Schneckenhaus

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Mori Nu Kotoma oder die Sprache des Waldes: Dieses Projekt ist eine kleine außergewöhnliche Villa mitten in Japan im Wald der Präfektur Nagano.

Autor
Tono Mirai

Tono

Mirai

Architekt, der zeitgenössische Architektur mit traditionellen Materialien "Erde" kreiert und lebt in Karuizawa, Japan

Die sieben tragenden Dachbalken sowie die dynamisch und organisch geformten Lehmwände symbolisieren den Lebenszyklus des Menschen und des Universums. Die zwei eingeschriebenen Kreise präsentieren deren Anfang und Ende. Es ist eine Architektur, die von der Erde vor Ort geboren wurde, mit dem Menschen korrespondiert, um danach wieder Teil der Erde zu werden.

Die japanische Kultur beschäftigt sich seit vielen tausend Jahren intensiv mit der Koexistenz von Mensch und Natur. Als Architekt möchte ich dieses Projekt als eine ökologische Symbiose und futuristische Architektur des 21. Jahrhunderts vorstellen, welche in dem Bewusstsein der japanischen Kultur und Ästhetik entstanden ist.

Geboren aus der Erde und zurück zur Erde

Der Bauherr stellte folgende Hauptanforderung an die Architektur: „ungewöhnlich, schön und zeitlos, auch noch nach langer Zeit“. Das Objekt steht in einem Ferienhausgebiet mitten im Wald. Hier dürfen maximal 20 % des Baugrundstücks überbaut werden und das auf der gegebenen Grundstücksfläche von weniger als 330 m2.

Unter Beachtung dieser Vorgaben entstand eine organische Form, die sich auf der Ost- und Südseite zum vorhandenen Bach und zum Einfangen des Sonnenlichts und der Sonnenwärme öffnet und auf der Nord- und Westseite zur Straße und Nachbarschaft hin schließt. Zudem haben wir uns zum Ziel gesetzt, dieses Haus unter Berücksichtigung baubiologischer Kriterien zu bauen. So wurden moderne Energiespartechniken berücksichtigt und vor allem Holz und Lehm aus der Region in viel Handarbeit verbaut. Selbst der Kamin wurde mit Stampflehm von Hand hergestellt.

1 Wendeltreppe und Wandverkleidung aus massivem Apfelbauholz
2 Obergeschoss: Sieben Balken rund um die mittige Baumstammscheibe bilden die tragende Dachstruktur
3 Erdgeschoss mit Feuerstelle aus Stampflehm
4 Die Grenzen zwischen drinnen und draußen lösen sich bei ganz geöffneten Schiebetüren auf

Die Konstruktion als Novum

Erstellt wurde eine Kuppel, die zusammen mit einer Wand die schneckenhausartige Grundstruktur bildet, einen regelmäßigen Kreis und eine Ellipse. Diese asymmetrische Form wird von 7 Dachbalken getragen und gehalten und hat zudem große Glasöffnungen. Die Lehmwände der geschwungenen Form bilden eine schützende Hülle für den Innenraum.

Besondere Akzente bieten indirektes Licht und in die Lehmwände integrierte Nischen.
Öffnet man die großen Schiebetüren aus Holz und Glas, verbindet sich der Innenraum über die Holzterrasse mit dem Wald. Eine solche Lösung ist traditionelles und auch heute noch typisches Merkmal japanischer Architektur.

Im Erdgeschoss gliedert ein kleiner erhöhter Boden die Raumstruktur. Das Obergeschoss wurde aus regional vorhandenem Kiefernholz gebaut und dient zum Schlafen mit einem Futon, das tagsüber zusammengerollt wird.

Die Außenhülle besteht nicht aus natürlichem Material, sondern aus Bitumenschindeln. Deren Sandbeschichtung weist eine ähnliche grüne Farbe auf, wie in der Umgebung häufig vorzufindende Steine. Aufgrund des feuchten Waldklimas können wir davon ausgehen, dass im Laufe der Zeit Moos darauf wächst.

Die gewählte Grundstruktur aus Holzsäulen und 7 gebogenen Dachbalken, ausgehend von einer zentralen kreisförmigen Baumstammscheibe, die darüber gewölbte Holzschale und auch das mehr als 2,7 m auskragende Dach, finden ihren Ursprung in der traditionellen japanischen Holzbauweise „Hanegi“.

5 Grundriss Erdgeschoss: Wohnraum mit Kochnische und erhöhtem Boden (320 mm) für den Essbereich, Abstellraum und WC unter der Treppe, Badezimmer und außenliegendem Holzdeck
6 Grundriss Obergeschoss: Schlafempore mit Futons, die tagsüber zusammengerollt werden. Ein Oberlicht dient zum Abblühten warmer Luft im Sommer
7 Konzeptskizze: Grundgedanke war, die östliche Philosophie mit den Lehren Rudolf Steiner zu verbinden

Energiekonzept 

Gegenwärtig (2015) erzeugt Japan 3,2 % der weltweiten CO2-Emissionen, das entspricht einer jährlichen Pro-Kopf-Emission von 9,5 Tonnen und entspricht dem 5. Platz in der Weltrangliste (zum Vergleich Deutschland: 2,1 %, 9,8 Tonnen, 6. Platz); Haushalte sind an diesen Zahlen mit 16 % beteiligt.

Aktuell sind die japanischen Energiespar-Standards bereits strenger als in Deutschland, dennoch bietet dieses Schneckenhaus noch bessere Werte als gefordert. Die große Öffnung im Süden ermöglicht vor allem im Winter die Nutzung der passiven Sonnenenergie, die von den dicken Lehmwänden gespeichert wird. Der U-Wert der Außenwände beträgt 0,2 W/m2K.

8 Ostansicht: Das weit auskragende Dach findet seinen Ursprung in der traditionellen japanischen Holzbauweise “Hanegi”. Aus gestalterischen Gründen, aber auch wegen des vielen Laubes, gibt es keine Dachrinne
9 Zur Nord- und Westseite (=Straßenseite) schließt sich das Schneckenhaus
10 Das Schneckenhaus öffnet sich nach Süden und nutzt so optimal die passive Sonnenenergie

Fazit

Basierend auf diesem Konzept strahlt dieses Haus eine „einfache Schönheit“ aus, die ohne zusätzlichenFarben oder Dekorationen auskommt und eine Architektur bietet, die mit den Menschen „spricht“. Im 21. Jahrhundert besteht die Notwendigkeit für eine Architektur mit regionaler Identität, die zudem in die Umwelt integriert ist und unseren Planeten nicht belastet. Ich hoffe, dass dieses Haus als eine „Antwort“ aus Japan gesehen wird.

Baudaten Muschelhaus, Japan

ArchitekturTono Mirai, Tono Mirai architects
StatikTerashima Construction Company
FlächenBrutto-Grundfläche: 37,80 m2
überbaute Fläche: 58,04 m2
ZeitenEntwurf 10/2011 – 04/2016
Ausführung 4/2016 – 5/2018
MaterialienInnenwände & Decke: Lehm aus der Region
Boden: Holzboden
Außenschicht: Bitumenschindeln sandbeschichtet

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Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von takeshi noguchi

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