Strohballenhaus im Dorfkern

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Das nachhaltige Doppelhaus Hoinka aus einfachen Materialien wie Stroh, Holz und Lehm, die trennbar und somit wiederverwertbar verarbeitet wurden, verdichtet einen gewachsenen Dorfkern. Sein sehr flexibler Grundriss erlaubt verschiedenste Konstellationen des Zusammenlebens und kann im Erdgeschoss weiterentwickelt werden.

Autoren

Florian

Kaiser

Florian Kaiser und Guobin Shen, Atelier Kaiser Shen, Stuttgart

Pfaffenhofen ist eine kleine Gemeinde in der Nรคhe von Heilbronn. Das Dorf ist geprรคgt von einem Idyll mit Kirche und Fachwerkhรคusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert in der Ortsmitte, im Hintergrund erheben sich malerisch Weinberge. Der Ortskern wurde durch ein Wohnhaus in ortstypischer GrรถรŸe nachverdichtet, das in mehrerlei Hinsicht auรŸergewรถhnlich ist. Bereits seine Bauweise spiegelt die Haltung und Tรคtigkeit des Bauherrn wider. Ziel war es, ein Gebรคude zu schaffen, das mรถglichst aus nachwachsenden und natรผrlichen Rohstoffen besteht, die dem natรผrlichen Kreislauf zurรผckgefรผhrt werden kรถnnen.

Alles fuรŸte auf der Idee, Strohballen kombiniert mit Lehmputz als thermische Hรผlle fรผr Boden, Decke, Dach und Wand einzusetzen. Stroh ist nachwachsend, kreislauffรคhig und damit klima- wie auch ressourcenschonender als viele andere Dรคmmstoffe. Zudem ist es รผppig vorhanden und kann regional geerntet werden. Die Strohballen mit einer Dicke von 36,5 cm werden in eine Holzunterkonstruktion hineingepresst und รœberstรคnde mit einer Heckenschere abgefrรคst.

Das selbst gesteckte Ziel bei Haus Hoinka bestand darin, alle sechs Fassaden โ€“ also auch das Dach und die Bodenplatte โ€“ in dieser Strohballenbauweise umzusetzen. Um auf aufwendige Abdichtungen zu verzichten und die Strohballen in der Bodenplatte dennoch dauerhaft vor Wasser zu schรผtzen, wurde das Haus um ein gesamtes Geschoss aufgestรคndert. Das kompakte Kernhaus ruht auf einem Betonkreuz und vier Stรผtzen. Bei geschlossenen Holz-Fensterlรคden entsteht der Eindruck eines aufgestรคnderten Holzblocks, der im deutlichen Kontrast zum freien Gartengeschoss steht. Dabei greift Haus Hoinka die Dachform seiner Nachbarschaft auf und steht mit seinem steinernen Sockel und auskragenden Holzbau in direktem Dialog mit den Fachwerkhรคusern im Dorfkern.

Weiterbaubares Haus

Hinter der einfachen Grundform verbirgt sich ein komplex ineinander verschachteltes Doppelwohnhaus. Dabei sind die beiden Wohneinheiten jeweils durch eine einlรคufige Treppe mit dem Gartengeschoss verbunden. Die Wohnungseingangstรผren befinden sich somit im Erdgeschoss. Auf allen Geschossen sind die Wohneinheiten symmetrisch zueinander angeordnet, wodurch alle Bewohner*innen von den vier Himmelsrichtungen des Hauses profitieren: Die Blicke reichen von jeder Wohnung aus nach Osten zum Kirchplatz, nach Westen zum Garten, nach Norden zu den Weinhรคngen und nach Sรผden รผber die Dรคcher des Dorfes in die Weite. Im ersten Geschoss ist das Haus in Lรคngsrichtung, im zweiten Geschoss in Querrichtung geteilt. Die Fichtenholzkonstruktion und der Lehmputz in der zur Dorfmitte gerichteten Wohnung wurden weiรŸ pigmentiert, in der zum Garten gerichteten hingegen naturbelassen. Diese Teilung zeichnet sich auch in der Fassade aus WeiรŸtanne dezent ab: Die Brettbreiten in der Boden-Deckelschalung variieren leicht zwischen den beiden Doppelhaushรคlften und lassen so das Innere erahnen.

Die vier sich aus der Aufstรคnderung ergebenden offenen Felder sind Mรถglichkeitsrรคume. Im ersten Ausbaustand entschied sich der Bauherr dazu, in einem Feld eine Einliegerwohnung zu realisieren. Weitere Ausbauten, etwa ein Wintergarten, eine Werkstatt oder ein Gรคstezimmer, sind mรถglich. Im nachtrรคglichen Weiterbauen durch die Bewohner*innen sieht Atelier Kaiser Shen eine enorme Bereicherung.

1 Mit geschlossenen Fensterlรคden wirkt das aufgestรคnderte Vollholzhaus Hoinka Avon Atelier Kaiser Shen besonders ruhig
2 Grundriss Erdgeschoss: 1 Eingang Doppelhaushรคlfte 1, 2 Eingang Doppelhaushรคlfte 2, 3 Sommerkรผche, 4 Parken, 5 Technik, 6 Ausbau Barrierefreie Wohnung
3 Grundriss erstes Obergeschoss: 1 Doppelhaushรคlfte 1, 2 Doppelhaushรคlfte 2 (geschossweise teilbar)
4 Grundriss zweites Obergeschoss: 1 Doppelhaushรคlfte 1, 2 Doppelhaushรคlfte 2 (geschossweise teilbar)
5 Teilung in Doppelhaushรคlfte 1 (schwarz) und Doppelhaushรคlfte 2 (weiรŸ)
6 Mรถgliche Aufteilung in zwei bis sechs Wohneinheiten

Rรคume ohne Eigenschaften

In den Wohngeschossen gibt es jeweils acht nahezu quadratische Rรคume mit einer Abmessung von etwa 4 x 4 Metern. Da alle Rรคume nahezu identisch sind, kรถnnen sie wechselweise als Kรผche, Schlaf-, Wohn- oder Esszimmer genutzt werden. Lediglich Kรผchen und Bรคder sind bei Haus Hoinka aufgrund der Installationen klar festgeschrieben. Im Dachgeschoss wurden unter der Dachschrรคge breite Bandfester eingesetzt.

Die beiden Wohneinheiten der Doppelhaushรคlften sind jeweils geschossweise teilbar. So kรถnnen die zwei groรŸen Maisonettewohnungen in vier kleine Wohneinheiten unterteilt werden. Die interne Treppe wird in diesem Fall zu einem Treppenhaus, das zwei Wohneinheiten erschlieรŸt. Die Zimmertรผren zum Treppenhaus bilden dann die neuen Wohnungseingรคnge. So kann flexibel auf sich verรคndernde Familienverhรคltnisse reagiert werden. Wenn beispielsweise die Kinder ausziehen, kรถnnen die Eltern ein Geschoss bewohnen und das andere getrennt untervermieten. So kann der Flรคchenverbrauch, also der Wohnraum pro Kopf, nach Auszug der Kinder wieder reduziert werden. Das Haus bietet somit โ€“ auch ohne bauliche Eingriffe โ€“ eine groรŸe Nutzungsflexibilitรคt.

7 Einbau der Strohballendรคmmung in Wรคnde, Boden und Dach
8 StraรŸenansicht mit Zugang zur Doppelhaushรคlfte
9 In einem Viertel des Erdgeschosses gibt es bereits eine Einliegerwohnung. Die anderen Teile kรถnnen noch ausgebaut werden
10 In der Doppelhaushรคlfte 1 prรคgt warmes Fichtenholz die Rรคume
11 In der Doppelhaushรคlfte 2 ist das Fichtenholz und der Lehmputz weiรŸ pigmentiert
12 Unter dem Dach gibt es hohe Rรคume …
13 … und einen schรถnen Ausblick รผber die Dรคcher von Pfaffenhofen
14 Unter die Schrรคge eingepasste Toilette

Kraftwerk Haus

Bei Haus Hoinka wurde auf den Einsatz einfacher und รถkologischer Materialien Wert gelegt. Neben der Verwendung von Stroh, Lehm und Holz wurde darauf geachtet, dass auch alle anderen eingebauten Materialien eine gute ร–kobilanz aufweisen und wieder sortenrein trennbar verarbeitet werden kรถnnen. Auf schwer lรถsbare Klebungen wurde weitestgehend verzichtet. Alle Materialien sind einschlieรŸlich ihrer Herkunft in einer vom Bauherrn entwickelten Datenbank fรผr nachhaltige Bauprodukte erfasst.

Zum Betrieb des Hauses werden hauptsรคchlich erneuerbare Energien eingesetzt. Strom wird aus Solarzellen gewonnen, die vollflรคchig in das Dach integriert sind. Insgesamt werden 30.000 kWh Strom pro Jahr produziert, was den prognostizierten benรถtigten Verbrauch deutlich รผbersteigt. Ein Tagesstromspeicher mit einer Kapazitรคt von 10 kWh sorgt dafรผr, dass der tagsรผber gewonnene Strom in den Abendstunden und in der Nacht verfรผgbar bleibt. Geheizt wird mittels einer (auf Kรผhlung umschaltbaren) Wรคrmepumpe, die eine Lehm-Deckenflรคchenheizung bedient. Insgesamt erreicht das Haus so den KfW-40-Plus-Effizienzhaus- und den Effizienzhaus-Plus-Standard, da es sowohl einen negativen Jahres-Primรคrenergiebedarf als auch einen negativen Jahres-Endenergiebedarf nachweisen kann. Im bewohnten Zustand soll es einem einjรคhrigen Monitoring unterzogen werden, um die tatsรคchlichen Verbrauchswerte mit den errechneten Werten vergleichen zu kรถnnen.

Die ร–kobilanz des Gebรคudes ist besonders gut: Im Vergleich zu einem konventionellen Doppelhaus-Neubau gleicher GrรถรŸe in Massivbauweise und mit klassischer Dรคmmung konnten durch insgesamt 140 Kubikmeter verbautes Holz 95 Prozent an CO2 eingespart werden.

Baudaten

Haus Hoinka, Pfaffenhofen

ArchitekturbรผroAtelier Kaiser Shen, Stuttgart
Baujahr2023
Bruttogrundflรคche521 mยฒ
DรคmmungStroh (fรผr Wรคnde, Boden, Dach)
KonstruktionEG Stahlbeton, OG Brettsperrholz
OberflรคchenWeiรŸtanne bzw. Lehmputz
Besonderheit2 ineinander verschrรคnkte Haushรคlften kรถnnen in 4 Einheiten geteilt und im EG erweitert werden

Quellenangaben

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1 Kommentar

  1. Sehr schรถn, dass es mittlerweile auch in Deutschland immer mehr preisgekrรถnte Architektur aus Holz, Stroh und Lehm gibt. Glรผckwunsch zu diesem hervorragenden Projekt!
    Mit dem gemeinnรผtzigen Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V. fรถrdern wir seit 2003 die Verbreitung und Bauaufsichtliche Zulassung des Baustoff Stroh. Meine bisherige Beobachtung war, dass die Vorreiter ร–sterreich, Schweiz, und in den letzten Jahren auch Frankreich einen starken Vorsprung habenโ€ฆ Vor allem auch รถffentliche Bauten (Schulen und Kindergรคrten) und grรถรŸere mehrgeschossige Wohnprojekte wurden bei unseren Nachbarn auch durch die รถffentliche Hand stรคrker gefรถrdert.

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Abbildungen: (1, 8) Brigida Gonzรกlez | (2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13, 14 ) Atelier Kaiser Shen

Autoren

Florian

Kaiser

Florian Kaiser und Guobin Shen, Atelier Kaiser Shen, Stuttgart

Soll "Beratungsstellen" beworben werden?: ja

Soll "Zertifizierung" beworben werden?: ja

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