Bauaushub – der neue Rohstoff

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Lehm als Baustoff bietet einen einzigartigen Vorteil: Er kann als Aushubmaterial gewonnen und für den Bau verwendet werden. Die direkte Nutzung des Aushubs bietet das Potenzial, die Bauwirtschaft nachhaltig zu transformieren und zukunftsweisende Ansätze für den Lehmbau zu fördern. Gründe genug, dieses Thema im Rahmen einer Diplomarbeit vertiefend zu untersuchen.

Autorin

Karolin

Wagner

Dipl.-Ing. Architektin, 2359 Berlin

Die Aushubverwertung im Lehmbau gewinnt zunehmend an Bedeutung – eine Thematik, mit der sich meine Diplomarbeit “wasted ground – Die Potenziale von Aushub im Lehmbau“ befasst.

Aus historischer Perspektive war die Verwertung von Aushubmaterial die gängige Praxis. Das regional verfügbares Material prägte die Vielfalt der Lehmbautechniken im deutschen Raum, die von Fachwerkbauten im Schwarzwald bis hin Lehmziegelhäusern in Nordwestdeutschland reichte. Mit der Industrialisierung wurde der Lehmbau in der Bauwirtschaft weitestgehend verdrängt und seit dieser Zeit vor allem in Notzeiten eingesetzt. So entstanden beispielsweise nach dem zweiten Weltkrieg ganze Siedlungen aus Stampflehm, die trotz der schnellen Errichtung bis heute bestehen.

Aktuell wächst das Bewusstsein für nachhaltige und regionale Baustoffe wieder. Lieferengpässe, Rohstoffknappheit und hohe Energiepreise führen zu einem Erwachen in der globalen Bauindustrie. Zudem eröffnen moderne Verarbeitungstechniken und logistische Fortschritte neue Möglichkeiten in der Aushubverwertung im Lehmbau und überwinden bisherige Einschränkungen in der Baustoffherstellung.

Bodenaushub als Verfüllung

Mit der Einführung der Ersatzbaustoffverordnung (EBV) im Jahr 2023 wurde Bauaushub unter bestimmten Voraussetzungen zur Verwertung freigegeben, was die Aushubverwertung auch im Bauwesen erleichtert.

Laut Bundesverband Baustoffe e. V. fielen in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt 122,1 Millionen Tonnen Bodenaushubmaterial an, was etwa 5 Millionen LKW-Ladungen entspricht. Etwa 85 Prozent des Aushubs wurden im übertägigen Bergbau verwertet, hauptsächlich zur Verfüllung von Kies-, Sandgruben und anderen Abgrabungen. Dabei wird allerdings auch der lehmige Aushub durch die Vermischung mit anderen Böden für den Lehmbau unbrauchbar. Auch einige Branchen der Baustoffindustrie nutzen bereits Aushubmaterial, wie etwa der Straßen- und Erdbau sowie die Hersteller von Beton- und Asphaltbaustoffen. Dabei liegt der Fokus jedoch hauptsächlich auf dem Recycling von Gesteinskörnungen, während Lehm bislang weitgehend ungenutzt bleibt.

Lehm als Baurohstoff

Die oft als Nachteil angeführte variierende Zusammensetzung von Lehm ist in Wirklichkeit eine Stärke des Rohstoffs. Sie ermöglicht eine vielseitige Anwendung in der Baustoffherstellung, eine breite Produktpalette als auch unterschiedliche Verarbeitungskonsistenzen. Dieses einmalige Potenzial gilt es effizient und nachhaltig zu nutzen. Aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung besteht jedoch in der Forschung noch immer ein Defizit in der systematischen Materialprüfung von Baulehm. Während die Prüfungen von Lehmbaustoffen annähernd dem Stand der Technik entsprechen und breit angewendet werden können, besteht noch Forschungsbedarf bezüglich der sogenannten Eignungsprüfung von Baulehm. Häufig wird angenommen, dass einfache Handversuche ausreichen, um die Verwertbarkeit von Aushubmaterial für den Lehmbau zu bewerten. In einer auf quantifizierbaren Daten basierenden Bauindustrie sind derlei Ansätze allerdings oft nicht ausreichend. Handversuche auf Basis von Erfahrungswerten können zwar erste Einschätzungen ermöglichen, jedoch tiefgehende Erkenntnisse über das komplexe Material lassen damit nicht gewinnen. Nur eine fundierte und verifizierbare Materialprüfung ist entscheidend für die gezielte Entwicklung von Lehmbaustoffen und ermöglicht einen nachhaltigen sowie materialgerechten Einsatz des Rohstoffs.

1 Aushub auf der Baustelle
2 Bauaushub als Abfall bei der Deponierung
3 Lehmhaltige Bodenschichten
4 Lehm als Laborprobe

Aushub in der Anwendung

Die Aushubverwertung im Lehmbau gewinnt an Bedeutung und weist aktuell zwei Ansätze auf: Während Pilotprojekte die Vorortverwertung erproben, verarbeiten einige spezialisierte Hersteller Bauaushub aus der Region zu Lehmbaustoffen für den Markt.

Ein Vorzeigeprojekt ist das Weleda-Logistikzentrum in Schwäbisch Gmünd. Die acht Meter hohen Stampflehmwände des Hochregallagers bestehen aus 3.000 m³ Aushubmaterial. Die Rezeptur entwickelte der Lehmbauexperte Christof Ziegert (ZRS Ingenieure GmbH), der zudem regelmäßige Qualitätskontrollen des Stampflehms durchführte. Jörg Meyer (Conluto) bereitete den Aushub mit einer selbst konzipierten mobilen Mischmaschine vor Ort auf. Dies ermöglichte eine effiziente Mischung von Baulehm und Zuschlagstoffen, die schichtweise in die Schalungen eingefüllt und mit pneumatischen Stampfern verdichtet wurde. Das Projekt überzeugt durch die innovative Nutzung regionaler Materialien und nachhaltiger Bauweisen.

Ein  Musterhaus des österreichischen Lehmbauexperten Andi Breuss in Niederösterreich zeigt die Vielseitigkeit der Aushubverwertung. Das Haus in Niederösterreich besteht aus einem eigens entwickelten Holz-Lehm-Verbundsystem und setzt Aushubmaterial damit großflächig ein. Im Wandaufbau sorgen gezielt abgestimmte Lehmschichten für ein optimales Zusammenspiel mit dem Holzbau – insbesondere in den Bereichen Brand- und Schallschutz, Diffusionsoffenheit, Speichermasse und Wärmedämmung. Ergänzt wird das Konzept durch den Einsatz von Lehmschüttungen, -estrich und -putz, wodurch eine beeindruckende Vielfalt nachhaltiger Baustoffe mit minimalem Energieaufwand zum Einsatz kommt.

5 Mischmaschine von Jörg Meyer zur Vorortaufbereitung
6 Verarbeitung beim Weleda Logistikzentrum
7 Lehm als vielseitiger Baustoff im Musterhaus von Andi Breuss
8 Herstellung von Wandelementen in horizontaler Lage

In der wachsenden Lehmbauindustrie zeigt sich die großdimensionierte Aushubverwertung als vielversprechend. Eine zentrale Baustoffgewinnung, wie bei Zement, erfordert durch die ortsgebundenen Ressourcen eine entsprechende Infrastruktur für Verarbeitungsprozesse und Transport. Die Aushubverwertung in der Lehmbauindustrie hingegen bietet Potenziale, die über die Herstellung ökologischer Materialien hinausgehen – nämlich die Möglichkeit, eine innovative und ressourcenschonende Materialwirtschaft innerhalb der Bauindustrie zu etablieren.

Potenziale der Aushubverwertung im Lehmbau

Die Nutzung von Aushubmaterial im Lehmbau bietet innovative Lösungsansätze für aktuelle Problemstellungen der Bauindustrie. Die Vermeidung doppelter Aushebungen von Bau- und Lehmgruben würde den Energieaufwand reduzieren, während der Flächenbedarf für Deponien und Rohstoffgewinnung sinken würde. Die Aushubverwertung würde die Ressourcenschonung fördern und damit der wachsenden Baurohstoffknappheit entgegenwirken. Ein wesentlicher Vorteil wäre die Reduzierung transportbedingter Emissionen durch die Vorortverwertung und dezentrale Verarbeitungsstätten.

Die Aushubverwertung im Lehmbau eröffnet Potenziale für nachhaltiges Bauen, die in der modernen Bauindustrie einmalig und alternativlos sind. Es erfordert Forschung und Innovation, um diese Potenziale weiterzuentwickeln – ihre Bedeutung für die Herausforderungen des heutigen Bauwesens ist jedoch eindeutig.

9 Aushub mit Potenzial – Lehm als Aushubmaterial des Großbauprojekts von Weleda (Schwäbisch Gmünd)
10 Auf der LEHM 2024 wurde die Diplomarbeit “wasted ground – Die Potenziale von Aushub im Lehmbau“ als eine von vier herausragenden akademischen Abschlussarbeiten ausgezeichnet

Stärker im Verein

Der Verein Young Earth Builders (YEB) befasst sich mit der Wissensweitergabe und Bewusstseinsschaffung für den Baustoff Lehm für Personen jeglichen Alters und Kenntnisstands – etwa durch Workshops, Diskussionsrunden und Vorträge.

Quellenangaben

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2 Kommentare

  1. Lehm aus der eigenen Baugrube ist wohl der Inbegriff des perfekten Baustoffkreislaufs. Von der Baugrube zum gesunden Wohngebäude und später wieder zurück und das alles ohne große Transportwege. Der Lehmbau wird in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen. Nicht zuletzt auch wegen der neuen DIN-Norm für tragendes Lehmsteinmauerwerk. Spannend!

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  2. Die lokale Verwendung von lehmhaltigem Bauaushub ist die große Hoffnung beim enkeltauglichen und baubiologischen Bauen. Vielen Dank für diesen spannenden Artikel.
    Felix Hilgert hat viele Projekte mit Aushub realisiert und ganz aktuell das Buch „Bauen mit Stampflehm“ im Detail Verlag veröffentlicht. Seine Projekte sind darin sehr gut dokumentiert.

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Bilder: Karolin Wagner

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Dipl.-Ing. Architektin, 2359 Berlin

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