Wohnungstausch: Wunderwaffe gegen die Wohnungsnot?

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Auf dem deutschen Wohnungsmarkt herrscht eine bizarre Situation. Die einen finden keinen Platz zum Wohnen, andere wohnen in viel zu großen Wohnungen oder Häusern. Dabei würden viele Menschen gerne auf weniger Wohnraum und/oder in gemeinschaftlichen Wohnprojekten leben. Aus sozialen aber auch aus ökologischen Gründen ist es also dringend an der Zeit, attraktive Konzepte wie Wohnungstausch zu entwickeln, zu fördern und zu realisieren.

Autor

Lorenz

Jeric

Lorenz Jeric ist freier Journalist, Autor und Fotograf

Was ist das Problem?

Wer in der Stadt wohnt, kennt den Smalltalk über den angespannten Wohnungsmarkt. Früher oder später wird dabei häufig über alte Mietverträge gesprochen, als seien es limitierte Tickets für einen exklusiven Club. Und tatsächlich ist das gar nicht so falsch. Denn wer schon lange in derselben Wohnung lebt, zahlt in der Regel deutlich weniger Miete als der Rest der Mieter*innen.1

Das allerdings hat Konsequenzen für den gesamten Wohnungsmarkt. Ökonom*innen sprechen von einem “Lock-In-Effekt”. Viele Mieter*innen bleiben in ihren Wohnungen wohnen, weil ein Umzug für sie eine höhere Miete bedeuten würde. In vielen Fällen macht selbst der Umzug in eine kleinere Wohnung wirtschaftlich wenig Sinn, weil sie im Zweifel sogar teurer ist als die größere Wohnung mit einem alten Mietvertrag. Das führt dazu, dass viele Menschen in eigentlich viel zu großen Wohnungen wohnen – und dieser Platz dann an anderer Stelle fehl. Vor allem junge Familien und Menschen mit Migrationsgeschichte leben oft in Wohnungen, die eigentlich zu klein für sie sind.2 Umgekehrt werden viele große Wohnungen von alleinstehenden Senior*innen bewohnt.

6,5 Prozent der mietenden Haushalte in Großstädten mit über 100.000 Einwohner*innen wohnen beengt. Sie leben in Wohnungen, in denen nicht für jede Person im Haushalt rechnerisch ein Raum zur Verfügung steht3 (Beispiel: Das Paar mit einem Kind, das in einer 2-Zimmer-Wohnung lebt)

6,2 Prozent der Haushalte in Großstädten mit über 100.000 Einwohner*innen haben sehr viel Platz, Sie leben in Wohnungen, in denen die Zahl der Zimmer die Zahl der Haushaltsmitglieder um 3 und mehr überschreitet3 (Beispiel: der Single-Haushalt in einer 4-Zimmer-Wohnung).

Was ist der Ansatz des Wohnungstauschs?

Es liegt auf der Hand: Wenn einige Menschen zu wenig Platz haben und andere zu viel, wieso tauschen sie dann nicht einfach? Das würde nicht nur den Wohnungsmarkt entspannen. Es wäre auch deutlich nachhaltiger, den bestehenden Wohnraum passender zu verteilen, als das Problem allein über den Bau neuer Wohnungen zu lösen, deren Bau und Unterhalt extrem CO2-intensiv ist.4 Theoretisch also eine super Idee.

Praktisch kann man seine Wohnung schon heute mit Bekannten oder Fremden tauschen, wenn die Vermieter*innen mitmachen. Allerdings können diese dann eine höhere Miete verlangen. Der Tausch ist im Zweifel also genauso teuer wie ein normaler Umzug. Aber was, wenn zwei Haushalte nicht nur die Wohnungen, sondern auch die bestehenden Mietverträge tauschen könnten? Diese Idee haben die Grünen in der Vergangenheit diskutiert.5 Zuletzt setzte sich die Linkspartei im Bundestag dafür ein.6 Die Baupolitische Sprecherin Caren Lay fordert ein Recht auf Wohnungstausch zu den bestehenden Konditionen. Sie sagt: 

„Das würde das Tauschen für die Mietenden deutlich attraktiver machen und könnte den Wohnungsmarkt entspannen.” 

Zudem glaubt sie, dass ein solches Recht bei vielen Menschen auf Zustimmung stoßen würde. “Während wir uns mit vielen Forderungen zur Wohnungspolitik nicht durchsetzen können, wird der pragmatische Vorschlag zum Wohnungstausch öffentlich gut angenommen.“

Ist die Idee sinnvoll, machbar und realistisch?

1 Caren Lay (Partei “Die Linke”)

Darüber hat unser Autor Lorenz Jeric mit der Bundestagsabgeordneten Caren Lay gesprochen, die für die Linksfraktion ein Konzept zum Wohnungstausch erarbeitet hat.

1. Wie würde das funktionieren?

Schon heute gibt es kommerzielle Plattformen zum Wohnungstausch und auch einige Kommunen und städtische Vermieter versuchen bereits, Tausch-Deals zu vermitteln.7 Der Erfolg hält sich aber bislang in Grenzen, auch weil viele Haushalte, die sich vergrößern wollen, auf nur wenige treffen, die eine kleinere Wohnung möchten.8 „Bisher funktioniert der Wohnungstausch nicht richtig, weil es keine Garantie gibt, dass man den alten Vertrag des Vormieters behalten darf“, glaubt Caren Lay. Sie schlägt deshalb drei Dinge vor: Erstens sollten Mieter*innen zu gleichen Konditionen tauschen dürfen, wenn die Vemieter*innen kein triftiges Gegenargument haben. Zweitens soll es beim Umzug finanzielle Unterstützung für Haushalte mit geringem Einkommen und praktische Hilfe für Senior*innen geben. Drittens sollte aktiv für die Tauschangebote geworben werden.

2. Wie ist der politische Stand?

Neben der Linkspartei und den Grünen setzt sich auch der Mieterbund für die Idee ein. „Dass in letzter Zeit so viele Tauschplattformen aufkommen, zeigt, dass die Menschen verzweifelt auf der Suche sind“, sagt Pressesprecherin Jutta Hartmann. Für ein Recht auf Wohnungstausch müsse Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) den rechtlichen Rahmen schaffen. Das sehen die Justizminister*innen der Länder ähnlich. Auch sie sind sich einig, dass der Umzug in kleinere Wohnungen samt günstiger Miete einfacher werden muss und haben Buschmann aufgefordert, eine Lösung zu finden.9

Was also sagt der Justizminister? Auf Anfrage teilt sein Ministerium mit, dass  nicht geplant sei, ein Recht auf Wohnungstausch zu verankern. Begründung: Es sei fraglich, ob es ein “nennenswertes soziales Bedürfnis” gebe. Außerdem sehe man “rechtliche Schwierigkeiten”. Die Freiheit der Vermieter*innen selbst über ihre Wohnungen und Mietverträge bestimmen zu können, sei nämlich im Grundgesetz geschützt.

Anders argumentiert Bauministerin Klara Geywitz von der SPD, die ebenfalls gegen ein Recht auf Wohnungstausch ist,10 wie sie der Funke-Mediengruppe sagte. Sie begründet das zum einen damit, dass man niemanden ”zum Umzug zwingen” könne. Das allerdings sieht der Vorschlag ja auch gar nicht vor. Insofern ist ihr zweites Argument relevanter. Geywitz bezweifelt, dass er viel bringen würde – und begründet das mit den bisherigen Erfahrungen: “Ich habe noch kein Modell gefunden, das einen Masseneffekt hat.“

2 Schon heute gibt es Plattformen zum Wohnungstausch

3. Was also würde es bringen?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Aber der Reihe nach:

Rein rechnerisch, sagt die Studie des IW Köln, ist das Potenzial ziemlich groß.11 Summiert man die Haushalte, die in Großstädten entweder sehr viel oder sehr wenig Platz haben, kommt man auf über 12 Prozent. Nur: Viele von ihnen wollen gar nicht umziehen. Besonders viel Platz haben vor allem ältere Menschen, wenn die Kinder ausgezogen oder der Partner oder die Partnerin gestorben ist. Gerade sie aber wollen oft nicht umziehen, weil sie an ihrer Wohnung hängen. Das weiß auch Caren Lay: „Die Wohnung ist unser Zuhause und wir müssen daher respektieren, wenn Leute nicht ausziehen wollen.“

Allerdings, sagt sie, sei der Wohnungsmarkt so angespannt und Neubauten würden so lange brauchen, dass man auch kleinere Ansätze nutzen sollte. „Wenn ein Wohnungstausch die Lösung für ein oder zwei Prozent der Bevölkerung wäre, wäre damit schon Tausenden Menschen geholfen.“ Sie ist überzeugt, dass ein Recht auf Wohnungstausch den Lock-in-Effekt zumindest ein wenig entschärfen würde.

Der VWL-Professor Harald Simons sieht nicht einmal dieses Potenzial. Er hat für das Bauministerium untersucht, wie gut Wohnungstauschbörsen bisher funktionieren. Die Ergebnisse seiner Studie seien enttäuschend gewesen, sagt er. „Im Kern ist die Frage bei diesen Versuchen: Wie bekommen wir Oma aus der Wohnung geschmissen?“ Dafür gebe es aber keine überzeugenden Argumente. „Egal mit welchen Anreizen man Menschen zum Tausch bewegen wollte, alle Versuche in diese Richtung sind gescheitert.“ 

Die Studie will Harald Simons nicht herausgeben. Sie liege beim Bauministerium unter Verschluss. Auf Nachfrage rückt das Ministerium sie dann aber doch heraus. Man sieht: Ein ähnliches Modell wie Caren Lay es fordert, gibt es bisher in Berlin und München. Dort können die Mieter*innen der kommunalen Wohnungsunternehmen ihre Wohnungen tauschen und in die Verträge der Vormieter*innen einsteigen. In beiden Städten ist der Erfolg aber überschaubar. So wurden in Berlin in vier Jahren 534 Wohnungen getauscht, obwohl es dort 350.000 Wohnungen gibt, die potenziell in Frage kommen. In München gibt es 15.000 potenzielle Tauschwohnungen, von denen in einem Jahr zwölf getauscht wurden. Ein Grund: Viel seltener melden sich Senior*innen, die in kleinere Wohnungen umziehen wollen, als Familien, die sich vergrößern möchten. 

Zur Wahrheit gehört aber auch: Weder in München noch in Berlin wird über das Modell und seine Vorteile bisher offensiv aufgeklärt. Die Infos erhalten Senior*innen und Familien nur bei den Wohnungsunternehmen und den Kommunen selbst. Aktive Werbung, wie Caren Lay sie fordert, könnte mehr Menschen zu einem Tausch ermutigen. Ein weiterer Anreiz könnten auch die steigenden Energiekosten sein. Sie würden den Umzug in eine kleinere Wohnung attraktiver machen, heißt es in einer Studie des IW Köln.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Das Recht auf Wohnungstausch adressiert ein echtes Problem. Das Potenzial ist in der Praxis aber wohl deutlich kleiner als in der Theorie, das zeigen die Beispiele aus Berlin und München. Ein wenig Luft nach oben gibt es sicher noch. Aber eine Wunderwaffe gegen die Wohnungsnot ist der Vorschlag nicht. 

IBN-Kommentar

In diesem Beitrag geht es vorrangig um Mietwohnungen. In Deutschland leben ca. 58 % der Menschen in Mieterhaushalten und ca. 42 % in den eigenen Wänden (Quelle: Statistisches Bundesamt). Es gibt also auch bei Eigentumswohnungen und -häusern Potenzial, bei größeren Eigentumswohnungen und Häusern vermutlich sicher oft auch bzgl. gemeinschaftlicher Nutzung ggf. nach Um- oder Anbaubaumaßnahmen bzw. Aufstockungen.  

27 % der alleinlebenden über 65-Jähigen wohnten 2022 auf je mindestens 100 qm. Haushalte, in denen die Haupteinkommensbezieher mindestens 65 Jahre alt waren, nutzten im Jahr 2022 pro Person durchschnittlich 68,5 qm Wohnfläche. Zum Vergleich: 45-64 Jährige 54,8 qm / 24-44 Jährige 44,7 qm (Quelle: Statistisches Bundesamt 6/2023).

Dabei würden viele nicht nur ältere Menschen gerne auf weniger Wohnraum und/oder in gemeinschaftlichen Wohnprojekten leben. Doch solange es kaum entsprechende auch preislich attraktive Angebote gibt, bleiben sie verständlicherweise meist bei dem, was sie haben. Grund dafür ist häufig auch, dass sich Menschen bzgl. Verkauf der vorhandenen Immobilie, Suche nach einer neuen Bleibe und Umzug überfordert fühlen. Aus sozialen (Wohnungsnot, Vereinsamung…) aber auch aus ökologischen Gründen (jeder Quadratmeter Wohnraum muss gebaut, saniert, geheizt werden / laut verschiedener Studien wären im globalen Durchschnitt etwa 30 Quadratmeter Wohnfläche je Bürger ökologisch vertretbar!) ist es dringend an der Zeit, attraktive Angebote in diesem Sinne zu entwickeln, zu fördern und v.a. zu realisieren. Auf diese Weise könnte man in den bereits vorhandenen Gebäuden und Wohnungen schnell und effizient viele Tausend Menschen mit dem dringend benötigten Wohnraum versorgen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Niemand darf und will Menschen ihre oft über Jahrzehnte mühsam geschaffene und finanzierte Wohnungen oder Häuser streitig machen. Es geht ausschließlich um freiwillige Angebote und Lösungen im Sinne einer Win-win-Strategie.

Weitere Infos zum Thema (mehr hierzu siehe Kommentare unten):

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Artikel! Aus den im Artikel dargestellten Gründen sind Ansätze jenseits des Neubaus unbedingt weiterzuverfolgen. Neben der Tauschbörse gibt es den Ansatz einer kommunalen Anlaufstelle für Wohnfragen. Alle, die sich verkleinern wollen, die eine Alten-WG suchen, ihr Haus teilen wollen etc. können dort anfragen. Weitere Punkte finden sich im Zehn-Punkte-Plan für flächensparendes Wohnen, zu finden unter “optiwohn”. Ich hoffe, dass mehr von diesen Ideen in den Städten und Gemeinden ankommt.

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  2. Vielen Dank für den umfassenden Artikel über Wohnungstausch. Sie vermitteln ein umfassendes Bild. Wir erleben in der Praxis oft, dass Städte, Genossenschaften oder Wohnungsunternehmen zwar oft irgendwo versteckt Wohnungstausch anbieten – aber so funktioniert es nicht, wenn keiner davon weiß. Man sollte das Thema einmal groß anpacken. Wir selber betreiben eine große deutschlandweite Tauschbörse sowie Tauschbörsen mit Städten wie München Freiburg und Düsseldorf und haben in den letzten 2 Jahren über 5.300 Haushalte vermittelt. Es funktioniert. Aber es gibt noch viel zu tun. Klar ist aber auch für uns: Es ist nur ein weiterer sinnvoller Baustein und nicht DAS Allheilmittel der Wohnungsnot.

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