Innendämmung und Schutz vor tauwasserbedingten Feuchteschäden
Es gibt Situationen, in denen der bauliche Wärmeschutz von Außenwänden nur durch eine Dämmung auf der Innenseite verbessert werden kann. Da für den feuchtetechnischen Nachweis und die Bemessung der Innendämmung das als „Glaser“ bekannte Verfahren nach DIN 4108-3 nur in wenigen Ausnahmefällen belastbare Ergebnisse liefert, ist eine hygrothermische Simulation nach DIN EN 15026 (z. B. WUFI) meist unabdingbar. Diese verlangt jedoch umfangreiche Fachkenntnisse, die bei Planern und ausführenden Handwerkern i. d. R. nicht vorausgesetzt werden können). Die Beauftragung geeigneter Fachingenieure ist häufig mit nicht eingeplanten Kosten verbunden. Um hier eine praktikable Hilfestellung zu geben, hat die Arbeitsgruppe Innendämmung im Referat Bauphysik der WTA e. V. ein vereinfachtes, grafisches Bemessungsverfahren entwickelt, das, bei Einhaltung bestimmter Randbedingungen, auch von bauphysikalischen Laien erfolgreich eingesetzt werden kann.
Nachweisfreiheit und ihre Grenzen
Bauschaffende freuen sich immer, wenn sie es mit nachweisfreien Konstruktionen zu tun haben, denn es vereinfacht ihre Arbeit ungemein. Sogar Wände mit Innendämmung können nach DIN 4108-3:2014-11, Kapitel 5.3 „Bauteile, für die kein rechnerischer Tauwasser-Nachweis erforderlich ist“ nachweisfrei sein: „… Wände ohne Schlagregenbeanspruchung … mit einem Wärmedurchlasswiderstand der Innendämmung von R ≤ 0,5 m2K/W. Bei einem Wärmedurchlasswiderstand … von 0,5 < R ≤ 1,0 m2K/W ist ein Wert sd,i ≥ 0,5 m der Wärmedämmschicht einschließlich der raumseitigen Bekleidung erforderlich; das Einströmen von Raumluft in bzw. hinter die Innendämmung ist durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden.“
Wenn man allerdings die genannten R-Werte in Dämmschichtdicken übersetzt, wird schnell deutlich, dass sich die Nachweisfreiheit z. B. bei WLS 040 mit 2 cm Dämmstärke (max. 4 cm bei sd,i ≥ 0,5 m) gemessen an den heutigen Ansprüchen bzgl. Wärmeschutz sehr in Grenzen hält. Und auch die immer häufiger eingesetzten kapillaraktiven Dämmstoffe lassen sich aufgrund ihrer niedrigen Dampfdiffusionswiderstände kaum darüber abbilden.
Eine weitere Nachweisbefreiung bezieht sich speziell auf Innendämmung von Fachwerkwänden gemäß WTA-Merkblatt 8-5: „Die zusätzliche innere Wärmedämmung ohne weiteren Nachweis ist auf ΔRi= 0,8 m2K/W zu begrenzen. Die Eignung anderer Konstruktionen ist bauphysikalisch unter Beachtung der kapillaren Feuchteleitung gesondert nachzuweisen.“ Bezogen auf WLS 040 (wobei wir bei den für Fachwerk geeigneten Dämmstoffen doch eher bei WLS ≥ 060 liegen) bedeutet dies rechnerisch 3,2 cm Dämmstärke – was auch nicht sonderlich viel ist.
Was also tun, wenn mehr gefordert ist, die feuchtetechnische Bemessung per WUFI-Simulation aber zu aufwändig erscheint? Abhilfe schafft ein Werkzeug, das den Brückenschlag zwischen Nachweisfreiheit und Simulation bildet: Das vereinfachte Verfahren nach WTA-Merkblatt 6-4, entwickelt auf Basis einer großen Anzahl praktisch validierter Simulationsergebnisse.
Fachbegriffe und Formelzeichen
Hygrothermische Simulation | Verfahren (z. B. mittels Simulationsprogramm) zur Berechnung des gekoppelten Wärme- und Feuchtetransports in Bauteilen |
Kapillaraktiv | Zum Beispiel Baustoffe, die Feuchtigkeit gut kapillar weiterleiten können |
WLG | Wärmeleitgruppe (in 5er Schritten, z. B. WLG 040, WLG 045, …) |
WLS | Wärmeleitstufe (in 1er-Schritten, z. B. WLS 042, WLS 043, …) |
WTA | Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e. V. |
μ-Wert | Wasserdampfdiffusionswiderstand [ohne Einheit] |
R-Wert | Wärmedurchlasswiderstand [m2K/W] |
sd-Wert | Diffusionsäquivalente Luftschichtdicke [m] – (sd = μ . Schichtdicke d) |
U-Wert | Wärmedurchgangskoeffizient [W/m2K] |
w-Wert | Wasseraufnahmekoeffizient [kg/m2h0,5] bzw. [kg/m2√h] |
Sicherheit ohne Simulation
Mittels hygrothermischer Parameterstudien wurde der Zusammenhang zwischen der diffusionsäquivalenten Luftschichtdicke (sd,i) der Innendämmung inkl. Dampfbremse/Bekleidung, der Saugfähigkeit des Untergrundes (meist vorhandene Oberfläche) in Form des Wasseraufnahmekoeffizienten w [kg/m2√h] und der auf dieser Basis realisierbaren Verbesserung des Wärmedurchlasswiderstandes ΔR untersucht. Voraussetzung ist die Einhaltung des Mindestwärmeschutzes bei der unsanierten Bestandswand nach der DIN 4108-2 von 1952, also R ≥ 0,39 m2K/W. Die Ergebnisse wurden anhand realer Versuchsgebäude validiert und in ein Diagramm übertragen (siehe oben):
Zum besseren Verständnis wurden im Diagramm die der jeweiligen Verbesserung des Wärmedurchlasswiderstands entsprechenden Dämmstoffstärken bei einer Wärmeleitfähigkeit λ von 0,04 W/mK in blau angegeben. Bereits ohne in die tiefergehende Interpretation der Grafik zu gehen, ist gleich ersichtlich, dass bei saugenden bis hin zu mäßig wasserhemmenden „alten“ Innenoberflächen Dämmungen bis 10 cm – bei Einhaltung der weiter unten beschriebenen Randbedingungen – schadenfrei realisiert werden können, und dies bei moderaten inneren Sperrwerten von max. 1,5 m. Begründet liegt dies darin, dass bei einigermaßen saugfähigem Untergrund bis zu dieser Dämmstärke selbst bei tiefen Außentemperaturen Tauwasser, welches theoretisch nach Glaser an der Grenzfläche zwischen Innendämmung und Untergrund in flüssiger Form ausfallen müsste, tatsächlich schon lange vorher kapillar verteilt und somit „unschädlich“ gemacht wird, was heißt: Porenluftfeuchten im alten Innenputz unter 95 % und weniger als 30 Masse-% Materialfeuchte.
Etwas schwieriger wird es bei wasserabweisenden Untergründen wie z. B. wasserundurchlässigen Beton (WU-Beton): Maximal möglich wären nach der Grafik 8 cm Dämmung, was jedoch einen sd-Wert innen von 4 m erfordern würde. Angesichts der Erfahrungen mit Sperrwerten über 2 m bei leckagebedingtem, konvektivem Feuchteeintrag (Stichwort: nicht luftdichte Elektroinstallation) in Verbindung mit der Behinderung der sommerlichen Rücktrocknung, kann dies u. U. schon problematisch sein. 8 cm sollten also nur bei Sicherstellung einer peniblen Ausführung realisiert werden, ansonsten sollte man sich bei nicht saugenden Untergründen mit 4 bis 6 cm begnügen.
Zwingende Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des vereinfachten Nachweisverfahrens sind:
- Kein Feuchteeintrag aus Schlagregen (konstruktiver Schlagregenschutz, wasserabweisender Putz1)
- Bestandsmauerwerk erfüllt früheren (1952) Mindestwärmeschutz gem. DIN 4108
- Rvorh ≥ 0,39 m2K/W (z. B. 29 cm Vollziegel)
- Innenklima mit normaler Feuchtelast gemäß WTA-Merkblatt 6-2
- Mittlere Jahrestemperatur des Außenklimas ≥ 7 °C (z. B. Hamburg 9,4 °C, München 8,5 °C, Oberstdorf 7,1 °C)
Zur weiteren Veranschaulichung betrachten wir das Beispiel einer beidseitig verputzen Außenwand aus 30 cm Vollziegelmauerwerk. Der U-Wert beträgt 1,72 W/m2K, womit der „alte“ Mindestwärmeschutz erfüllt wäre: U < 1,79 W/m2K bzw. Rvorh = 1/U -(si + Rse) = (1/1,72 –(0,13+0,04) = 0,41 > 0,39) W/m2K. Der Schlagregenschutz sei gewährleistet ebenso wie die anderen Kriterien. Der Wasseraufnahmekoeffizient w der vorhandenen Oberfläche innen (Kalkzementputz) wurde mit 0,9 kg/2√h ermittelt. Angestrebt sind 8 cm Innendämmung. Aus dem Diagramm lesen wir heraus, dass der innere sd-Wert ≥ 1,5 m betragen muss.
Kapillaraktive Innendämmsysteme hingegen sind über das vereinfachte Verfahren nur schwer nachzuweisen: Sie sind dafür zu diffusionsoffen. So schreiben die Fachleute der WTA Arbeitsgruppe Innendämmung auch zu den Grenzen des Verfahrens im WTA-Merkblatt 6-4: „Bei Zweifeln an der Einhaltung der genannten Bedingungen … ist ein computergestützter Nachweis des gekoppelten Wärme- und Feuchtetransports nach den WTA-Merkblättern 6-1 und 6-2 zu führen.“ Sowie „Bei der Anwendung von sog. kapillaraktiven Innendämmsystemen wird ein genauer rechnerischer Nachweis dringend empfohlen.“
Das WTA-Merkblatt 6-4, in dem u. a. das vereinfachte Verfahren beschrieben ist
Also doch wieder Futter für die WUFI-Spezialisten? Nicht unbedingt: Nach wie vor haben Trockenbau-Innendämmsysteme mit (moderater!) Dampfbremse ihre Berechtigung. Und diese lassen sich unter Einhaltung der o. g. Voraussetzungen – d. h. meistens – mit dem hier vorgestellten Verfahren sicher nachweisen und bemessen. Dass dennoch die Wärmebrücken einer besonderen Betrachtung bedürfen, ist dabei selbstredend.
„Knackpunkte“ aus Sicht des Autors
Jedes Innendämmsystem steht und fällt mit dem Schlagregenschutz auf der Außenseite, wozu Kenntnisse sowohl des w- als auch sd-Wertes erforderlich sind. Und für das hier beschriebene Verfahren nach WTA muss man auch den w-Wert der alten und den sd-Wert der neuen Innenoberfläche kennen. Den sd-Wert kann jeder, der einmal den Fernlehrgang Baubiologie IBN absolviert hat, per Dampfdiffusionswiderstand (μ . Schichtdicke d) selbst ermitteln (zugegeben: im Bestand nicht immer einfach). Doch woher den w-Wert nehmen? Für historische Baustoffe liegen keine Herstellerwerte vor, manche sind zumindest aber in Datenbanken mit Baustoffkennwerten enthalten. Oft muss man den w-Wert jedoch objektbezogen ermitteln, sei es näherungsweise mittels Prüfröhrchen nach Karstens oder Pleyers oder Prüfplatte nach Franke oder „genau“ mit Beprobung nach DIN EN 15148, Bestimmung des Wasseraufnahmekoeffizienten bei teilweisem Eintauchen. Da das nicht jeder kann, ist ggf. doch wieder Hilfe von Fachleuten nötig, was als gewisse Einschränkung der Vereinfachung gesehen werden kann. Andererseits zeigt es deutlich, dass die Innendämmung nach wie vor kein Thema für „Do-it-yourself“ mit Baumarktmaterial ist, sondern einer intensiveren fachlichen Betrachtung bedarf.
Fazit
Mit dem vereinfachten Verfahren nach WTA-Merkblatt 6-4 wird Planern und Ausführenden – trotz der im vorigen Absatz aufgeführten Einschränkungen – ein valides Werkzeug an die Hand gegeben, um die meisten Innendämmkonfigurationen so zu bemessen, dass eine dauerhafte Schadenfreiheit gewährleistet ist. Sind alle erforderlichen Randbedingungen eingehalten, kann der Feuchteschutz der Innendämmung als nachgewiesen betrachtet werden: Die WTA-Merkblätter sind als allgemein anerkannte Regeln der Technik eingeführt und sind Stand der Technik. Interessierte können sie vom Fraunhofer IRB Verlag oder bei der WTA direkt beziehen.
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“Zwingende Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des vereinfachten Nachweisverfahrens sind:” Mir fallen da noch mehr wichtige Punkte ein. Nicht nur für den Laien sondern auch nochmal für den Fachplaner, die doch oft eines vergessen oder nicht richtig beachten. Es wird auf Schlagregendichtheit hingewiesen, da schauen sich viele nur den Putz an. Wichtig am Zustand an einer Fassade sind aber auch: 1. Überprüfung ob Feuchtigkeit aufsteigt und ob Verdachtsfälle für Feuchtigkeit in der Konstruktion vorliegen. Überprüfung durch Messung wäre eine Voraussetzung. 2. Sind die Übergangsanschlüsse an Fenstern, Balkonen, Terrassen, Türen und Dachüberständen usw. richtig und fachgerecht ausgebildet? 3. Gibt es, im Altbau (Bestand), sperrende Schichten im Wandaufbau (Sperrfarben, Folien, Dichtputze, andere alte abdichtende Maßnahmen)? Erst wenn das und andere wichtige bauliche Voraussetzungen ausgeräumt bzw. bestätigt sind, kann mit der Planung der Innendämmung begonnen werden. Wie im Fazit schon angesprochen, ist m.E. eine Innendämmung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ein Fachbetrieb sollte im Auftrag festhalten, dass zum Zeitpunkt der Erstellung der Innendämmung die Fassade in tadellosem Zustand ist/war. Dies belegbar durch ein ordentliches Messprotokoll. Mit dieser Vorgehensweise bin ich jedenfalls immer gut gefahren.