Anders leben in Tiny Houses
Auch bei uns nimmt diese Entwicklung seit einigen Jahren Fahrt auf, denn diese kleinen Hรคuser sind nicht nur flexibel und mobil, sie kรถnnen auch einen wertvollen Beitrag fรผr das รถkosoziale Bauen unserer Zeit leisten. Zudem sind sie schnell und kostengรผnstig herzustellen.
Die zunehmende Zahl allein lebender Menschen, die eingeschrรคnkten finanziellen Mittel vieler Haushalte und das Bedรผrfnis nach Privatsphรคre steigern die Nachfrage nach kleineren flexiblen Wohneinheiten. Gleichzeitig lรคsst unser komplexes Leben bei vielen Menschen den Wunsch nach einem auf das Wesentliche reduzierte Leben und Wohnen entstehen.
Die Wohnungsnot โ vor allem in den Ballungsgebieten Deutschlands โ ist groร, bezahlbarer Wohnraum ist dort auf dem Markt kaum vorhanden oder wird unter der Hand vermietet und verkauft. Das โTiny House Movementโ stellt heute eine der mรถglichen Optionen dar, dieses Problem kreativ anzugehen. Einer der Vorreiter dieser Bewegung in Deutschland ist der Architekt Van Bo Le-Mentzel. Er stammt aus einer laotischen Flรผchtlingsfamilie, die nach Berlin kam, als Van Bo zwei Jahre alt war. Er ist in Berlin aufgewachsen. Van Bo ist auch Grรผnder der Tiny House University Berlin und zudem Architekt mit politischem Anspruch.
Interview mit dem Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel:
Von Mรคrz 2017 bis Mรคrz 2018 gab es vor dem Bauhaus-Archiv / Museum fรผr Gestaltung in Berlin den zusammen mit Dir gegrรผndeten Bauhaus Campus. Das war sozusagen der Mittelpunkt des โTiny House Movementsโ in Deutschland. Was war denn da alles los und wer war da mit dabei? Was habt Ihr da zu erreichen versucht und was habt Ihr da alles gemacht?
Wir haben ein utopisches Dorf gegrรผndet, wo wir neue Formen des Lernens und Bauens erproben wollten. Versammelt haben sich da viele Pioniere der Tiny House Bewegung: Theresa Steininger von wohnwagon.at, Redukt aus Polen, Cabin Spacey, Jan Koerbes, Tiny House Dokumentaristin Kirsten Dircksen, Re-Space, Leonardo Di Chiara aus Italien und das Holy Foods House aus der Foodsharing-Bewegung. Die Blockchain-Szene tagte bei uns und arbeitete an einem digitalen Grundeinkommen und Leute aus vielen Unis kamen, schliefen und feierten bei uns. Die Hochschule Rosenheim hat ein grandioses Tiny House namens 35 KubikHEIMAT gebaut und eine Kรผnstlerin aus Mรผnchen hat ein Museum erรถffnet.
โTito Houseโ โ Selbstbauhaus fรผr 10.000 โฌ und erstes mobiles Reihenhaus.
Ihr habt euch in dieser Zeit auf dem Bauhaus Campus auch Fragen zu aktuellen sozialen Problemen unserer Gesellschaft gestellt. Zum Beispiel โGibt es Alternativen zu Flรผchtlingscontainernโ oder โwie gestalten wir Nachbarschaften in einer Einwanderungsgesellschaftโ? Habt Ihr dazu Lรถsungsansรคtze gefunden?
Das TitoHouse ist dabei entstanden. Ein Selbstbauhaus, welches man mit 10.000 Euro bauen kann. Es ist das erste mobile Reihenhaus Deutschlands und es passt hervorragend in die Parkhรคfen, die neben dem Studienprojekt Tiny Houses auf dem Bauhaus Campus Berlin aneinander aufgereiht sind. Solche Parkhรคfen findet man auch bei Rewe oder bei Ikea. Auch auf Mittelstreifen in dicht besiedelten Innenstadtlagen findet man solche Parkhรคfen. Meine Theorie: wir kรถnnten im รถffentlichen Raum temporรคre Stรคdte grรผnden, ohne eine einzige Baugenehmigung stellen zu mรผssen. In vielen Stรคdten fehlen Wohnungen. In Berlin sind es รผber 10.000 Wohnungen pro Jahr, die fehlen.
Du siehst Tiny Houses als soziale Wohnidee und glaubst, dass darin die Zukunft von Groรstรคdten wie Berlin liegt. Euer Projektziel sind deswegen Tiny Houses, also mobile Architekturen, die in der Regel nicht grรถรer als ein Parkplatz (10 mยฒ) sind. Wie entscheidend ist die Beschrรคnkung der baulichen Grรถรe und auf was ist dabei baurechtlich zu achten? Welche Nutzungen kรถnnen diese Tiny Houses aufnehmen und wer wird damit als mรถglicher Nutzer angesprochen? Welche Vorteile hat eine solche Wohnform und auf welche Verรคnderungen muss man sich als Nutzer einstellen?
In einem Tiny House muss man die bislang tradierten Vorstellungen von Wohnstandards vรถllig auf den Kopf drehen. Flure kรถnnen nicht 120 cm breit sein. Manche Rรคume (zum Beispiel Badezimmer) sind bei uns 200 cm hoch, manche auch nur 160 cm. Manche Tiny Hรคuser haben gar keine Tรผren und sind wie Pavillons stรคndig zugรคnglich. Manche wiederum haben nur Wรคnde und man geht wortwรถrtlich durch Wรคnde, um in den Raum zu kommen. Die schmalste Wohnung, die ich geplant habe, ist 3 m lang, 3 m hoch und nur 62 cm breit! Da steigt man praktisch รผber die Kรผchenzeile, um in den Essbereich zu kommen. Und das WC ist praktisch in den Garderobenschrank integriert. Man kann viel von den Inneneinrichtungen in Flugzeugen und Bahnwaggons lernen. Sogar der FlixBus hat eine erstaunlich komfortable WC Kabine, obwohl man nicht darin stehen kann. Baurechtlich sind Tiny Hรคuser auf Rรคdern eine Grauzone. Juristisch gesehen fallen sie nicht unter das Baurecht, weil Bauten unter 10 mยฒ nicht als Bau anerkannt werden. Rechtlich ist es in Deutschland nur erlaubt, in Wohnungen zu wohnen. Und ein Tiny House auf einem Pkw-Anhรคnger wird man nicht als Wohnung genehmigt bekommen. Das heiรt, in einem Tiny House darf man genau so wenig wohnen, wie in einem Schrebergartenhรคuschen (gilt nicht als Wohnung), oder in einem Kรผnstleratelier oder in einem Bรผro. Doch ich bin eh der Meinung, wir sollten weniger wohnen und mehr leben.
Innenraum mit Kรผchenzeile im โTiny100โ. Foto: Philipp Obkircher
Badezimmer im โTiny100โ. Foto: CC-BY SA Tiny
โTiny Templeโ โTempel auf Rรคdern. Foto: TinyU e.V
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Innenraum mit Kรผchenzeile im โTiny100โ. Foto: Philipp Obkircher2
Badezimmer im โTiny100โ. Foto: CC-BY SA Tiny3
โTiny Templeโ โTempel auf Rรคdern. Foto: TinyU e.V
Wohnraum wird immer knapper und immer teurer. Trotzdem bewohnte eine Person 2016 im Schnitt in Deutschland 46,5 mยฒ (Quelle: Statistisches Bundesamt 2/2018). Ist dieser stรคndig zunehmende hohe Flรคchenbedarf fรผr euch ein wichtiges Thema und stellt Ihr euch auch deswegen die Frage nach der mรถglichen โMindestwohnungโ?
Es geht letztendlich um eine ethische Frage. Wer darf sich auf diesem Planeten ein Leben in Wohlstand erlauben mit 46 mยฒ, flieรendem Wasser in guter Gegend mit funktionierender Infrastruktur und wer nicht? Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns die Platz-Ressourcen dieses Planeten unter allen Menschen (und Tieren) gerecht aufteilen wollen, kรถnnen wir relativ schnell beantworten, dass die Erde hierfรผr zu klein ist. Bei รผber 7 Milliarden Menschen kann das nicht funktionieren. Wir in Deutschland sind also gut beraten, gerade als Mitkomplizen der schlimmsten CO2 Verursacher auf unseren Verbrauch von Fleisch, Wasser, Energie, Beton und eben auch Wohnflรคche zu achten. Wenn eine groรe Wohnung nicht mehr als Statussymbol gesehen wird, haben wir es geschafft. Maybach war gestern. Der neue Luxus ist ein limitiertes Fixie Bike ohne Gangschaltung und Bremsen (man bremst durch Gegendruck auf die Pedale). Teure Luxusmรถbel von Vitra waren gestern. Heute ist die Zeit gekommen, ein eigenes Hartz IV Mรถbel bauen zu kรถnnen. Das ist der neue Luxus. Und ich hoffe, dass kleine Wohnrรคume durchaus auch (รคhnlich wie bei kleinen Yachtbooten) Status-Qualitรคten beherbergen werden. Sie dรผrfen deshalb niemals prekรคr aussehen. Deshalb sehen meine Tiny Houses nie nach Bauwagen oder Zirkuswagen aus, sondern wie Bauhaus-Klassiker (Wonderhome), Grรผnderzeitbauten (Tiny100), Pubs in London (Design School) oder wie Monumente (Tiny Temple ).
Du sagst, โwir wollen bezahlbare Wohnungen in der Stadt schaffen, und ich bin der Meinung, es muss eine Wohnung geben, die 100 Euro im Monat kostet.โ Das TINY 100 ist ein von Dir und der Tinyhouse University entworfenes gรผnstiges Minihaus, das diese Anforderungen erfรผllt und Teil einer wohnungspolitischen Initiative namens Co-Being House ist. Was will diese Initiative erreichen und was zeichnet das TINY 100 aus?
Das Co-Being House mit den 100 Euro Wohnungen ist eine neue Generation von Mehrgenerationenhรคusern. Und sie sind vor allem eines: schรถn. Es gibt hier groรe und kleine Wohnungen. Die kleinste Wohnung kostet 100 Euro Miete. Im EG sind Kultur, Gastronomie und Shops untergebracht. In den oberen Geschossen finden Studierende, Familien und Senioren ein neues Zuhause. Praxen, Kanzleien und Beratungsstellen sind im 2.OG untergebracht. Im Maisonettegeschoss ganz oben kรถnnte eine Kรผnstler-WG einziehen oder es kรถnnte eine Kunstsammlung Platz finden. Das Co-Being House ist ein vรถllig neuer Typenbau. 2017 am Bauhaus Campus Berlin von der Tinyhouse University entwickelt. Entworfen von Senioren und Geflรผchteten, Kรผnstlern und Wissenschaftlern, Immobilienentwicklern und Designern. Uns gefรคllt der Gedanke, dass hier reich und arm, jung und alt, Singles und Familien zusammen kommen kรถnnen.
Vielen Dank fรผr das Interview!
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