Baubiologie im Spiegel der Rechtsprechung
Baubiologie als Gegenstand der Gesetzesanwendung
Baubiologie und Rechtsprechung – was könnte das miteinander zu tun haben? „Baubiologie“ wird verstanden als die Lehre von den ganzheitlichen Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer gebauten Umwelt.1 Gemäß Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Grundgesetz (GG) ist „Rechtsprechung“ zunächst die dritte Gewalt im Staat und an Gesetz und Recht gebunden. Was Rechtsprechung tatsächlich ist, sagt uns das Grundgesetz nicht. Vielmehr enthält es (lediglich) organisationsrechtliche Vorschriften etwa Zuständigkeiten betreffend.2 Rechtsprechung in diesem – organisationsrechtlichen – Sinn liegt immer vor, wenn der Gesetzgeber ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung vorsieht und den dort zu treffenden Entscheidungen eine Rechtswirkung verleiht, die nur unabhängige Gerichte herbeiführen können. Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit ist daher typischerweise die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren.3 Die hier gestellte Frage führt daher zur Rolle der Baubiologie bei der Klärung der Rechtslage in einem Streitfall zurück. Die Klärung dieser Rechtslage obliegt den Richtern.4 Artikel 97 Absatz 1 GG bestimmt, dass Richter nur dem Gesetz unterworfen sind. Ihre Aufgabe ist folglich die Gesetzesanwendung.
Gesetzlicher Fokus
Baubiologie als solche ist kein Gesetz. Dennoch sind die Beziehungen zwischen Mensch und gebauter Umwelt gesetzlich reglementiert. Steht die Baubiologie – wo notwendig – im Fokus der Justiz? Der Blick in juristische Urteilsdatenbanken zeigt – das ist nicht der Fall. Baubiologie als begriffliche Disziplin ist dort schlicht unbekannt. Baubiologische Messtechniken nutzen dem Menschen, nicht etwa Verordnungen, dozierte Maes5 schon im Jahr 2000 zum SBM6. Gleichzeitig nimmt er Bezug auf „Art. 3 Bauordnung“7. Treffender ist § 13 Satz 1 MBO: „Bauliche Anlagen müssen so … beschaffen … sein, dass durch … chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen“. Da sind sie also, die ganzheitlichen Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer gebauten Umwelt.
Schutzzweck dieser quasi bundeseinheitlichen8 Norm sind die Bewohner/Nutzer des Gebäudes.9 Ihre Konkretisierung findet diese Beziehung in den technischen Baubestimmungen gemäß § 85a MBO. Grundanforderungen an Bauwerke in diesem Sinne sind etwa Gesundheit und Umweltschutz (MVV TB 2023/1 A 310). Darunter fallen auch baubiologische Erkenntnisse etwa zum Umgang mit Asbest oder PCP. Technische Baubestimmungen definieren die Rechtspflichten der am Bau Beteiligten, indem sie technische Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausführung zur Erfüllung der materiell-rechtlichen Anforderungen der Bauordnung stellen.11
Baubiologie in der Rechtsanwendung
Bauordnungsrecht ist klassisches Abwehrrecht (gegen den Staat). Adressiert ist das Bauordnungsrecht an den Bauherrn (§ 52 MBO). Hinzu kommen weitere am Bau Beteiligte, etwa Nachbarn. Thematisch geht es um bauliche Anlagen und Bauprodukte (§ 1 Satz 1 MBO). Baubiologisch liegt der Fokus auf den Bauprodukten. Das sind etwa Baustoffe (§ 2 Absatz 10 MBO). Zum Baustoff Asbest im Bestand hat sich der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2009 grundlegend geäußert. Der Senat führt im Urteil aus: „Demgegenüber ist das Vorliegen eines (…) Mangels bei der Kontaminierung eines Grundstücks mit so genannten Altlasten, deren Gefährdungspotenzial ursprünglich als nicht gegeben oder nur als geringfügig eingestuft, nunmehr aber als gravierend erkannt worden ist, zumindest in der Regel anzunehmen.“ Der BGH geht bezüglich Asbests weiter davon aus, dass „die ernsthafte Gefahr besteht, dass Stoffe mit einem erheblichen gesundheitsgefährdenden Potenzial im Rahmen der üblichen Nutzung des Kaufobjekts austreten.“12 Dass Asbest krebserregend ist, wird vom Gericht unterstellt. Man wird hier davon ausgehen können, dass diese Tatsache gerichtsbekannt ist (§ 291 ZPO). Transparenter ist da etwa das AG Trier, das sich hinsichtlich der Beurteilung des Einbringens von Insektiziden in eine Wohnung zwecks Schädlingsbekämpfung auf ein umweltmedizinisches Fachgutachten beruft.13 In diesem Kontext wird also auf wissenschaftliche Erkenntnisse Bezug genommen. Anders das OLG Hamm.14 In einer wettbewerbsrechtlichen Angelegenheit untersagte das Gericht die Werbung für eine „baubiologische Gesundheitsberatung“. Der Unternehmer warb mit der Aussage „Erdstrahlen & Elektrosmog können die Ursache sein für Probleme wie: Schlafstörungen … Immunschwäche … Krebs und vieles mehr …“. Das Gericht geht in seiner Urteilsbegründung von einer „Werbung mit ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Gesundheitsbereich“ aus. „Auf diesen ungesicherten Forschungsstand“ müsse hingewiesen werden.
Ausblick
Dieser kurze Ausflug zur Relevanz der Baubiologie in die Rechtsprechung zeigt die Spannweite der Thematik: Diese reicht von harten wissenschaftlichen Fakten bis hin zu pseudowissenschaftlichen Aussagen. Diese Spannweite zeigt zugleich das Dilemma der Nutzung baubiologischer Erkenntnisse für die Rechtsprechung. Um die hier beschriebene Relevanz der Baubiologie zu erhöhen, ist meines Erachtens zweierlei notwendig: 1. baubiologische Erkenntnisse sollten als solche erkennbar und belastbar sein; vor Gericht geht es um Fakten und deren Beweisbarkeit; 2. Es ist Aufgabe der Rechtsanwälte, bei der Unterbreitung des Sachverhalts für das Gericht baubiologische Fakten zum Nutzen der Mandanten heranziehen. Und Sachverständige sollten den baubiologischen Kontext ihrer Analysen in Gutachten deutlicher machen. Beides sollte zu einer erhöhten Transparenz der Disziplin „Baubiologie“ in der Rechtsprechung zum Nutzen der Betroffenen führen.
Kommentar des IBN
Um die Relevanz der Baubiologie in der Rechtsprechung zu erhöhen, hält Rechtsanwalt Dr. Elmar Liese es u.a. für erforderlich (siehe Ausblick),
- dass „baubiologische Erkenntnisse als solche erkennbar und belastbar sind“ und
- dass „Sachverständige den baubiologischen Kontext ihrer Analysen in Gutachten deutlicher machen“.
Diese Ratschläge sind auch Grundlage der Arbeit des IBN. So nutzen wir im Rahmen unserer Weiterbildungs- und Öffentlichkeitsarbeit i.d.R. wissenschaftliche oder messtechnisch ermittelte Erkenntnisse und informieren in diesem Sinne auch unsere Baubiologinnen und Baubiologen IBN.
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Über die Baubiologie
Die Baubiologie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebäude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Für einen schnellen, aufschlussreichen Überblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhältlich.
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