“Smart Home” ohne Funk?
Fast immer werden diese Anwendungen per Funk gesteuert, aber geht es auch ohne? Oder zumindest nur mit geringen Sendeaktivitรคten? Wie steht die Baubiologie zur dieser zunehmenden Vernetzung im Haus?
Smart Home โ was ist das?
Beim โSmart Homeโ geht es um eine neue Generation der Hausautomation. Bereits seit den 80er Jahren gibt es v. a. mit leitungsgebundenen รbertragungsarten funktionierende BUS-Systeme wie KNX. Nun soll alles umfassender und bequemer werden. Ein โSmart Homeโ kann definiert werden als ein Haushalt, in dem diverse Gerรคte (Haushaltsgerรคte, Multimediagerรคte, Beleuchtung, Installationen, Haustechnikโฆ) miteinander interagieren und oft auch aus der Ferne gesteuert werden kรถnnen. Hausinterne Gerรคte mรผssen also miteinander vernetzt sein, um gewรผnschte Funktionen zu erfรผllen. Dieser Datenaustausch erfolgt sehr hรคufig per Funk, oft mit Smartphones oder Tablets als โFernbedienungโ. Trend ist, Sendemodule in mehr oder minder jedes Gerรคt im Haus einzubringen.
โSmart Homeโ bietet enorme Potenziale fรผr die Industrie – sowohl fรผr den Verkauf neuer Produkte, als auch zur Gewinnung von Daten. Zumindest einige Anwendungen sind tatsรคchlich praktisch und sinnvoll, z. B. optimiertes/automatisiertes Heizen oder Lรผften). Vieles erscheint aber รผberflรผssig, unsinnig und sogar riskant.
โSmart Homeโ umfasst sehr viele verschiedene Gerรคte, Systeme und Anwendungen, einfache aus dem Discounter bis zu hochkomplexen aus dem Fachhandel, komplette Hausvernetzungen oder nur Einzelanwendungen. Bei Komplettsystemen ist eine Zentraleinheit nรถtig (Router, Zentrale, Gatewayโฆ genannt), diese kann ein Dauersender sein, muss es aber nicht. Bei Einzelanwendungen gibt es oft nur Kontakt zwischen zwei Sendern (z. B. Funkschalter Lampe, Smartphone Kaffeemaschineโฆ),oft (aber nicht immer!) geschieht dies nur aktionsgesteuert und damit selten funkend.
Massive Zunahme von Funkbelastungen
โSmart Homeโ stellt neue Herausforderungen an die Baubiologie: Bis vor kurzem waren es im Wesentlichen zwei Inhouse-Dauerfunk-Technologien, mit denen wir zu tun hatten โ DECT zum Telefonieren und WLAN zur Internetnutzung, mit einer รผberschaubaren Menge an Sendern, die einigermaรen beherrschbar waren (z. B. DECT-Gerรคte mit Eco+, schnurgebundene Telefone, WLAN nachts aus und/ oder leistungsreduziert โฆ). Nun dringt eine Vielzahl neuer funkbasierter Gerรคte in unsere Hรคuser, was zu massiven Zunahmen der Funk-Belastungen fรผhren kann und zudem baubiologische Sanierungen hรคufig deutlich schwieriger macht (z. B. weil Stromkreise nachts nicht mehr ohne weiteres spannungsfrei geschaltet werden kรถnnen).

โSmart Homeโ ohne Funk โ warum รผberhaupt?
Zum einen sind technische Funkanwendungen grundsรคtzlich โun-baubiologischโ, weil unnatรผrlich, sie widersprechen der natรผrlichen Ordnung, unseren natรผrlichen Maรstรคben.
Die neuen 25 Leitlinien der Baubiologie fordern hierzu โElektromagnetische Felder und Funkwellen minimierenโ und die Baubiologischen Richtwerte des SBM-2015 โJede Risikoreduzierung ist anzustreben. Maรstab ist die Naturโ.
Selbst das Bundesamt fรผr Strahlenschutz meint โWo man Dauerbelastungen durch elektromagnetische Felder herabsetzen kann, da sollte man es tun.โ
Zum anderen sind Risiken durch Funk seit Jahren bekannt, sowohl aus der baubiologischen Praxis wie auch durch diverse Studien, was mittlerweile auch von vielen รrzten, Wissenschaftlern, Behรถrden usw. so gesehen wird und Eingang in verschiedene Verรถffentlichungen gefunden hat (z. B. hat die WHO 2011 hochfrequente elektromagnetische Felder in die Gruppe 2B krebserzeugender Substanzen eingestuft, fordert die medizinische EUROPAEM EMF-Leitlinie 2016 baubiologischen Richtwerten weitgehend entsprechende niedrige Werte fรผr WLAN, DECT oder Mobilfunk).
Anwendungsbereiche und -beispiele
Grob zusammengefasst gibt es vier Bereiche an โSmart Homeโ-Anwendungen:
- Sicherheit (รberwachung, Alarmsysteme, Warnmelder, Zugangskontrolleโฆ)
- Energie/Klima (Heizung, Belรผftung, Verschattungโฆ)
- Komfort (Haushalt, Elektronikgerรคte, Beleuchtungโฆ)
- Entertainment (TV, Audio, Spiele โฆ)
Installationen kรถnnen z. B. โsmartโ sein: Alarmanlagen, Hausรผberwachungssysteme, รberwachungskameras und Anwesenheitssimulationen,Rauch-, Wasser- und Kohlenmonoxid-Melder, Heizungssteuerung und Heizkรถrperthermostate/-regler, Lรผftungssteuerung, Fensterรถffner, Fensterpositionserkennung und Rollladen-/Jalousiensteuerungen, Bewegungsmelder, Tรผrรถffnungsanlagen und Tรผrklingeln sowie Leuchten, Leuchtmittel und Schalter fรผr Licht.
Im Entertainment-Bereich werden u. a. folgende Gerรคte miteinander verbunden: Fernsehgerรคte, DVD-Player, AV-Receiver, Mediaserver, Stereoanlagen, Lautsprecher, Radios (Webradios!), Foto-/Videokameras, Bilderrahmen, Computer und Drucker.
Auch viele normale Haushaltsgerรคte haben schon โsmarteโ Funktionen: Waschmaschinen, Geschirrspรผler, Kรผhlschrรคnke, Backรถfen, Dunstabzugshauben, Kรผchenmaschinen, Kaffeemaschinen, Wasserkocher, Durchlauferhitzer, Saugoder Mรคhroboter …
Schlieรlich gibt es noch diverse und teilweise kuriose โsmarteโ Gerรคte: Spielzeuge und Spielekonsolen, Smartwatches, Hรถrgerรคte, Kleidung mit Fitnesskontrolle, Windeln, Tampons, elektrische Zahnbรผrsten, Toilettensitze, Duschkรถpfe oder Katzen-/Hunde-Klappen und -Funkchips (im Halsband oder implantiert).
Eng verbunden mit โsmartenโ Gerรคten ist das โInternet der Dingeโ (โInternet of Thingsโ, IoT): Mehr und mehr sollen Gerรคte miteinander interagieren. Laut Schรคtzungen wird es im Jahr 2020 weltweit rund 20 Milliarden auf diese Weise vernetzte Gerรคte geben. Weitere ergรคnzende Anwendungen sind internetbasierte Sprachassistenten (wie Alexa, Siri oder Google Assistant) als Schnittstelle zu vielen โsmartenโ Gerรคten, Smartmeter (โintelligenteโ Stromzรคhler) zur Erfassung und Weiterleitung von Strom und ggf. anderen Hausdaten an Versorgungsunternehmen sowie Anbindungen an Cloud-Dienste.
Die dargestellte Lange Liste an โsmartenโ Gerรคten und Anwendungen macht klar, dass mittlerweile schon bei jedem neuen Elektrogerรคt damit zu rechnen ist, dass es funkt bzw. funken kann, egal ob man diese โErrungenschaftโ nutzt oder nicht.
Weitere Risiken
Neben Funkbelastungen werden insbesondere die Themen Datenschutz und Sicherheit diskutiert โ so besteht die Gefahr, in seinen eigenen vier Wรคnden โglรคsernโ zu werden, Kriminelle kรถnnen Zugriff auf hausinterne Gerรคte und Dienste bekommen. Offenbar wird auch der Stromverbrauch ein Problem. Laut einer aktuellen BUND-Studie sind europaweit langfristig 70 TWh pro Jahr fรผr den zusรคtzlichen Stromverbrauch bei โsmartenโ Kรผchen- und Haushaltsgerรคten sowie der Beleuchtung zu erwarten (zum Vergleich: 2013 haben alle deutschen Windkraftanlagen 51,7 TWh Strom erzeugt, alle Atomkraftwerke 97,3 TWh), hinzu kommen (z. B. bei Cloud-Anbindungen) Verbrรคuche in den รbertragungsnetzen und Rechenzentren. Auch die mit dem automatisierten Rundum-Komfort verbundene Gefahr eines geistigen und kรถrperlichen Abbaus ist nicht von der Hand zu weisen, insbesondere bei รคlteren Menschen. Da man nur noch wenig Aufgaben und Bewegungsanreize hat, kรถnnte es zu Einschrรคnkungen der Fitness kommen.
Datenรผbertragung
Die vielen verschiedenen โSmart Homeโ-Systeme und -Anbieter setzen auf unterschiedliche Verfahren zur Datenรผbertragung:
- โSmart Homeโ-Daten kรถnnen in vielen Fรคllen leitungsgebunden รผber Datenkabel รผbertragen werden. Dabei treten i. d. R. keine elektromagnetischen Belastungen auf – baubiologisch ideal.
- Eine Alternative fรผr manche Anwendungen sind leitungsgebundene รbertragungen รผber Stromleitungen (dLAN, Powerline), wobei allerdings Abstrahlungen von diesen (nicht selten von allen im Haus, oft dauerhaft, oft mit Frequenzen im Bereich von etwa 1-30 MHz) mรถglich sind. Dies ist baubiologisch eher abzulehnen, auch wenn die Strahlungsstรคrken meist geringer sind als bei vielen Funksystemen.
- Schlieรlich wird hรคufig per Funk รผbertragen. Dies ist baubiologisch strikt abzulehnen, v. a. wenn dauerfunkende Komponenten beteiligt sind; Systeme mit nur aktionsgesteuerten, kurzen und schwachen Funksignalen kรถnnen in vielen Fรคllen akzeptabel sein (Vorsicht bei elektrosensiblen Menschen!).
Die โSmart Homeโ-Datenรผbertragung per Funk kann รผber diverse Funkstandards, -technologien und -frequenzen erfolgen (Zigbee, Z-Wave, Bluetooth, DECT, WLAN โฆ, 868 MHz, 1,89 GHz, 2,4 GHzโฆ), vieles ist hier noch in Entwicklung und Verรคnderung.
Es gibt aktuell noch wenig baubiologisch-messtechnische Erfahrungen mit โSmart Homeโ-Anwendungen, deshalb muss man mit pauschalen Aussagen vorsichtig sein.
Oft sind Einzelfallรผberprรผfungen nรถtig, entweder im Vorfeld aufgrund der verfรผgbaren Herstellerinformationen oder messtechnisch nach Installation.
Baubiologische Empfehlungen und Forderungen
Zuallererst sollte sich jeder fragen: โBrauche bzw. will ich wirklich diese oder jene โsmarteโ Anwendung รผberhaupt?โ. Man sollte sich nur so viel wie nรถtig, aber so wenig wie mรถglich, ins Haus holen. Vor dem Kauf von โsmartenโ Gerรคten/โSmart Homeโ-Komponenten sollte man รผberprรผfen, was diese tun, insbesondere ob und wann sie funken. Hersteller und Verkรคufer sollten Verbraucher korrekt aufklรคren und beraten, damit diese รผberflรผssige Belastungen vermeiden kรถnnen. Manche Hersteller geben รผber die Funkaktivitรคten recht umfassend Auskunft (Leistung, Dauer, Hรคufigkeitโฆ), andere kaum. Im Zweifel mรผssten messtechnische รberprรผfungen vorgenommen werden.
Es sollten mรถglichst nur leitungsgebundene Gerรคte und Funktionen eingesetzt werden, dafรผr sollten bei Neu- oder Umbauten unbedingt Netzwerk-, BUS- oder sonstige Datenkabel verlegt werden. Im Idealfall befindet sich neben jeder Steckdose, jedem Schalter usw. auch eine Datenleitung.
Wenn doch funkende Gerรคte / Komponenten installiert werden, sollen diese nur selten senden, also z. B. aktionsgesteuert (wenn man z. B. ein Gerรคt einschaltet) bzw. wenn irgendeine Aktivitรคt im System notwendig ist (z. B. ein Lichtsensor zu einer verรคnderten Jalousieneinstellung fรผhrt) und entsprechende Daten รผbermittelt werden mรผssen. Keinesfalls sollten Gerรคte und Systeme verbaut werden, die nicht auszuschalten sind โ zumindest nachts soll nichts funken.
Deshalb sollten keine Anwendungen wie z. B. Beleuchtung oder Alarmsysteme รผber Funk laufen. Baubiologisch akzeptable Systeme scheinen hier nach aktuellem Wissenstand am ehesten mit Anbietern wie z. B. HomeMatic, EnOcean oder KNX-RF realisierbar.
Vorsicht ist mit der Anbindung โsmarterโ Gerรคte an hauseigene WLAN- oder DECT-Netze geboten: hier kรถnnen leicht Dauerstrahlungen entstehen. WLAN-Router, -Repeater und -Access Points sollten zumindest nachts bzw. immer bei Nichtgebrauch abschaltbar sein, ihre Reichweite bzw. Sendeleistung mรถglichst gering eingestellt werden.
Fazit
โSmart Homeโ ganz ohne Funk ist schwierig. Manch โsmarteโ Anwendung wird dann nicht mรถglich sein. โSmart Homeโ ohne Dauerfunk ist aber sicher mรถglich, sehr viele โsmarteโ Steuerungen kรถnnen kabelgebunden bzw. mit nur kurzen Funkimpulsen umgesetzt werden, hierfรผr gibt es vielfรคltige Mรถglichkeiten und Systeme. Wie immer ist Wissen und Weiterbildung wichtig, um umfassend und richtig beraten und messen zu kรถnnen.
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Vortrags von Dr. Manfred Mierau โSmart Home ohne Funk?โ beim IBN-Kongress โBaubiologische Agenda 2025โฆโ am 8./9. Juni 2018 in Rosenheim.
Mehr zum IBN-Kongress siehe kongress.baubiologie.de
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Bitte nich falsch verstehen, ich bin wirklich ein Freund von verkabelten Smart Homes. Dennoch ist bei den allermeisten Smart Home Gerรคte die Funkbelastung viel geringer als z.B. WLAN oder normales Handynetz. Die Smart Home Gerรคte senden in der Regel nicht dauerhaft, sondern in Minuten Abstรคnden oder getriggert. Dazu ist die Sendeleistung hรคufig im niedigen mW Bereich, wรคhrend WLAN deutlich darรผbner liegt (10-fach bis zu 100-fach).
Natรผrlich kommt es ganz auf die Smart Home Komponenten an.
Ein verkabeltes Smart Home ist immer besser, nicht nur aus strahlungsgrรผnden sonden insbesondere wegen der Stabilitรคt und Zuverlรคssigkeit.
Leider reagiere ich empfindlich auf Funk und WLAN. Deswegen wรผrde ich auch gerne mein Smart home System nur mittels verlegter Elektrotechnik im Haus umsetzen. Interessant auch, dass die Zunahme von Funkbelastung heutzutage baubiologische Sanierungen schwerer machen. Noch ein Grund das alles genau zu planen.