Identifikation durch Eigenleistung

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Lebendiges Baudenkmal: Das Ehepaar Hänel erfüllte sich mit einem ehemaligen Bürgermeisterhäuschen von 1913 den Traum, einen Altbau weitgehend selbst zu sanieren.

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Für Estelle und Christian Hänel sollte ihr neues Zuhause ein Altbau sein, „bei dem man viel selbst machen kann“. Zudem sollte er im Großraum Stuttgart liegen. Als sie schließlich in Rietenau, einer Gemeinde von Aspach bei Backnang das 1913 erbaute Bürgermeisterhaus angeboten bekamen, freuten sie sich. Es war ein schmuckes Häuschen mit einer hübschen Klinkerfassade, die Giebel zudem mit Fachwerk gestaltet, zwei großen Gauben und einem Erker. Es war etwas zu groß für das Ehepaar mit seinen beiden Katzen, so dass noch Platz war für eine kleine Einliegerwohnung.

Katastrophaler Bestand

Allerdings kauften sie sich mit dem Haus auch jede Menge Arbeit mit ein. „Sein Zustand war katastrophal“, fasst es der Hausherr lapidar zusammen. Es war so heruntergekommen, dass es trotz seiner recht guten Lage über neun Monate mit offenen Fenstern leer gestanden hatte. Die Vormieter hatten dort regelrecht gehaust und auch ihre Haustiere eingesperrt. Alle Böden waren unbrauchbar. „Es hat fürchterlich gestunken“, ist Christian Hänel immer noch entsetzt „Es war unerträglich, als man da hineinkam.“ Die Fassade mit dem Fachwerk, die Dachsparren und die Balken der obersten Decke aus Fichtenholz allerdings war in einem gutem Zustand. Daher entschieden sich die Bauherren schnell für die Kernsanierung des Hauses.

Nach dem Kauf besuchte das Ehepaar eine Baumesse in Stuttgart und hörte einen Vortrag des Baubiologen IBN Rolf Canters, der sie begeisterte. „Dass wir biologisch bauen wollen, haben wir schon früh entschieden. Deshalb haben wir ihn nach seinem Vortrag angesprochen“, erinnert sich der Ehemann. „Wir hatten eine Idee, in welche Richtung es gehen kann, mit Lehm und Schilf. Mit Rolf Canters hatten wir einen absoluten Experten, der auch viele Details mitgeplant hat.“ Rolf Canters, Eigentümer des Ingenieurbüros Bau Plusenergie, übernahm die energetische Fachplanung und die Baubegleitung. Mit ihm konnten sie auch den KfW-Investitionszuschuss „Energieeffizient Sanieren“ über 4.000 € voll abrufen. Zudem gab es einen Baukostenzuschuss über 14.000 €.

Planung durch Architekten

Joachim Friedrichs, Vater von Estelle und Architekt im Ruhestand, fertigte ein detailliertes Aufmaß des Hauses an und analysierte die vorgefundenen Baumaterialien. So konnte er die Sanierung gut planen, Handwerkerangebote kostensicher einholen, vergeben und die Ausführung überwachen. Und das Ehepaar konnte sich bei der Ausformulierung ihrer Wünsche Zeit lassen. „Bei so einem Objekt kann man nicht alles von vorne herein planen“, gibt der Bauherr zu bedenken. „Es hat keinen Sinn, zu überstürzen. Das wächst so mit.“

Das Erdgeschoss des zweistöckigen Hauses steckt nur mit seinem westlichen Sockel in der Erde. In diesem Teil liegt der Gewölbekeller. Daneben sind der Eingang mit Treppenhaus und zwei Räume, in denen die Heizung mit Öltanks und die Milchküche waren.

Der Tank für das Flüssiggas steht heute im Garten hinter der Küche, so dass die Räume für die Einliegerwohnung frei wurden. Der hintere Anbau ist nun von einer großzügigen Terrasse überdacht, die den kleinen Gartenbereich vergrößert. Die Terrasse begrenzt ein naturnaher Zaun aus geflochtenen Weiden. Geht man im Haus die Treppe hinauf, so kommt man in die großzügige Küche. „Die Wände sind gefallen, nachdem wir die Küche gekauft hatten“, erinnert sich der Hausherr. „So hat das alles ineinandergegriffen.“

Aus der Küche ist heute der direkte Zugang zum Garten durch ein zur Tür vergrößertes Fenster möglich. Auf diesem Stock liegen auch das Bad, ein Büro und ein Schlafzimmer. Weiter die Treppe nach oben, erreicht man das Dachgeschoss und den großzügigen Wohnraum. Hier geht der Blick vorbei an Deckenbalken bis unter den First. Auf der anderen Seite der Treppe liegen Schlafraum, WC mit nachrüstbarer Dusche, der neue Heizkessel und der Pufferspeicher, der die Solaranlage auf dem Dach und die Wassertasche des Holzofens im Wohnraum einbindet.

1 Bis unter den Dachfirst geht der Blick im großzügigen Wohnraum, Bild: Rolf Canters
2 Neuer Waschtisch im Landhausstil
3 Tragwerk und andere originale Hölzer arbeiteten die Bauherren liebevoll auf
4 Repräsentativer Eingang mit Baujahr 1913
5 Wie im offenen Esszimmer, sind alle Außenwände innen mit Schilfrohr, Wandheizschlaufen, Lehm und Lehmfarbe ausgestattet
6 Zusammen mit Solarthermie und einem Gaskessel versorgt der Ofen die Wandheizung mit Wärme

Erneuerbare Energieversorgung

Rund ein Drittel der Wärme für Heizen und Warmwasser kommt damit von der Sonne, ein weiteres Drittel aus Holz, der Rest durch Gas. Der Energieberater Canters ist zufrieden: „Mit passiven Gewinnen sind zwei Drittel der Energieversorgung erneuerbar.“ Nicht nur aus diesem Grund hat er Zweischeibenverglasung für die neuen Fenster empfohlen. Nach seinen Berechnungen ist die ausgeführte Variante auf lange Sicht günstiger als eine Wärmepumpe, deren Betriebskosten teurer sind und die zudem im Winterhalbjahr einen schlechten Wirkungsgrad hat. Abgestrahlt wird die Wärme über Wandheizflächen. Dazu liegen auf allen Außenwänden Heizschlaufen, auch über den Fenstern.

In der Einliegerwohnung im Untergeschoss liegen die Leitungen auf Kalziumsilikat-Platten in reinem Kalkputz, da hier aufsteigende Feuchtigkeit kritisch werden könnte. Im Ober- und Dachgeschoss liegen sie auf Schilfplatten in Lehmputz, vom Baubiologen empfohlene nachhaltige Materialien. Auch wegen Denkmalschutz war eine Außendämmung ausgeschlossen. Nur der Giebel auf der Westseite erhielt zum dauerhaften Schutz des Fachwerkes eine zusätzliche Dämmschicht aus Holzfaser und eine hinterlüftete Holzverschalung aus sibirischer Lärche.

Wärmebrücken und Dachdämmung

Canters optimierte auch die Wärmebrücken und die übrigen Dämmmaterialien. „Ich empfehle grundsätzlich mindestens 20 cm Dämmung im Dach, meist Richtung 24 cm und kombiniere sinnvoll eine Zwischensparrendämmung mit einer durchgehenden Aufsparrendämmung“, gibt er an. Nur bei den Fensterrahmen konnte er die Bauherren nicht von baubiologischem Holz überzeugen. Aus Preisgründen sind sie aus Kunststoff. Einige Fenster sind mit einer Überstromöffnung ausgestattet, so dass im Spitzboden unter dem First ein Abluftventilator installiert werden konnte.

Damit die Fassade winddicht ist, wurden der noch vorhandene Fugenmörtel zwischen Klinkern und Fachwerkbalken entfernt, mit Hanf ausgestopft und mit einem faserigen Kalkmörtel ausgefugt. Auf der Innenseite der Außenwände ist die luftdichte Ebene mit Lehm hergestellt. „Das war ganz wichtig“, betont der Bauingenieur. In den Randbereichen über dem Gewölbekeller ließ er die Bereiche zwischen den Balken mit Wärmedämmputz ertüchtigen.

Damit neben dem Betonsockel mehr Platz für den Dämmputz ist, wurde seine Innenecke abgeschlagen. Durch eine Lehmschüttung im Boden und tief liegende Heizleitungen sollte es keine Kondensationsprobleme im Sommer geben. „Solche erdberührende Wärmebrücken bezeichne ich als sommerliche Wärmebrücken“, erklärt Canters. Zwischen Ober- und Dachgeschoss gibt es eine winterliche Wärmebrücke, die jetzt eine Ringleitung von Kondensat freihält. Zur Optimierung der Wärmebrücken in den Fensterlaibungen setzt er einen dünnen Streifen PU-Dämmstoffe mit WLG 024 ein. Die Einliegerwohnung schließlich ist zum Erdreich mit Schaumglas gedämmt. 

Optimierter Verbrauch

„Im Winter heizen wir den Holzofen hauptsächlich am Wochenende“, erzählt der Hausherr. „Die Wärme hält dann einen guten Tag.“ Im Sommer genügt die Solarthermieanlage. „Wir kommen mit Heizkosten von 140 – 150 € je Monat für das gesamte Haus hin“, rechnet er zufrieden vor. „Da ist auch die Einliegerwohnung mit temperiert, weil wir ansonsten oben zu viel heizen müssten. Die Wärme ist extrem angenehm über das ganze Jahr hinweg.“

Eigenleistung

Vor der Sanierung wohnten Estelle und Christian Hänel auf der anderen Seite von Stuttgart. 1,5 Jahre betreuten sie die Arbeiten von dort. In den Ferien und am Wochenende arbeiteten sie selbst auf der Baustelle, vor allem frisch gebackene Handwerker. Ein Nachbar in Rietenau, der gerade sein Haus sanierte, lieh ihnen seine Putzmaschine. „Der stand plötzlich im Haus bei uns und hat uns auch mit seinen Erfahrungen geholfen“, erzählt Hänel. „Ab dem Heizverteiler haben wir alles gemacht, auch die Heizschienen belegt.“

Das erste Gewerk, das sie vergaben, waren die Zimmererarbeiten am Dach. Die bestehenden Dachgauben konnten sie erhalten. Sie sind heute erneuerbar gedämmt und mit Lärchenholz verkleidet. Als Dach- und Obergeschoss bis auf zwei Zimmer bewohnbar waren, zogen die Hänels ein. Den Rest stellten sie sukzessive nach Einzug fertig. „Wir haben klassisch von oben nach unten gearbeitet, damit wir nicht im Staub und Schutt leben müssen“, erklärt der Bauherr. Auch die Fensterbretter setzen sie selbst. Deshalb gibt es heute noch ein paar Ecken, die immer noch nicht ganz fertig sind. Aber das kommt mit der Zeit und tut dem Wohlfühlen keinen Abbruch. „Wir sind nach wie vor begeistert und wollen auch gerne andere begeistern“, so der Hausherr.

Baudenkmal Rietenau

Wohnfläche248 m² (mit Einliegerwohnung)
BauherrenEstelle und Christian Hänel
Baujahr1913
Sanierung2016
Außenwände
(von außen nach innen):
Klinker mit Schmuckelementen 12 cm; Innendämmung mit Wandheizung System Eiwa (Lehm ca. 2 cm, Schilfrohrdämmung 8 cm, Heizschlaufen in Lehmputz 3 cm, Feinputz Lehm 1 cm), Lehmfarbe
Giebel OstFachwerk mit Klinker ausgemauert 12 cm – Fugen saniert; Innendämmung mit Wandheizung, Lehmfarbe
Giebel WestLärche Rauspund 1,8 cm, Hinterlüftung 3 cm, Holzfaserplatte 8 cm, weiter wie Giebel Ost
DachZiegel hinterlüftet, Unterdachbahn (Creaton Trio), Holzfaserdämmung (Gutex) 8 cm, Hanfdämmung zwischen den Sparren 12cm, Dampfbremse, Holzfaserplatte 2 cm, Lehmputz 2 cm
Boden
Pichpine geölt
FensterKunststoffrahmen, z.T. mit Überstromöffnung mit Volumenstrombegrenzung; Zweifachverglasung für passive Solargewinne
EnergiestandardKfW Effizienzhaus Denkmal
WärmeerzeugungSolarkollektor dachintegriert 9,4 m², Heizkessel Flüssiggas 15 kW, Holzofen 8 kW (externe Zuluft)
Kosten für Ausbauca. 250.000 € + Eigenleistung ca. 100.000 € (200 – 250 Tage)
Energieberatung, BaubegleitungRolf Canters, Baubiologe IBN, www.bauplusenergie.de
Bestandsaufnahme, Planung und BauüberwachungJoachim Friedrich, Dipl. Ing. Architekt

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Fotos: Achim Pilz

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