Trocknungsreserve im Holzbau
Jede energetische Fachplanung, jeder EnEV-Nachweis fรผhrt ihn โnebenbeiโ mit: Den Feuchteschutz-Nachweis nach Glaser / DIN 4108-3. Und das ist auch gut so, bietet er doch ein einfaches Verfahren, mit dem Planer und Handwerker Konstruktionen auf ihre feuchtetechnische Funktionsfรคhigkeit รผberprรผfen zu kรถnnen. Auch im Holzbau, mit der seit รผber zwei Jahrzehnten bewรคhrten, nach auรen hin diffusionsoffenen Bauweise ist dies i. d. R. vรถllig unproblematisch. Anders sieht es jedoch aus bei auรen dampfdichten Konstruktionen. Moderne Flachdรคcher (normalerweise als Warmdach ausgefรผhrt), Steildรคcher oder Gauben mit Verblechung, aber auch Bestandsdรคcher aus den 1970ern (Bitumendachbahn auf Holzschalung unterhalb der Eindeckung), die nur von innen saniert werden sollen: Sie alle kรถnnen mit Glaser โpositivโ nachgewiesen werden. Wo liegt also das Problem?
Tรผcken des klassischen Feuchteschutznachweises
Schauen wir uns einmal das klassische 70er-Jahre-Dach an: Die Eindeckung ist noch in Ordnung, daher ist es nachvollziehbar, dass die Bauherren im Zuge der energetischen Sanierung das Dach oberhalb der Sparren nicht antasten wollen. Nun gut, wir entfernen den inneren Aufbau und die 6 cm alte KI-35-Mineralwolle (unter Beachtung der Schutzmaรnahmen nach TRGS 521!), montieren Sparrenexpander, um die Dicke der Wรคrmedรคmmung zu erhรถhen, dรคmmen die Gefache vollstรคndig aus und bauen vor der Innenbeplankung noch die gรผnstige PE-Bahn aus dem Baumarkt ein โ auรen relativ dampfdicht (Dachbahn V13), das ist uns klar, also sd = 100 m innen, โpasstโโฆ zumal es auf den ersten Blick entspr. Abb. 1 gut aussieht.
Schicht | Material | Dicke (mm) | ฮป[W/mK] | ฮผ | sd-Wert [m] | Breite [mm] |
1 | Dampfbremse sd = 100m | 0,1 | 2,300 | 1000000 | 100,000 | |
2 | Zwischensparrendรคmmung Mineralwolle | 200 | 0,040 | 1 | 0,200 | 500 |
Dachsparren KVH (Bestand + Aufdoppelung) | 200 | 0,130 | 50 | 4,000 | 80 | |
3 | Holzschalung (Bestand) | 20 | 0,130 | 50 | 0,400 | |
4 | Bitumendachbahn (Bestand) | 3 | 0,500 | 100000 | 300,000 |
Die Software meldet Tauwasserausfall zwischen Schicht 3 und Schicht 4, also auf der Oberseite der Holzschalung und gibt aus โDer Schichtaufbau erfรผllt die Anforderungen an den Feuchteschutzโ. Die Auswertung ergibt:
Tauwassermasse mT = 8 g/mยฒ (< 500 g/mยฒ โ Bedingung erfรผllt)
Verdunstungsmasse mV= 23 g/mยฒ (> mT โ Bedingung erfรผllt)
โPasstโ also? Leider nicht! Denn eine solche Berechnung der Diffusionsbilanz erfasst den wirklichen Dampftransport nur zu einem kleinen Teil. Laboruntersuchungen des Fraunhofer Instituts fรผr Bauphysik fรผhrten schon vor 30 Jahren zu der Erkenntnis, dass der Feuchtetransport per Konvektion (also รผber eine Luftstrรถmung) um ein Vielfaches รผber der Dampfdiffusion liegt.
Durch luftdichtes Bauen versucht man heute, konvektive Feuchteeintrรคge in die Konstruktion zu minimieren. Doch auch die beste handwerkliche Ausfรผhrung kann eine hundertprozentige Luftdichtheit nicht garantieren. Wer einmal einen Dachausbau im Altbau begleitet hat, weiร, wo die Probleme liegen. Dazu kommen Ausbildungsdefizite bzgl. luftdichter Installation bei Handwerkern. Restleckagen gibt es also immer, folglich muss zu deren Berรผcksichtigung eine Art Sicherheitspuffer geschaffen werden โ und diesen nennt man โTrocknungsreserveโ.
Sicherheitspuffer fรผr unplanmรครige Feuchteeintrรคge durch Konvektion
In diesem Sinne hat Hartwig Kรผnzel vom Fraunhofer IBP schon 1999 in seinem Beitrag โDiffusionsberechnung nach Glaser โ quo vadis?โ geschrieben:
“Untersuchungen an Holzkonstruktionen in Nordamerika haben ergeben, dass die Feuchtemenge, aufgrund von Luftkonvektion durch Undichtigkeiten in Auรenwรคnden auch bei fachmรคnnischer Ausfรผhrung in etwa der Menge entspricht, die wรคhrend der Tauperiode durch eine Dampfbremse mit einem sd-Wert von 3,3 m diffundiert. Auf deutsche Verhรคltnisse รผbertragen, resultiert daraus eine zusรคtzliche Tauwassermenge durch Luftkonvektion von ca. 250 g/m2 wรคhrend der Tauperiode. Es erscheint sinnvoll, diese Feuchtemenge beim Vergleich von Tauwassermenge und Verdunstungsmenge zumindest bei Holzkonstruktionen zu berรผcksichtigen.โ
Diese Empfehlung aus der Forschung hat mittlerweile Eingang in die Normen und Fachregeln gefunden, allen voran Teil 2 der Holzschutznorm, DIN 68800: Eine Trocknungsreserve von 250 g/m2a ist nun Voraussetzung fรผr die Zulรคssigkeit von Holzkonstruktionen im Dachbereich. Bei Auรenwรคnden sind es 100 g/m2a.
In diesem Sinne lรคsst sich feststellen, dass die o.g. Konstruktion nicht zulรคssig ist โ obwohl der Feuchteschutz nach DIN 4108-3 erfรผllt ist!
Aufpassen, welche Glaser-Version eingesetzt wird!
Doch Achtung: Da die aktuelle DIN 68800-2:2012 noch vor der derzeit aktuellen DIN 4108-3:2014-11 erschienen ist, bezieht sich die Berechnung noch auf die alte DIN 4108-3:2001- 07! Mit der neuen Norm kommen z. T. vollkommen andere Werte (oft hรถhere Tauwassermengen) heraus. Damit lรคsst sich die Trocknungsreserve nicht auswerten, denn diese wurde ja zu einem Zeitpunkt definiert, als das โalteโ Glaser-Verfahren noch aktuell war โ sie gilt also in Verbindung mit dessen Randbedingungen!
Wohl dem also, der dies in seiner Software frei wรคhlen bzw. umstellen kann! Warum? Wo liegt der Unterschied, was hat sich geรคndert?
Die alten โBlock-Klimarandbedingungenโ โ gemeint ist damit die vereinfachende Unterteilung in eine Tau- und Verdunstungsperiode mit jeweils stationรคren Temperaturen und Luftfeuchten โ der DIN 4108-3, welche seit 1981 bestehen und sich durchaus bewรคhrt haben, wurden 2014 ersetzt, obwohl dies in einer Arbeitsgruppe des Normenausschusses abgelehnt wurde. Denn der Normenausschuss sollte eigentlich das europรคische Glaserverfahren einfรผhren, was aber nicht wirklich gewollt war โ so musste man zumindest das Klima anpassen (und leider hat man dabei vergessen, die Anforderungen an Tauwasser- und Verdunstungsmengen anzupassen). Abb. 2 zeigt, wie die Randbedingungen bis 2014 aussehen. Die neuen Block-Klimarandbedingungen zeigt Abb. 3.
Also: Schritt 1 zum Nachweis der Trocknungsreserve ist nun das Umstellen auf das alte Glaser-Verfahren, sofern es die eingesetzte Software zulรคsst. Leider ist dies nicht bei allen Anbietern der Fall. Sprechen Sie ggf. den Hersteller- Support an!
Mit moderater Dampfbremse (meistens) zum Ziel
Wie kann man nun die Anforderungen fรผr eine Trocknungsreserve erfรผllen, ohne gleich das ganze Dach zu erneuern? Schauen wir einmal, was passiert, wenn wir die Dampfbremse mit dem sehr hohen sd-Wert von 100-m durch eine Dampfbremse mit einem moderaten sd-Wert von 2 m ersetzen:
Die Anwendung ermittelt einen Tauwasserausfall in den Schichten 2 und 3 (x = 201 … 221 mm) mit:
Tauwassermasse = 385 g/mยฒ und Verdunstungsmasse = 868 g/mยฒ
โ auch hier: โDer Schichtaufbau erfรผllt die Anforderungen an den Feuchteschutz.โ
Der Unterschied zum vorigen Beispiel ist: Die Differenz zwischen Verdunstungs- und Tauwassermasse liegt hier bei 483 g/m2, also fast das Zweifache der nach DIN 68800 geforderten Trocknungsreserve! Das ist u. a. der Grund, warum man schon lange von der alten Regel โWenn ich innen 100 m einbaue, dann brauche ich keinen Nachweis.โ Abstand genommen hat, die noch aus einer Zeit stammt, als die DIN 4108-3 u. a. auรen dampfdichte Dรคcher fรผr nachweisfrei erklรคrte, wenn sd,i โฅ 100 m eingebaut wurden. Diese Regeln fรผhrten in der Praxis zu beidseitig dampfdichten Konstruktionen. Heute kann man eine Dicht-Dicht-Konstruktion getrost als Planungsfehler bezeichnen, der zusammen mit mangelnder Luftdichtheit (Ausfรผhrungsfehler) fast zwangslรคufig zum Schaden fรผhrt.
Diese Konstruktion ist also nicht โschlechterโ als die andere, nur weil nach Glaser fast 50x mehr Tauwasser ausfรคllt, sondern im Gegenteil wesentlich besser im Sinne der Fehlertoleranz, bzw. รผberhaupt erst zulรคssig, weil die Trocknungsreserve eingehalten ist.
Einfluss der Verschattung
Wie das Glaser-Verfahren ist auch die Trocknungsreserve nach DIN 68800 ein Verfahren, das auf pauschalisierende Vereinfachungen beruht. In unseren Breitengraden kรถnnen wir jedoch meist davon ausgehen, dass wir damit auf der sicheren Seite liegen. Allerdings sind Sonderfรคlle wie starke Verschattungen oder alpines Klima damit nicht mehr sicher abgedeckt. So zeigen von Robert Borsch-Laaks angestellte Parameterstudien mit WUFIยฎ, dass selbst Konstruktionen, welche die Trocknungsreserve einhalten, unter Umstรคnden versagen kรถnnen, wenn das sommerliche Rรผcktrocknungspotential durch stark verminderte Sonneneinstrahlung erheblich eingeschrรคnkt ist. Deshalb soll nun noch der Fall betrachtet werden, wenn es sich bei unserer Konstruktion um die Nordseite eines Steildachs oder ein anderweitig verschattetes Dach handelt: Der โTrickโ ist nun, beim รผberprรผfen der Trocknungsreserve das Dach im Glaser-Verfahren als โAuรenwandโ zu rechnen, um somit die Erkenntnisse von Robert Borsch-Laaks zu berรผcksichtigen! Auch hier ist es gut, wenn die Software ein Dachbauteil in diesem Sinne ausreichend flexibel behandeln kann (siehe Abb. 5).
Nun bekommt unsere Dachkonstruktion ein Problem: Zwar sieht das Glaser-Diagramm immer noch unverรคndert aus wie in Abb. 4, und auch die Tauwassermasse liegt noch bei 385 g/m2, jedoch sinkt die Verdunstungsmasse dramatisch von 868 auf 278 g/m2. Damit ist nicht nur die Trocknungsreserve nicht mehr erfรผllt, sondern auch die Glaser-Bedingung selbst nicht, nรคmlich dass die Verdunstungs- รผber der Tauwassermasse liegen soll!
Und jetzt? Wer es einmal selbst mit dieser Konstruktion ausprobiert, wird leider feststellen, dass man hier mit Glaser nicht weiterkommt, es sei denn, man reduziert den รคuรeren sd-Wert von 300 auf 2 m (dann ist Glaser erfรผllt) bzw. auf 1 m (dann auch die Trocknungsreserve). Aber der รคuรere Dachaufbau sollte in unserem Beispiel ja unangetastet bleiben. Was jetzt die Konstruktion, oder besser gesagt, den Nachweis noch retten kann, ist der Einsatz einer feuchtevariablen Dampfbremse. Nur lรคsst sich diese mit Glaser leider nicht abbilden, was bedeutet, dass eine hygrothermische Simulation nach DIN EN 15026 (z. B. WUFIยฎ) erforderlich ist โ andere Baustelle bzw. Stoff fรผr einen Folgebeitrag!
So muss man beim Nachweis der Trocknungsreserve mit folgenden Einschrรคnkungen leben:
- Bei Verschattung wird der Nachweis oft schwierig bis unmรถglich.
- Bei Absorptionskoeffizienten a < 0,8 ist der Nachweis gar nicht erst zulรคssig (d. h. problematisch sind bspw. helle Abdichtungsbahnen bei Flachdรคchern, da diese ebenfalls das sommerliche Rรผcktrocknungspotential verringern).
Die gute Nachricht zuletzt
Wer baubiologisch plant und ausfรผhrt, setzt hรคufig auf Dรคmmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. Diese bieten in dem hier thematisierten Zusammenhang eine zusรคtzliche Sicherheit aufgrund ihrer Hygroskopizitรคt und Kapillaritรคt, d. h. durch ihr gegenรผber kรผnstlichen Faserdรคmmstoffen oder Kunststoffen stark verbessertes Vermรถgen, Feuchte zu puffern und so zu verteilen, dass eine schรคdliche Feuchteakkumulation, wenn รผberhaupt, erst wesentlich spรคter auftritt. Wenn dann noch die 2-m-Dampfbremse durch eine feuchtevariable Dampfbremse ersetzt wird, die im Sommer โaufโ macht und damit das Rรผcktrocknungspotential erhรถht, schafft man ein recht fehlertolerantes Bauteil. Den Beweis erbringt die Simulation!
Literaturhinweise:
- Helmut Wagner: Luftdichtigkeit und Feuchteschutz beim Steildach mit Dรคmmung zwischen den Sparren, in: Deutsche Bauzeitschrift DBZ 12 / 1989, S. 74.
- Hartwig M. Kรผnzel: Dampfdiffusionsberechnung nach Glaser โ Quo vadis? IBP Mitteilungen 355, Fraunhofer Institut fรผr Bauphysik, Stuttgart / Holzkirchen 1999.
- Robert Borsch-Laaks: Trocknungsreserven schaffen โ Einfluss des Feuchteeintrags aus Dampfkonvektion, in der Zeitschrift Holzbau โ Die neue Quadriga 1/2010
- AKรH โ Arbeitskreis รถkologischer Holzbau e. V. (Hg.): Holzschutz und Bauphysik. Tagungsband des 2. Internationalen Holz (Bau) Physik- Kongresses, Leipzig 2011
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