Warum ist der Energieverbrauch oft höher als der berechnete Energiebedarf?
Das Problem ist bekannt: Berechnungen gemäß Gebäudeenergiegesetz GEG basieren auf Standard-Rahmenbedingungen, die mithilfe spezieller Softwareprogramme ermittelt werden. Damit lässt sich z.B. der Energiebedarf vor und nach einer energetischen Gebäudesanierung ermitteln, zwei Werte, welche die Berechnung der Amortisationszeit und die Auswahl sinnvoller Sanierungsmaßnahmen ermöglichen soll. Soweit die Theorie. Der tatsächliche Energieverbrauch weicht jedoch häufig stark von dem rechnerisch ermittelten Energiebedarf ab und ist häufig deutlich höher.
Eine möglichst realitätsnahe Berechnung ist aber von zentraler Bedeutung, da diese u.a. die Grundvoraussetzung für die Quantifizierung der Einsparungen von Sanierungsmaßnahmen und damit grundlegend für die Planung der Energiewende im Gebäudebestand ist.
Prebound- und Rebound-Effekte
Prebound-Effekt: Der Energieverbrauch eines Bestandsgebäudes vor der Sanierung wird durch die Softwareberechnungen höher eingestuft als er eigentlich ist.
Rebound-Effekt: Der Energieverbrauch eines Bestandsgebäudes nach der Sanierung wird durch die Softwareberechnung niedriger eingestuft als er eigentlich ist.
Beispiel: Der tatsächliche Energieverbrauch eines Bestandsgebäudes ist vor einer energetischen Sanierung ist um ca. 30 % niedriger als rechnerisch ermittelt (Prebound-Effekt). Nach erfolgter Sanierung ist der tatsächliche Energieverbrauch um ca. 20 % höher als rechnerisch ermittelt (Rebound-Effekt). Kombiniert man beide Effekte, ist die tatsächliche Energieeinsparung um ca. 50 % niedriger als rechnerisch ermittelt, was im schlimmsten Fall die ökologische und wirtschaftliche Sinnhaftigkeit der Sanierungsmaßnahmen infrage stellt.
Heizenergieverbrauch vor und nach Sanierung unter Berücksichtigung des Prebound- und Rebound-Effekts.
Fehlerhafte Energiekennwerte
Im Ad-hoc Papier des Umweltbundesamtes (UBA) wird eine ganze Reihe möglicher Ursachen für die Diskrepanz zwischen Berechnung und Realität genannt. So kommt eine umfassende Literaturanalyse von Wohngebäudestudien zu dem Schluss, dass deutsche Wohngebäude im Vergleich zu den errechneten Energiekennwerten durchschnittlich etwa 30 % weniger verbrauchen.
Demnach stellt sich folgender Prebound-Effekt ein: Je höher der Energiekennwert, desto geringer ist im Verhältnis der tatsächliche Verbrauch. Bei hohen Energiekennwerten wie z.B. 300 kWh/m2a liegen die gemessenen Energieverbräuche durchschnittlich etwa 40 % unter den errechneten Werten, bei niedrigeren Energiekennwerten von z.B. 150 kWh/m2a sind es nur noch ca. 17 %.
Der umgekehrte Effekt (Rebound-Effekt) ergibt sich bei umfassend sanierten Gebäuden/ Niedrigenergiehäusern mit einem Energiekennwert von unter 50 kWh/m²a. Hier übersteigt der gemessene Verbrauch den errechneten Bedarf.
Als mögliche Ursachen für die oben genannten Prebound- und Rebound-Effekte nennt die Studie realitätsferne Standardannahmen der DIN V 4108-6:2003 wie beispielsweise die Lüftungsverluste (Luftwechsel von 0,7 1/h) und die Innentemperatur (19 °C). Aber auch das Nutzungsverhalten wird als wesentliche Ursache identifiziert. So wird in Gebäuden mit schlechtem Energiestandard und somit hohen Energiekosten durch entspr. Heiz- und Lüftungsverhalten Energie häufig gespart, während in (entsprechend sanierten) Gebäuden mit gutem Energiestandard und somit niedrigen Energiekosten die Bereitschaft zum Energie sparen nachlässt.
Einsparungen überschätzt
Die Schlussfolgerung des Umweltbundesamt-Berichtes ist ernüchternd: Die Einsparungen einer energetischen Sanierung werden durch die aktuellen Rechenverfahren häufig signifikant überschätzt. Um dies zu verhindern, macht das UBA u.a. folgende Vorschläge:
- Standard-Raumsolltemperaturen auf ein realistischeres Niveau anpassen (z.B. 22 °C).
- Anstelle des deutschlandweit einheitlichen Klimastandorts Potsdam die aktuellen Referenzklimadaten des tatsächlichen Gebäudestandorts verwenden.
- Luftwechselzahl bei ausschließlich über Fenster belüftete Gebäude/Zonen auf 0,24 1/h reduzieren.
- Genauere Ermittlung des Energiebedarfs für mitbeheizte Flächen (z.B. Treppenhaus).
- Die Standard-Leitungslängen des Referenzgebäudes nach DIN V 4701-10: 2003-08 (gem. GEG, Anlage 1) reduzieren.
- Auf Warmwasser-Zirkulationssystem im GEG-Referenzgebäude verzichten.
Fazit
Eine möglichst realitätsnahe Energiebedarfsberechnung ist wichtig, um bei Neubauten wie bei energetischen Sanierungen die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Anderweitig können nicht nur die Klimaschutzziele im Gebäudebereich verfehlt werden, sondern unwirksame kostspielige Maßnahmen auch zum Verlust der gesellschaftlichen Akzeptanz und zu „Sanierungsfrust“ führen. Es ist daher dringend zu empfehlen, die Standard-Berechnungsverfahren und -Rahmenbedingungen anzupassen und zu verbessern.
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Ad-hoc Papiers „Realitätsnahe Berechnung des Energiebedarfs“ des Umweltbundesamts vom 8. Juli 2022
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Verschlechterung des Energieausweises nach geförderter Dachsanierung!
Auf Grund guter Beratung durch einen Energieberater habe ich bereits 2021 alle Gasetagenheizungen eines Mehrfamilienhauses mit 11 Parteien, gegen eine zentrale Fernwärmeversorgung austauschen lassen. Das war gerade zu „hellseherisch“ zur aktuellen Situation.
Daraufhin habe ich einen Energieausweis erstellen lassen. Ergebnis war Klasse E 149,5 kWh(qm*a). Bis 2030 sollte das ausreichend sei. Als Ziel habe ich mir aber mindestens Klasse D gesetzt.
2023 habe ich dann das Dach aufwendig nach neuestem Standart (BEG gefördert) erneuern lassen. Im Rahmen der Dachsanierung habe ich auch eine PV-Anlage für Mieterstrom über einen Dienstleister installieren lassen. Die Fenster im Treppenhaus (Einscheiben) wurden erneuert und einige Balkontüren.
Der Hammer traf mich, als ich jetzt guter Hoffnung einen neuen Energieausweis habe erstellen lassen! Statt einer Verbesserung kommt nun eine Verschlechterung bei der Berechnung heraus!
Nach meinen bisherigen Recherchen liegt das daran, dass seit 2024 ein neues Berechnungsverfahren (DIN V 18599) angewendet werden muss, welches zu ungünstigeren Ergebnissen führt. Das Haus fällt trotz aufwendiger Dachsanierung zurück in Klasse F, auf 172,4 kWh(qm*a).
Dabei ist in dem neuen, schlechteren Energieausweis ausgewiesen, dass sich die energetische Qualität der Gebäudehülle von 1,47 W/(qm*K) auf 1,13 W/(qm*K) verbessert hat. Es hat also eindeutig eine Verbesserung stattgefunden.
Ich habe allein für das Dach 250.000€ investiert und werde zurückgestuft? Wer kann mir das erklären? Ich bin fassungslos. Wer kann gegen solche Regeln gegen an sanieren?
Ich habe geglaubt auf einem guten Weg zu sein. Die Mieter sind auch zufrieden und zahlen immer noch Mieten, die weit unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Durchschnittlich 6,58€. Daraus Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu finanzieren ist „äußerst sportlich“.
Es geht noch verrückter!
Neben der Ermittlung der Effizienzklasse durch Berechnung des Baukörpers gibt es alternativ ja die Ermittlung über den tatsächlichen Verbrauch. Der Verbrauch muss dabei über 36 Monate ermittelt werden. Über die Fernwärmestation ist das prinzipiell kein Problem. Ich habe erst 30 Monate voll. Es liegen mir jedoch bereits ein Teil der Verbrauchswerte der Mieter vor. Daraus ergibt sich, dass die Verbrauchswerte bei einem Drittel der errechneten Werte liegen!
Das Haus liegt beim Verbrauch also absolut im grünen Bereich.
Das Haus ist durch die Nutzung von Fernwärme und Mieter-PV-Anlage weitgehend CO2 neutral.
Energieausweise mit völlig falschen Werten nutzen weder Mieter noch Vermieter. Die seit 2024 anzuwendende DIN V 18599 führt zu absurden Werten! Da werden durch die Hintertür Standards erhöht, obwohl gerade drüber diskutiert wird diese zu senken.
* Konventionelle Dämmstoffe werden in den Berechnungsverfahren zu optimistisch bewertet.
* Energieverbrauch für Warmwasser (Brauchwasser) wird unterschätzt.
Die Erfahrungen aus meiner früheren Energieberaterpraxis bestätigen die Aussagen des Berichts. D.h. ungedämmte Bestandsgebäude hatten regelmäßig einen niedrigeren tatsächlichen Verbrauch als im Energiebedarfsausweis ermittelt. Energetische Sanierungen brachten bedauerlicherweise weniger Einsparung als theoretisch ermittelt.
Meiner Einschätzung nach hat das folgende Hauptgründe:
Der reale Nutzen der zusätzliche Wärmedämmschichten ist niedriger als theoretisch berechnet. (Berechnungsverfahren wären zu überdenken.) Die Lambdawerte der Dämmstoffe wurde unter optimalen Versuchsbedingungen ermittelt (trockener Dämmstoff). Unter realen Bedingungen sind die Dämmstoffe jedoch nie optimal trocken (Transport, Baustellenlagerung, Verarbeitung, Lufthinterströmung, feuchte Untergründe), was in der Realität zu schlechterem Dämmverhalten führt als jenes im Berechnungsmodell.
Nächster wichtiger Punkt: Warmwasserverbrauch
Wie Verbrauchsdaten für Energieausweise aus MFH (hier müssen ja mittlerweile die anteiligen Verbräuche für Wärme und Warmwasser erfasst werden) aus meiner Praxis zeigen, liegt der tatschächliche Anteil für Warmwasser merklich höher als jener der gewöhnlich in der Berechnung Eingang findet.
Leider sind heute viele sog. “Regenwaldduschköpfe” im Einsatz, die einen sehr hohen Wasserverbrauch haben und damit entsprechend viel Energie für die Warmwasserversorgung benötigen. Beispiel aus der Praxis: MFH Baujahr 1990 ohne energetische Verbesserungen seit der Erbauung, größtenteils junge Mieterschaft (–> häufiges Duschen)
Verbrauchsenergieausweis in diesem MFH: ca. 2/3 Energieanteil Warmwasser und nur ca. 1/3 Energieanteil Heizwärme. Der Heizwärmeverbrauch war auf dem Niveau der EnEV 2019, obwohl das MFH seit 1990 keine energetische Sanierung erfahren hatte. (Gebäude war mit 7 WE komplett bewohnt, also kein Lerrstand).
Ich möchte mich für den guten Beitrag bedanken. Dies schildert genau meine Erfahrungen. Unsere Doppelhaushälfte aus 1979 wurde mit einem Energieverbrauch von 25000 kWh berechnet. Der tatsächliche und über sieben Jahre ermittelte Verbrauch liegt bei 18300 kWh. Die komplette Beratung durch den Energieberater geht von völlig fantastischen Zahlen aus. So soll sich eine Komplettsanierung nach 18 Jahren rechnen. Es werden hierzu viel zu hohe Verbräuche vor Sanierung angenommen. Zudem sind die realen Sanierungskosten um den Faktor 3 höher als berechnet. Alles sehr unzufrieden stellend. Letztlich rechnen sich die allermeisten Sanierungsmaßnahmen so nie. Beispiel: Einbau einer Wärmepumpe soll laut Energieberatung 12000€ vor Förderung kosten. Real liegen die Angebote zwischen 40-50000€. Fassadendämmung laut Energieberatung 17000€, Real über 50000€ usw. Da hat sich etwas total verselbständigt. Für die Gelder könnte ich ohne jede Sanierung locker 30 Jahre lang Heizöl für 2€/Liter verbrauchen und käme günstiger davon.
Um eine Vergleichbarkeit aller Gebäudequalitäten von Flensburg bis Garmisch zu erlauben, ist es schon wichtig, für alle Gebäude den gleichen Standort, also die gleichen Klimabedingungen anzunehmen. Klar ist, dass dann die Berechnungen immer von den tatsächlichen Verbräuchen abweichen. Eine wesentliche Ursache dafür ist auch, dass alle Räume in einer Zone mit derselben Raumtemperatur (sofern sie beheizt sind) angesetzt werden, was tatsächlich eher lebensfern ist, aber gewissermaßen eine Worstcase-Betrachtung darstellt.
Energieberater sollten bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung m.E. die Pflicht haben, eine Korrektur anhand der tatsächlichen Verbräuche vorzunehmen. Damit sind die Einsparungen realitätsnäher, unter der Voraussetzung, dass die Nutzer ihr Verhalten nicht ändern. Mit dem Wissen um den Rebound-Effekt kann auch dieser mit berücksichtigt werden.
Ob die vorgeschlagenen Anpassungen tatsächlich die gewünschten Verbesserungen bringen, solange mit statischen Berechnungsmodellen die Gebäude beurteilt werden, sei mal dahingestellt.