Reithalle – Denkmal der Zukunft

1 Kommentar(e)

Leidenschaftliche Bauherren und der Wunsch, eine ungenutzte Reithalle wieder mit Leben zu füllen und öffentlich zugänglich zu machen, stehen hinter diesem denkmalgeschützten und preisgekrönten Großprojekt.

Autor
Michael Welle

Michael

Welle

Architekt, Baubiologe IBN, Dozent an der Hochschule Rottenburg, Studiengang Ressourceneffizientes Bauen im Fach Wohngesundheit und Raumdesign, 77652 Offenburg

Das geschichtsträchtige Gebäude von 1946/47 hatte ursprünglich als Offizierschule der französischen Besatzungsmacht gedient. Nach langem Leerstand erwarb das Ehepaar Weber 2016 die Reithalle und begann 2020 mit der Sanierung des Gebäudes. 

Das Sanierungskonzept – teilweise durch die Stadt vorgegeben – sah eine Mischnutzung vor, die das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. So entstand die Markthalle Achern mit einem Unverpackt-Laden, einer Frischetheke und einem Floristikbereich. Sie wurde als Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaft gegründet und fördert regionale Einkaufskultur. Zu den weiteren Nutzungen zählen das „Café 58“ mit dem Biergarten „Tanke 58“, ein Buchladen, sowie Büroräumlichkeiten und drei Wohneinheiten.

Identifikation durch Interaktion

Das besondere an der Reithalle ist, dass die verschiedenen Nutzungen lediglich durch Einbauten ihren Platz fanden. Die Halle blieb durchgängig als solche ersichtlich. Alle Nutzungseinheiten gelangen über den gleichen und einzigen Eingang in die Markthalle, wovon aus in die weiteren Nutzungseinheiten verteilt wird. Das war ein Wunsch der Bauherrschaft, um die Interaktion und das Gemeinschaftsgefühl der Nutzer und Besucher zu stärken und Identifikation zu stiften. 

1 Ansicht Eingang
2 Seitenansicht mit Platzgestaltung
3 Innenansicht mit Blick auf Eingang
4 Markthalle
5 Wohnung

Die Größe der Reithalle überall spürbar

Die Fassade blieb weitestgehend erhalten. Der große, offene Innenraum wird durch die eingeschobenen Kuben gegliedert und schafft ein Wechselspiel von unterschiedlichen Bereichen. Via Treppe gelangt man über den Eingangs- und Cafébereich auf eine zweite Ebene, die Büroeinheiten und eine Empore beherbergt. Um in den mittleren Bereich der Halle zu gelangen, in dem sich die Kühlhäuser und Sanitäranlagen befinden, muss die Markthalle einmal durchquert werden. Daran anschließend wurden weitere Büroeinheiten und drei zweistöckige Wohneinheiten angeordnet. Die großen Bestands-Tore, die sich mit 4×4 m über beide Geschosse erstrecken, wurden durch Glaselemente ergänzt und lassen lichtdurchflutete, loftartige Wohnungen entstehen.

Anbindung Außenraum

Innen- und Außenraum fließen spürbar ineinander. Auch die Außenanlage wurde in enger Abstimmung mit allen Beteiligten erarbeitet. Sie wurde in verschiedene Zonen unterteilt – darunter; offene, bespielbare Erschließungszonen mit Plätzen, privaten Terrassenflächen, die über Stege an die Plätze angebunden sind, entwässerungstechnische notwendige Muldenflächen und den Biergartenbereich. Die Gestaltung der Außenanlage trägt wesentlich zur Neugestaltung und Aufwertung des Areals bei.

6 Erdgeschoss
7 Obergeschoss
8 Längsschnitt mit integrierten Wohnungen
9 Querschnitt mit integrierter Wohnung

Denkmalschutz und moderne Technik

Die Versorgung der Halle mit Strom und Wärme erfolgt über Solaranlagen auf dem Dach und ein im Gebäude integriertes Blockheizkraftwerk sowie einem Pelletkessel. Innovativ ist, dass die gesamte Technik nicht in einem Technikraum untergebracht ist, sondern sichtbar im Innenraum der Markthalle zur Schau gestellt wird. Die Photovoltaik-Module sind über die im Dach integrierte Verglasung von innen sichtbar und schaffen einen interessanten Übergang des denkmalgeschützten Gebäudes zur modernen Technik. 

Weniger ist mehr

Mit wenigen Mitteln wurde hier eine Umnutzung erreicht. Dies spiegelt sich auch in den wenigen verwendeten meist naturbelassenen Materialien wider wie Stein, Beton und Holz. Der sichtbare Betonboden ist beispielsweise Trag- und Nutzschicht in einem Bauteil. Auf aufwändige Verkleidungen wurde verzichtet.

Das Projekt zeichnet eine große Wertschätzung gegenüber der baukulturellen Leistung vergangener Epochen aus. Das bestehende Gebäude ist und bleibt Hauptakteur. Die Reithalle wird zur großen Markthalle, die als konzeptioneller Überbau nach dem Prinzip „Haus im Haus“ fungiert.

Baudaten

Sanierung der Reithalle Achern, 2020 – 2023

PlanerstellerMichael Welle Architektur GmbH
Zimmererarbeiten Erich Armbruster Zimmerei e.K.
TGA-Planung und AusführungGerold Weber Solartechnik GmbH
Nutz- und Wohnfläche 2.650 m3 insgesamt
AußenwändeBestandsmauerwerk, ungedämmt
DachBestand bzw. nach Bedarf ersetzt, Holzweichfaserdämmung, Ziegeldach mit Holz/Stahl-Tragwerk Bestand, vorhandene Ziegel wiederverwendet
InnenwändeHolzständerwände, gedämmt mit Holzweichfaser
BödenNeue Bodenplatte aus Stahlbeton, roh / nur in den Wohneinheiten und Büroeinheiten mit Parkett belegt (ohne Estrich)
ZwischendeckenLignotrend-Brettsperrholz-Rippenelemente
Fenster, TürenOriginalfenster weitestgehend aufbereitet, In Bereichen mit thermischen Anforderungen (Wohnungen) wurden Innenliegend zusätzlich neue Fenster eingesetzt
WärmeerzeugungBlockheizkraftwerk mit Pelletkessel / Solarthermie zur Heizungsunterstützung und Warmwasseraufbereitung / Nutzung der Abwärme aus der Kühlung zum Heizen
WärmeverteilungFußbodenheizung
Photovoltaik (PV)Je 2 x 2 x 60 m lange PV-Bänder in Dachfenster integriert, Gesamtleistung 26 kWp
Regenwassernutzung2 Zisternen zur Toilettenspülung
Weitere baubiologische Kriterien, BesonderheitenBauen im Bestand, wenige, sorgfältige Eingriffe, Bestandsgebäude = Speicher grauer Energien, Wiederverwendung vorhandener Materialien wie Ziegel, Mauerwerk, Überarbeitung/Aufarbeitung bestehender Materialien (Fenster, Tore), Ergänzung bestehender Materialien wie z.B. dem Dachtragwerk
Auszeichungen• Staatspreis für Baukultur 2024 in der Kategorie Gewerbe- und Industriebau
• 3. Platz des Brownfield-Award 2024 in der Kategorie bestes Brownfield-Projekt <10.000 qm
• Hugo-Häring-Auszeichnung 2023 (Baden-Baden – Rastatt – Ortenaukreis)

Ihre Stimme zählt

Wir sind neugierig darauf, was Sie zu sagen haben. Hier ist Raum für Ihre Meinung, Erfahrung, Stellungnahme oder ergänzende Informationen. Wir bitten Sie um Verständnis, dass auf dieser kostenlosen Informationsplattform:

  • Fragen nicht beantworten werden können – bitte stellen Sie Ihre Fragen direkt an unsere Autor*innenAutor*innen.
  • Werbung nicht gestattet ist – Sie können aber gerne mit einem Werbebanner auf Ihre Produkte/Dienstleistungen aufmerksam machen

1 Kommentar

  1. Spannende Nutzungsmischung und schöne Atmosphäre.
    Da werden Reithalle und Historie aufgewertet.

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Quellenangaben und/oder Fußnoten:

Titelbild: Thomas Eicken
Bild 1-3: Fotograf Patrick Möhrle
Bild 4: Thomas Eicken
Bild 5: Patrick Möhrle
Abbildungen 6-9: Michael Welle

Autor
Michael Welle

Michael

Welle

Architekt, Baubiologe IBN, Dozent an der Hochschule Rottenburg, Studiengang Ressourceneffizientes Bauen im Fach Wohngesundheit und Raumdesign, 77652 Offenburg

ANZEIGE

Gibt es "Passende Magazin Beiträge"?: ja

Gibt es "Passende Literaturtipps"?: ja

Soll "Webinar" ausgeblendet werden?: ja

Soll "Raumgestaltung Weiterbildung" beworben werden?: ja

Soll "Beratungsstellen" beworben werden?: ja

How to become a Building Biology Consultant IBN?

Seminare und Qualifizierung: Baubiologische Messtechnik IBN
Seminare und Qualifizierung: Baubiologische Energieberatung IBN
Seminare und Qualifizierung: Baubiologische Raumgestaltung IBN
Baubiologische Beratungsstellen
IBN-Zertifizierungen für Bauweisen, Gebäude und Räume
Gesund, ökologisch, verantwortungsvoll Baustoffe, Materialien & Produkte

Nachhaltig weiterbilden

Know-how, Zusatzqualifikationen und neue berufliche Möglichkeiten für Baufachleute sowie alle, die sich für gesundes, nachhaltiges Bauen und Wohnen interessieren.

Unser Kompetenz-Netzwerk

Hier finden Sie unsere qualifizierten Baubiologischen Beratungsstellen und Kontakte im In- und Ausland nach Standort und Themen sortiert.

Über die Baubiologie

Die Baubiologie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebäude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.

25 Leitlinien

Für einen schnellen, aufschlussreichen Überblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhältlich.