Baubiologie im Spiegel der Rechtsprechung

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Damit baubiologisches, also gesundes und nachhaltiges Bauen und Sanieren wirklich gelingt, ist Wissen rund um die Rechtsprechung unverzichtbar.

Autor

Dr. Elmar

Liese

Rechtsanwalt in Berlin, spezialisiert auf Schadstoffe im Immobilienbestand, Altlastenrecht, Umweltrecht, bundesweit tรคtig.

Baubiologie als Gegenstand der Gesetzesanwendung

Baubiologie und Rechtsprechung – was kรถnnte das miteinander zu tun haben? โ€žBaubiologieโ€œ wird verstanden als die Lehre von den ganzheitlichen Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer gebauten Umwelt.1 GemรครŸ Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Grundgesetz (GG) ist โ€žRechtsprechungโ€œ zunรคchst die dritte Gewalt im Staat und an Gesetz und Recht gebunden. Was Rechtsprechung tatsรคchlich ist, sagt uns das Grundgesetz nicht. Vielmehr enthรคlt es (lediglich) organisationsrechtliche Vorschriften etwa Zustรคndigkeiten betreffend.2 Rechtsprechung in diesem – organisationsrechtlichen – Sinn liegt immer vor, wenn der Gesetzgeber ein gerichtsfรถrmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhรคngige Gerichte herbeifรผhren kรถnnen. Kennzeichen rechtsprechender Tรคtigkeit ist daher typischerweise die letztverbindliche Klรคrung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren.3 Die hier gestellte Frage fรผhrt daher zur Rolle der Baubiologie bei der Klรคrung der Rechtslage in einem Streitfall zurรผck. Die Klรคrung dieser Rechtslage obliegt den Richtern.4 Artikel 97 Absatz 1 GG bestimmt, dass Richter nur dem Gesetz unterworfen sind. Ihre Aufgabe ist folglich die Gesetzesanwendung.

Gesetzlicher Fokus

Baubiologie als solche ist kein Gesetz. Dennoch sind die Beziehungen zwischen Mensch und gebauter Umwelt gesetzlich reglementiert. Steht die Baubiologie – wo notwendig – im Fokus der Justiz? Der Blick in juristische Urteilsdatenbanken zeigt – das ist nicht der Fall. Baubiologie als begriffliche Disziplin ist dort schlicht unbekannt. Baubiologische Messtechniken nutzen dem Menschen, nicht etwa Verordnungen, dozierte Maes5 schon im Jahr 2000 zum SBM6. Gleichzeitig nimmt er Bezug auf โ€žArt. 3 Bauordnungโ€œ7. Treffender ist ยง 13 Satz 1 MBO: โ€žBauliche Anlagen mรผssen so โ€ฆ beschaffen โ€ฆ sein, dass durch โ€ฆ chemische, physikalische oder biologische Einflรผsse Gefahren oder unzumutbare Belรคstigungen nicht entstehenโ€œ. Da sind sie also, die ganzheitlichen Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer gebauten Umwelt.

Schutzzweck dieser quasi bundeseinheitlichen8 Norm sind die Bewohner/Nutzer des Gebรคudes.9 Ihre Konkretisierung findet diese Beziehung in den technischen Baubestimmungen gemรครŸ ยง 85a MBO. Grundanforderungen an Bauwerke in diesem Sinne sind etwa Gesundheit und Umweltschutz (MVV TB 2023/1 A 310). Darunter fallen auch baubiologische Erkenntnisse etwa zum Umgang mit Asbest oder PCP. Technische Baubestimmungen definieren die Rechtspflichten der am Bau Beteiligten, indem sie technische Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausfรผhrung zur Erfรผllung der materiell-rechtlichen Anforderungen der Bauordnung stellen.11

Baubiologie in der Rechtsanwendung

Bauordnungsrecht ist klassisches Abwehrrecht (gegen den Staat). Adressiert ist das Bauordnungsrecht an den Bauherrn (ยง 52 MBO). Hinzu kommen weitere am Bau Beteiligte, etwa Nachbarn. Thematisch geht es um bauliche Anlagen und Bauprodukte (ยง 1 Satz 1 MBO). Baubiologisch liegt der Fokus auf den Bauprodukten. Das sind etwa Baustoffe (ยง 2 Absatz 10 MBO). Zum Baustoff Asbest im Bestand hat sich der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2009 grundlegend geรคuรŸert. Der Senat fรผhrt im Urteil aus: โ€žDemgegenรผber ist das Vorliegen eines (โ€ฆ) Mangels bei der Kontaminierung eines Grundstรผcks mit so genannten Altlasten, deren Gefรคhrdungspotenzial ursprรผnglich als nicht gegeben oder nur als geringfรผgig eingestuft, nunmehr aber als gravierend erkannt worden ist, zumindest in der Regel anzunehmen.โ€œ Der BGH geht bezรผglich Asbests weiter davon aus, dass โ€ždie ernsthafte Gefahr besteht, dass Stoffe mit einem erheblichen gesundheitsgefรคhrdenden Potenzial im Rahmen der รผblichen Nutzung des Kaufobjekts austreten.โ€œ12 Dass Asbest krebserregend ist, wird vom Gericht unterstellt. Man wird hier davon ausgehen kรถnnen, dass diese Tatsache gerichtsbekannt ist (ยง 291 ZPO). Transparenter ist da etwa das AG Trier, das sich hinsichtlich der Beurteilung des Einbringens von Insektiziden in eine Wohnung zwecks Schรคdlingsbekรคmpfung auf ein umweltmedizinisches Fachgutachten beruft.13 In diesem Kontext wird also auf wissenschaftliche Erkenntnisse Bezug genommen. Anders das OLG Hamm.14 In einer wettbewerbsrechtlichen Angelegenheit untersagte das Gericht die Werbung fรผr eine โ€žbaubiologische Gesundheitsberatungโ€œ. Der Unternehmer warb mit der Aussage โ€žErdstrahlen & Elektrosmog kรถnnen die Ursache sein fรผr Probleme wie: Schlafstรถrungen โ€ฆ Immunschwรคche โ€ฆ Krebs und vieles mehr …โ€œ.  Das Gericht geht in seiner Urteilsbegrรผndung von einer โ€žWerbung mit ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Gesundheitsbereichโ€œ aus. โ€žAuf diesen ungesicherten Forschungsstandโ€œ mรผsse hingewiesen werden.

Ausblick

Dieser kurze Ausflug zur Relevanz der Baubiologie in die Rechtsprechung zeigt die Spannweite der Thematik: Diese reicht von harten wissenschaftlichen Fakten bis hin zu pseudowissenschaftlichen Aussagen. Diese Spannweite zeigt zugleich das Dilemma der Nutzung baubiologischer Erkenntnisse fรผr die Rechtsprechung. Um die hier beschriebene Relevanz der Baubiologie zu erhรถhen, ist meines Erachtens zweierlei notwendig: 1. baubiologische Erkenntnisse sollten als solche erkennbar und belastbar sein; vor Gericht geht es um Fakten und deren Beweisbarkeit; 2. Es ist Aufgabe der Rechtsanwรคlte, bei der Unterbreitung des Sachverhalts fรผr das Gericht baubiologische Fakten zum Nutzen der Mandanten heranziehen. Und Sachverstรคndige sollten den baubiologischen Kontext ihrer Analysen in Gutachten deutlicher machen. Beides sollte zu einer erhรถhten Transparenz der Disziplin โ€žBaubiologieโ€œ in der Rechtsprechung zum Nutzen der Betroffenen fรผhren.

Kommentar des IBN

Um die Relevanz der Baubiologie in der Rechtsprechung zu erhรถhen, hรคlt Rechtsanwalt Dr. Elmar Liese es u.a. fรผr erforderlich (siehe Ausblick),

  • dass โ€žbaubiologische Erkenntnisse als solche erkennbar und belastbar sindโ€œ und
  • dass โ€žSachverstรคndige den baubiologischen Kontext ihrer Analysen in Gutachten deutlicher machenโ€œ.

Diese Ratschlรคge sind auch Grundlage der Arbeit des IBN. So nutzen wir im Rahmen unserer Weiterbildungs- und ร–ffentlichkeitsarbeit i.d.R. wissenschaftliche oder messtechnisch ermittelte Erkenntnisse und informieren in diesem Sinne auch unsere Baubiologinnen und Baubiologen IBN.

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1 https://baubiologie.de/wissen/ueber-die-baubiologie/.
2 Siehe Art. 92 ff. GG.
3 BVerfG, Urteil vom 08.02.2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 (136โ€‰ff).
4 Art. 92 GG.
5 http://www.sbm-standard.de/VORTRAG%20STANDARD%20KURZ.PDF.
6 Standard der Baubiologischen Messtechnik.
7 Gemeint ist ยง 3 MBO.
8ย  Exempl. ยง 3 BauO NRW, ยง 13 SรคchsBO.
9 Nolte/Thum, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 11 Rn. 2.
10 Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen 2023/1 v. 10.05.2023 des Deutschen Instituts fรผr Bautechnik (DIBt) gemรครŸ ยง 85a Abs. 5 MBO.
11 Hofer, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 81a Rn. 15.
12 V ZR 30/08.
13 6 C 549/00.
14 4 U 59/04.

Titelbild: Pixelio, Martin Moritz

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Dr. Elmar

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