Was ist Baubiologie?

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Interview mit Arch. Winfried Schneider, Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Herr Winfried Schneider, was ist Baubiologie?

Die Baubiologie beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf den Menschen in seiner gebauten Umgebung und verbindet Ökologie, Nachhaltigkeit und Gesundheit mit Architektur und Gestaltung. Ziel der Baubiologie ist es, eine gesunde, nachhaltige, schöne und soziale Wohn- und Arbeitsumwelt zu schaffen.

Was ist baubiologisches Bauen und wie lässt es sich kurz umreißen?

Beim ökologischen Bauen geht es oft nur um den Energieverbrauch eines Gebäudes, um den Energieträger zur Beheizung und um die Ökobilanz von Baustoffen, das heißt den Lebensweg der Baustoffe vom Rohstoff bis hin zur Wiederverwertung oder Entsorgung. Holz z.B. hat eine deutlich bessere Ökobilanz als Stahlbeton. Solarenergie ist erheblich umweltverträglicher als Erdöl. Beim baubiologischen Bauen werden darüber hinaus auch gesundheitliche und soziale Aspekte berücksichtigt.

Kann man auch ökologisch aber nicht gesund bauen?

Ja, es werden immer mehr Gebäude erstellt, die mit sehr wenig Energie auskommen, z.B. sogenannte Passiv- oder Plusenergiehäuser. Die soeben angesprochene Ökobilanz der Baustoffe, der Energieträger zur Beheizung und gesundheitliche Aspekte spielen aber bei deren Konzeption oft keine oder nur eine zweitrangige Rolle. Baubiologisch bauen und sanieren bietet also einen erheblichen Mehrwert.

Welche Materialien sind empfehlenswert?

Wir empfehlen vorrangig nachwachsende und mineralische Materialien wie z.B. Holz, Hanf, Lehm und Kalk.

Worauf ist noch zu achten bei der Planung baubiologischer Bauten?

Einen guten Überblick erhält man mit den „25 Leitlinien der Baubiologie“ sowie dem „Standard der Baubiologischen Messtechnik“.

Gibt es weitere Normen oder Richtlinien dazu?

Es gibt weit verstreut viele Einzelvorschriften, die auch baubiologischen Anforderungen entsprechen. So heißt es z.B. im deutschen Baugesetzbuch: “Die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse … sind zu berücksichtigen.” Weitere Institutionen, die mir spontan einfallen, sind die AGÖF, der VDI, das Umweltbundesamt, die ARGE-Bau, das BGA, das Bundesamt für Strahlenschutz, die WHO usw.

Eine Gesamtschau im ganzheitlichen Sinne bieten aber bislang nur wir und einige baubiologische Partnerinstitutionen und Experten im In- und Ausland, wie sie z.B. auf unserer Internetseite baubiologie-verzeichnis.de zu finden sind.

Wie sieht es mit den Kosten aus? Muss man mit deutlichen Mehrkosten rechnen?

Persönlich ist es mir ein sehr wichtiges Anliegen, dass baubiologisches Bauen auch kostengünstiges und sozialverträgliches Bauen und Wohnen ist. Viele baubiologische Gebäude werden mit einfachen und kostengünstigen Materialien wie z.B. Holz, Lehm- und Kalkprodukten und einer einfachen Haustechnik erstellt. Trotzdem ist baubiologisches Bauen häufig etwa 10 % teurer, v.a. weil aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen auf bessere Qualität geachtet wird. Diese Mehrkosten amortisieren sich i.d.R. innerhalb von ca. 15 Jahren. Langfristig hat man also Kostenvorteile und obendrein ein gesundes und wohltuendes Wohn- und Arbeitsumfeld.

Baustelle “Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN”

Was wird oft falsch gemacht?

Viele Neubauten kann man aus baubiologischer Sicht als „Bausünden“ bezeichnen. Viele der heute verwendeten Baustoffe und Bauweisen sind nicht nur mit Umweltproblemen verbunden, sondern können auch zu Schlafstörungen, Beschwerden und nicht selten zu Krankheiten führen.

Gab und gibt es konkrete Beispiele?

Die Liste ist leider lang und so kann ich hier nur einige Beispiele nennen: Asbest, andere lungengängige Fasern und Feinstäube, Lösemittel, Formaldehyd, Weichmacher, Pestizide, Schwermetalle, Schimmelpilze, Radongas, Elektrosmog, schlechte Beleuchtung, schlechtes Raumklima usw.

Warum braucht es Ihres Erachtens Baubiologen?

Wir sehen ausgebildete Baubiologen als „Haus-Ärzte“. Nur sie haben einen Überblick über die komplexen Zusammenhänge, die für ein wirklich gesundes und nachhaltiges Bauen und Wohnen zu beachten sind. Deshalb sind Bauherren gut beraten, neben anderen Fachleuten wie z.B. Architekten, Statiker oder Haustechniker auch qualifizierte Baubiologen zu beauftragen.

Was machen Baubiologen in der Planung und während der Bauphase?

Baubiologen sind in alle Leistungsphasen integriert, die zur Planung und Erstellung eines Gebäudes nötig sind. Das sind komplexe Leistungen, deren Beschreibung den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. Deshalb hierzu nur einige Beispiele: Grundstücksauswahl und -bewertung / städtebauliche Kriterien / Raumproportionen / Farben und Lichtverhältnisse (natürliches und künstliches Licht) / Baustoffauswahl / Raumklima / Schallschutz / Lüftung / Reduzierung elektromagnetischer Felder und Funkwellen / Schadstoffmessungen / energiesparendes Bauen und Sanieren / Nutzung erneuerbarer Energiequellen / Trinkwasserqualität…

Wie sieht es aus, wenn ich Altbestand saniere und nicht neu baue?

Die meisten Menschen empfinden die Kombination von alt und neu als schön und bereichernd. Deshalb, aber auch aus ökologischen Gründen, lohnt es sich, wertvollen Altbaubestand zu restaurieren. Häufig findet man allerdings im Altbestand schlimme Bausünden, wie z.B. hochgiftige Holzschutzmittel, Formaldehyd, PAKs, Asbest, Schimmel, Elektrosmog, hohen Energieverbrauch… Ausgebildete Baubiologen finden diese Belastungen und können Sanierungen fachgerecht betreuen. In Einzelfällen müssen sie leider zum Abriss und neu Bauen raten.

Wodurch wird ein Wohlbefinden beim Bewohner erzielt?

Das Wohlbefinden kann durch die Verwendung natürlicher und ästhetisch ansprechender Materialien, die häufig auch gut riechen und Feuchtigkeit puffern können, spürbar verbessert werden. Weitere Kriterien sind hohe Oberflächentemperaturen wie etwa durch Wandheizung, gute Luftqualität, naturgemäße Licht- und Beleuchtungsverhältnisse, überwiegend natürliche dezente Farben, gute Akustik…

Baustelle “Institut für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN”

Mit welchen Giften hat man in Gebäuden zu tun?

Das Spektrum ist enorm und es kommt sehr darauf an, ob es sich um Alt- oder Neubauten handelt. Häufig findet man z.B. Formaldehyd, Lösemittel, Pestizide, Schwermetalle, Asbest, Feinstaub, Schimmel, Bakterien, Allergene z.B. von Hausstaubmilben, aber auch starke Elektrosmog-Belastungen. Mehr hierzu unter sbm.baubiologie.de

Wie sieht es mit der Haustechnik aus und wie wichtig ist diese?

Der Technikbedarf ist je nach Gebäude und Mensch sehr unterschiedlich. Es gibt gute Gründe für Lowtech, aber auch für Hightech. Welche Technik wo, für wen und wie eingesetzt wird, sollte im Einzelfall entschieden werden. Damit man ein gutes Raumklima erzielt, den Elektrosmog bestmöglich reduziert oder auch das Trinkwasser eine optimale Qualität hat, ist eine baubiologische Begleitung der Haustechnikplanung und -ausführung in jedem Fall zu empfehlen.

Welche Technik kommt in baubiologischen Gebäuden zum Einsatz?

Empfehlenswert sind u.a. flächige Strahlungsheizungen wie eine wassergeführte Wandheizung, nach baubiologischen Kriterien erstellte Lüftungsanlagen, eine abgeschirmte Elektroinstallation zumindest im Schlafbereich – dabei Nieder- und Hochfrequenz beachten, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, Frischwassertechnik für das Brauchwasser, Regenwasserbewirtschaftung, Trinkwasserleitungen aus Edelstahl…

Ist es notwendig, Gesundheitsexperten zurate zu ziehen?

Oft macht es Sinn oder ist sogar dringend geboten, dass Baubiologen z.B. mit Ärzten, Umweltmedizinern oder Heilpraktikern zusammenarbeiten und umgekehrt. Auf diese Weise kann Menschen, die durch ihr Wohn- und Arbeitsumfeld bereits krank geworden sind, oft noch effektiver und zielgerichteter geholfen werden.

Ist das alles nicht etwas zu viel für Bauherren mit oft schmalem Geldbeutel?

Manchmal können nicht alle baubiologischen Kriterien erfüllt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht deshalb deren Optimierung im individuell machbaren Rahmen.

Vielen Dank für dieses Interview!

Winfried Schneider

Die Fragen beantwortete Winfried Schneider, Architekt und Geschäftsführer des Instituts für Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN in Rosenheim.

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2 Kommentare

  1. Insbesondere Ihren Hinweis auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit finde ich sehr wichtig. Leider zeigt die Praxis hier jedoch oft, dass die jeweiligen Beteiligten sich als alleinigen Experten für den wohngesunden Bau betrachten und ihr Kompetenzfeld fast schon eifersüchtig abschirmen.
    Beste Grße aus Freiburg
    J. Punge Bioraum GmbH

    Antworten
  2. Sehr gelungene Beschreibung unseres Berufsbildes

    Gruß aus dem Allgäu von

    Ingenieurbüro Baubiologie Müller
    Baubiologische Beratungsstelle (IBN)
    87746 Erkheim

    Antworten

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Titelbild: AdobeStock, tonktiti
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