
Interview mit Christian Kaiser
Du bist erfahrener Architekt. Wann und warum wurdest du Baubiologe?
Bereits bei meinem ersten Bauauftrag wurde mir die Aufgabe gestellt, gesunde Rรคume zu schaffen. Der Bauherr war starker Allergiker und so testeten wir gemeinsam alle eingesetzten Baustoffe auf Vertrรคglichkeit. Es wurde ein Haus mit viel Massivholz. Statt Glaswolle setzten wir Flachsdรคmmung ein und als Wandfarben stellten die Bauherren selbst Kaseinfarben her. Somit habe ich die Baubiologie direkt in der Praxis kennengelernt und experimentell erprobt. Den โFernlehrgang Baubiologie IBNโ habe ich erst viele Jahre spรคter gemacht und dabei festgestellt, dass sich viele baubiologische Handlungsweisen mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen lassen.
Als Baubiologe bist du auch in der Schweiz tรคtig. Was ist an deiner Arbeit dort anders, als in Deutschland?
Ich habe ein Jahr als Gast an der ETH in Zรผrich studiert (ETH = Eidgenรถssische Technische Hochschule). Die Schweizer Bauszene ist mir daher schon lange vertraut. Viele Bauregeln, Normen und Projektablรคufe sind in der Schweiz รคhnlich wie in Deutschland. Die baubiologische Bewegung in der Schweiz besteht schon seit den 1970er Jahren und erfreut sich daher auch einer breiten Akzeptanz. Grundsรคtzlich stelle ich fest, dass vielen Bauherren in der Schweiz gesundheitliche Qualitรคten von Hรคusern sehr wichtig sind. Zudem besteht ein sehr viel hรถheres Bewusstsein, dass gute und nachhaltige Hรคuser auch einen hรถheren Wert besitzen. In Deutschland ist die Bereitschaft, in Qualitรคt zu investieren, bisweilen etwas weniger ausgeprรคgt, da der Preis nicht immer ins Verhรคltnis zum langfristigen Wert des Gebรคudes gesetzt wird.
Das bestehende Gebรคude aus den 1960er Jahren wurde fรผr die nรคchste Generation sanft saniert und energetisch verbessert
Nachhaltige und baubiologische Konzepte sind mรถglichst einfach und kommen mit wenigen und mรถglichst naturbelassenen Materialien aus
Die alten Balken im Dachgeschoss wurden wegen Holzschutzmittelbelastung mit einem absperrenden Anstrich versiegelt
Der Wohnraum wurde beibehalten, jedoch bewusst heller gestaltet
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Das bestehende Gebรคude aus den 1960er Jahren wurde fรผr die nรคchste Generation sanft saniert und energetisch verbessert2
Nachhaltige und baubiologische Konzepte sind mรถglichst einfach und kommen mit wenigen und mรถglichst naturbelassenen Materialien aus3
Die alten Balken im Dachgeschoss wurden wegen Holzschutzmittelbelastung mit einem absperrenden Anstrich versiegelt4
Der Wohnraum wurde beibehalten, jedoch bewusst heller gestaltet
Warum hast du deine Baubiologische Beratungsstelle IBN gegrรผndet?
Fรผr den schweizerischen Verein โBaubioswissโ (vormals SIB) habe ich sieben Jahre lang die gesamten Erstberatungen bearbeitet. Dabei konnte ich bereits intensive baubiologische Beratungserfahrung zu vielfรคltigen Fragen sammeln. Meine Beratungsstelle IBN habe ich gegrรผndet, um den Austausch mit anderen Beratungsstellen IBN zu stรคrken.
Wie eng arbeitest du mit dem IBN und mit anderen baubiologischen Institutionen zusammen?
Das IBN ist seit jeher ein wichtiger und verlรคsslicher Ansprechpartner fรผr alle baubiologischen Fragen. Als solchen schรคtze ich das Institut ebenso, wie die dort handelnden Personen. Weiterhin pflege ich auch den Kontakt mit den baubiologischen Verbรคnden in der Schweiz, in Frankreich, Italien und Spanien.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem IBN entwickelt?
Zunรคchst gab es intensiven Kontakt รผber meine Tรคtigkeiten fรผr die schweizerische Baubiologie. Zunehmend haben wir auch gemeinsame Projekte realisiert, wie diverse Fachartikel, eine baubiologische Exkursion rund um den Bodensee sowie Seminar- und Tagungsteilnahmen als Referent.
Gibt es weitere wichtige Kooperationspartner?
Neben meiner baubiologischen Tรคtigkeit engagiere ich mich als Vorstand im Verein fรผr integrale Architektur und Lebensraumgestaltung VIAL. Dabei steht eine ganzheitliche Sicht auf das Bauschaffen im Mittelpunkt. Neben bautechnischen und gesundheitlichen Fragen spielen hier auch geistig-philosophische, aber auch politische Ansรคtze eine wichtige Rolle. Auรerdem bin ich im Vorstandsteam der Fachvereinigung Gesundes Wohnen Schweiz FaGeWo+.
Welche Themen sind fรผr dich gerade besonders relevant?
Eigentlich sind es drei Themen, die mich immer detaillierter umtreiben: Schadstoffe in Altbauten, kritische Materialien in Neubauten und das Ausloten der Energieeinsparverordnung. Nicht umsonst habe ich zu diesem Themenkreis auch das Buch “รkologische Altbausanierung” geschrieben. Aktuell kommen viele Bauten aus den 1960erโ1980er Jahren in den Erneuerungszyklus. In diesen Bauten finden sich viele Schadstoffe, wie Asbest in Fliesenklebern und PVC-Bรถden, Holzschutzmittel in Balken und Dielenbรถden, lungengรคngige kรผnstliche Mineralfasern, Teere und Bitumen, und Verschiedenes mehr. Der Rรผckbau dieser Schadstoffe ist aufwรคndig und kann den Planungs- und Bauprozess deutlich verkomplizieren. Wir sollten daraus lernen und bereits heute Produkte vermeiden, die zukรผnftig evtl. ebenfalls problematisch bewertet werden kรถnnten, wie z. B. Nanopartikel in Farben, auf Fliesen oder Sanitรคrgegenstรคnden.
Fรผr energetische Sanierungen ist gerade Aerogel in aller Munde. Wie sieht deine baubiologische Meinung dazu aus?
Aerogel ist ein sogenannter โHochleistungs-Dรคmmstoffโ mit extrem niedriger Wรคrmeleitfรคhigkeit. Da das Produkt erst seit wenigen Jahren im Einsatz ist, lรคsst sich noch wenig dazu sagen. Das Produkt ist zwar mineralisch, besteht aber aus einer Nanostruktur. Wie sich diese auf lange Frist verhรคlt und wie die ultrafeine Materialzusammensetzung zukรผnftig bei einem Abbruch entsorgt werden muss, weiร heute noch niemand. Ich schwanke also zwischen einer wohlwollende Neugier und einem gesunden Misstrauen gegenรผber mรถglichen Nebenwirkungen.
Welche Materialien siehst du bei Neubauten besonders kritisch?
Dรคmmstoffe aus Polystyrol und alle Produkte, die aus mehreren Materialien zusammengesetzt werden, sind in der Entsorgung problematisch. Die Raumluft wird bei vielen Neubauten durch synthetische Farben, Kleber und elastische Fugen stark belastet. Eine Selbstverpflichtung zum weitgehenden Verzicht auf kunststoffvergรผtete Produkte wรคre ein groรer Beitrag fรผr baubiologisches und nachhaltiges Bauen. Zudem sind kunststofffreie Bauteile dauerhafter und altern รคsthetischer.
Du ermahnst dazu, die โnatรผrliche Grenzen der Energieeinsparungโ einzuhalten โ was meinst du damit?
Die Notwendigkeit Energie einzusparen, ist eine zentrale und wichtige Grundlage des nachhaltigen Bauens. Allerdings hat sich in der allgemeinen Diskussion der Eindruck verfestigt, dass heutige Dรคmmungen zwingend mรถglichst dick ausgelegt sein mรผssten. Dabei hilft in der angewandten Bauphysik nicht unbedingt MEHR Dรคmmung automatisch MEHR. Gerade in der Sanierung kรถnnen zu dicke Dรคmmschichten Probleme verursachen, wenn z. B. gleichzeitig Wรคrmebrรผcken bestehen bleiben. Es sollte daher jede Verbesserung der energetischen Situation gefรถrdert werden und nicht nur ein Vergleich mit Neubauvorgaben.
Vielen Dank fรผr das Interview!
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รber die Baubiologie
Die Baubiologie beschรคftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebรคude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
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