologischen Themen sichtbar. 

Ich finde es total wichtig, zu Netzwerken. Deshalb ziehe ich demnächst in ein altes Kontorgebäude, ein Denkmal, das zu einer Fabrik gehörte und dessen Nutzungsänderung ich begleite. Dort entstehen über 20 kleine Büros für nachhaltige Firmen, von der Social Media Agentur bis zu  Personal Coaching. Die Mieter rennen dem Besitzer die Bude ein, weil sie gerne in diesem alten Gebäude mit Charisma arbeiten wollen. Ich ziehe mit meiner Baubiologischen Beratungsstelle IBN und meinem Architekturbüro in eine Art Atelier mit großen Fenstern.

Du hast auf deiner Internetseite stehen, dass du Eigenbauleistungen ermöglichst. Ist das eine häufige Anfrage?

Ja, eigentlich immer. Ich habe hiesige Handwerksbetriebe, die dann die Anleitung übernehmen und die Bauherren begleiten. Je nach handwerklichem Geschick machen die mehr oder weniger. Es gibt auch Kunden, die nur den Abbruch übernehmen. Das ist körperliche Schwerstarbeit. Wenn man das nicht gewohnt ist, muss man das erst einmal in einem Teilbereich ausprobieren, bevor man sie für einen großen Teil einplant.

Das heißt, du bist auch in diesem Bereich erfahren?

Ja, das kann man so sagen. Deshalb wenden sich die Leute auch an mich, weil ich mich traue, das zu organisieren.

Vielen Dank für das Interview!

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Bild 1-18: Sonja Palmer
Bild 19: Bundesstiftung Baukultur
Bild 20: Achim Pilz

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