Kita in Lehm und Eiche

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Spรคtmittelalterliches Hallenhaus: Martin Breidenbach hat mit seinem neuen Kindergarten Baukultur liebevoll erhalten, detailgerecht wiederhergestellt, groรŸzรผgig erweitert, einer neuen Nutzung zugefรผhrt und an neue Generationen weitergegeben.

Autor

Achim

Pilz

freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

Wohngesunde Materialien wie Holz und Lehm kamen im Inneren und auch fรผr die neue Fassade zum Einsatz.

Martin Breidenbach wusste, wie viel Baukultur sich in der Ruine in der Viersener Greefsallee versteckte. Das niederrheinische Hallenhaus vom Ende des Mittelalters war zwar so stark zerfallen und unansehnlich, dass es das Denkmalamt nicht mal als Denkmal listete, aber Breidenbachs eigenes Wohnhaus und Architekturbรผro ist fast der gleiche Typus eines Wohn-Stallhauses.

Es liegt ganz in der Nรคhe, wurde ebenfalls im 15./16. Jahrhundert erbaut und hat den gleichen dreischiffigen Grundriss mit einem breiten Mittelschiff und zwei schmaleren Seitenschiffen. Seit 1984 hatte er es baubiologisch saniert und dabei auch mit Strohleichtlehm experimentiert. Denkmalgerechte Details, eine handwerkliche Ausfรผhrung und baubiologische Materialien sind fรผr ihn selbstverstรคndlich.

So schick sieht der Altbau nun aus. Seine Fassade ist bis auf das exponierte obere Giebelfeld aus Lehm.

ร„nderung des Planungsrechts

Als die Kleine Wassermann GbR eine neue, zweigruppige Kita bauen wollte, schlug Breidenbach vor, die Ruine in der Greefsallee denkmalgerecht zu sanieren und anzubauen. Er wollte nur historische und รถkologische Materialien verwenden und fรผr die Fassade auch mรถglichst auรŸen Lehm verwenden. โ€žDa haben wir uns viel getrautโ€œ, ist er stolz.

Allerdings musste zuerst das Planungsrecht geรคndert werden. Eigentlich hรคtte hier eine UmgehungsstraรŸe entstehen sollen. Die Vorschlรคge des Bรผros Breidenbach machten einen passenden stรคdtebaulichen Rahmenplan mรถglich. Die StraรŸe liegt erst einmal auf Eis. In der Folge rekonstruierte das Bรผro sehr viel von dem Hallenhaus und erhielt auch drei weitere, kleine Bestandsgebรคude.

Man nรคhert sich dem in der Tiefe des Grundstรผcks liegenden Haus durch den Vorgarten mit altem Baumbestand. Das Gebรคude ist umgeben von heilsamer Natur. Der Garten ist wichtiges Element fรผr die kleinen Nutzer der Kita. Das sehr differenziertes Pflanzkonzept von Cornelia Breidenbach sorgt fรผr Blรผtenpracht das ganze Gartenjahr. Der Bau selbst ist รผber die Jahrhunderte etwas โ€žeingesunkenโ€œ, wie man sagt. Tatsรคchlich ist das umgebende Gelรคnde angefรผllt worden. So lรคuft um Alt- und Neubau eine niedrige gemauerte Wand, die diesen Niveauversprung mรถglich macht.

1 Das Tragwerk aus Eiche wurde bestmรถglich erhalten, alte Balken wiederverwendet und durch Neue ergรคnzt
2 Nordseite des รผber 500 Jahre alten Hauses vor der Sanierung

Bauzeitliche Rekonstruktion

Auf der Nordfassade des mittelalterlichen Gebรคudes lieรŸ der Architekt die das Fachwerk spรคter ersetzende Mauerwerkswand bis auf die nordรถstliche Ecke zurรผckbauen und stellte die bauzeitliche Gliederung mit dem ablesbaren Mittelschiff wieder her. Die neue Fassade wurde in den bauzeitlichen Materialien Lehm und Eichenholz erstellt.

Wo mรถglich erhielt der Zimmermann das historische Tragwerk, besserte es aus und verwendete auch ausgebaute Hรถlzer wieder. So erklรคren sich die immer wieder sichtbaren, ruรŸgeschwรคrzten Hรถlzer โ€“ nach der Erbauung brannte im Inneren erst einmal das Herdfeuer ganz ohne Kamin. Die gesamte Neu-Konstruktion besteht aus Eichenholz.

โ€žWir haben die Erfahrung gemacht, dass mit einer gut vorbereiteten Holzliste die Preise fรผr Eiche nicht weit entfernt sind von Fichte, Tanne und KVHโ€œ, betont der Planer. โ€žDa kann man sich auch mal einen grรถรŸeren Querschnitt leisten, folgend dem bauzeitlichen Vorbild.โ€œ Der Nachteil ist, dass Eiche kaum getrocknet zu bekommen ist, weil sie dazu neigt, sich zu verwerfen und zu drehen. โ€žEs spricht viel dafรผr, sie frisch zu verzimmern, wie man das frรผher auch immer gemacht hat und dann im abgebundenen Zustand zu trocknenโ€œ, erklรคrt der Fachmann mit dem enormen Wissen um historische Baustoffe und ihre fachgerechte Verarbeitung.

Besonders in der Fassade mussten viele Stรคnder ganz neu erstellt werden. Sie gehen รผber die gesamte Haushรถhe, um schwindendes Querholz zu vermeiden. Vertikal schwinden die Stรคnder kaum, nur in der Breite รผber die ersten Jahre. Deshalb lieรŸ der Planer die Fassade schrittweise erstellen. โ€žWir haben zwei Jahre gewartet, bis wir gemeint haben, dass die Restrisse verkraftbar sindโ€œ, sagt er. Den letzten Deckputz lieรŸ er erst 2017 auftragen, drei Jahre nach Fertigstellung.

Schon nach einem halben Jahr gibt es sichtbare Wasserspuren, die allerdings der Funktion keinen Abbruch tun. Erst in etwa zehn Jahren sei wieder eine Renovierung fรคllig, meint der Architekt. Nur einzelne, sehr exponierte Flรคchen, wie รผber dem Schopfdach des sรผdlichen Altbaus und die hohe Ostseite des Neubaus mit geringem Dachรผberstand sind mit Kalk verputzt und im Lehmfarbton gestrichen.

3 Das Foyer, Verbindung zwischen alt und neu, ist ein Raum fรผr die Bewegung mit eigenem Klima
4 Auch im Neubau wirken alte Materialien atmosphรคrisch
5 Differenzierte Raumhรถhe, รถkologische Materialien und eine ruhige Gestaltung sind fรผr alle Sinne ein Erlebnis

Verbindendes Foyer

An der geschichtstrรคchtigen Fassade vorbei, geht man durch ein gemauertes Tor โ€“ Teil des Bestandes. Hinter dem Rundbogen รถffnet sich der Kita-Neubau groรŸzรผgig verglast. Sowohl das Foyer zwischen alt und neu als auch groรŸe Teile der Nordfassade und des Dachs des anschlieรŸenden Neubaus รถffnen den Ausblick รผber den verwunschenen Garten auf die malerischen Weiher des Hammerbachs und in den Himmel. So entstand eine Art Wintergarten als ErschlieรŸung in der Horizontalen und Vertikalen und verbindender Bereich der Rรคume der unter drei und der รผber drei Jahre alten Kinder. รœber dem Foyer schwebt ein dynamisch geschwungener Steg, der die Raumhรถhe fรผr die Kleinen erlebbar macht.

Grundriss Altbau

Vom Foyer geht es rechts wieder in den Altbau, zu den unter Dreijรคhrigen. Der museale Herdplatz mit dem spรคter nachgerรผsteten doppelseitigem Kamin trennt die Halle lรคngs in zwei Teile. Im Nordosten liegt der keine Gewรถlbekeller, darรผber der Raum fรผr den Mittagsschlaf der Kleinsten.

Besonders gerne nutzen sie das so genannte โ€žThrรถnchenโ€œ, ein Miniatur-WC im geforderten Aufstieg zur Wickelkommode mit eigenem Fensterchen. Die Details, wie bei der Treppe, sind mitunter einfach, dem geringen Budget geschuldet, dafรผr umso robuster und vor allem kindgerecht.

Immer wieder gibt es kleine Durchblicke wie vom Thrรถnchen und kleine Durchgรคnge wie vom Eurythmiesaal unter dem Dach des Altbaus. Hier schrieb der Brandschutz eine minimale Breite vor. Die Hรถhe konnte der Architekt reduzieren. Gerne hรคtte Breidenbach die historische Innentreppe an dieser Stelle erhalten, was aber aus Brandschutzgrรผnden nicht mรถglich war.

Eckdaten Kita Wassermann

Baujahr15./16. Jahrhundert
Sanierung2014
Dach (von auรŸen nach innen)โ€ข Dachpfanne, Konterlattung
โ€ข Holzfaserplatte, Konstruktionsvollholz KVH 24 cm
โ€ข ausgeblasen mit Zellulose
โ€ข PE-Folie
โ€ข Verschalung aus รถsterreichischer Hochgebirgslรคrche
โ€ข sichtbare Bestandskonstruktion Eiche
โ€ข U-Wert 0,18 W/m2K
AuรŸenwรคnde (von auรŸen nach innen)โ€ข Eichenfachwerk ca. 14 cm
โ€ข in den Feldern Lehmputz ca. 1,5 cm (an exponierten Stellen Kalkputz mit lehmfarbigem Anstrich)
โ€ข Leichtlehmsteine mit Dreiecksleisten angeschlossen 11,5 cm
โ€ข Lehmkleber ca. 1 cm
โ€ข Holzfaserplatten max. 10 cm
โ€ข Lehmputz 2 cm
โ€ข U-Wert 0,27 W/m2K
Bodenโ€ข Glasschotter Misapor 15 cm
โ€ข Beton 20 cm
โ€ข Holzfaserdรคmmung 3 cm
โ€ข Estrich 6,5 cm
โ€ข Parkett (Buche oder Eiche) bzw. Linoleum
โ€ข U-Wert 0,38 W/m2K
Fensterโ€ข Holzrahmen, teilweise mit Aluminiumblenden
โ€ข Hanf-Kalfaterband, Isolierverglasung
โ€ข U-Wert 0,9 W/m2K
โ€ข g-Wert 48 % bzw. 20 % als Sonnenschutz
Energieโ€ข Heizung mit Erdwรคrme-Wรคrmepumpe
โ€ข Temperierung aller AuรŸenwรคnde โ€“ horizontale Leitungen alle 25 cm
โ€ข Jahres-Primรคrenergiebedarf QP: 151.6 kWh/m2a
Planung/BauleitungArchitekturbรผro Martin Breidenbach, Viersen, www.architekt-breidenbach.de
Quellenangaben

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2 Kommentare

  1. Kรผrzlich hat es in diesem Altbau stark gebrannt (Brandstiftung).
    Dank des diffusionsfรคhigen Bodenaufbaus konnte das Lรถschwasser weglaufen und gut austrocknen und hat deshalb relativ wenig Schaden angerichtet. Aktuell wird saniert. Wir werden noch eingehender darรผber berichten.

    Antworten
  2. Ein wirklich nachhaltiges und auch noch schรถnes Gebรคude. Als Autor mรถchte ich noch ergรคnzen, dass die Konstruktion aus Eichenholz genauso kostengรผnstig war, wie konventionelle Holzkonstruktionen. Darauf werde ich demnรคchst in einem weiteren Bericht tiefer eingehen.

    Antworten

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Bilder: Martin Breidenbach

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