Interview mit Tibor Kleinschmidt
Tibor Kleinschmidt
Wie wurden Sie Baubiologe?
Ich habe Architektur studiert. In meinen Augen ist das Studium sehr auf das zu errichtende Gebäude begrenzt. Meist geht es um „blutleere“ Begriffe wie Wirtschaftlichkeit, Funktionalität oder „gute“ Architektur. Auswirkungen des Gebauten im Mikro- und Makrokosmos sind bestenfalls eine Randnotiz wert. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Empfindungen bleibt sinnbildlich „außer Haus“. Hier setzt die Baubiologie an und bietet Architekten und anderen Berufsgruppen die Möglichkeit, den Menschen in den Mittelpunkt Ihres Schaffens zu stellen. Deswegen habe ich 2005 die Ausbildung zum Baubiologen begonnen und 2006 mit bestandener Prüfung beendete. Seit 2009 führe ich eine vom IBN anerkannte, eigenständige Baubiologische Beratungsstelle.
Welche Themen bearbeiten Sie als Baubiologische Beratungsstelle?
Bauwillige Kunden begleiten wir selbstredend zu den gewünschten Themen und planen für sie. Häufig wenden sich Kunden jedoch auch an uns, wenn sie zum Beispiel Messungen aus dem baubiologischen Themenfeld wünschen, oder ein gesundheitliches Thema haben. In diesem Fall stehen wir beratend zur Seite und führen, falls zielführend, Erstgespräche und Erstbegehungen durch. Unser Ziel ist, dem Kunden individuell eine Empfehlung bzgl. der ihn weiterbringenden Stelle bzw. Institution abzugeben. Ab und an erfolgt eine Initialberatung auch telefonisch, die mit der Weiterleitung an eine in dem erforderlichen Thema spezialisierte Beratungsstelle endet. Hierfür stellt das Netzwerk der baubiologischen Beratungsstellen IBN einen unersetzbaren Pool an Spezialisten dar. Im Sinne der Empfehlung des IBN werden solche kurzen telefonischen Beratungen unentgeltlich durchgeführt.
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Auch eine teilweise Baubegleitung ist möglich, wie bei diesem Wohnhaus im Ecoquartier in Holzständerbauweise2
Mehrfamilienhaus im Ecoquartier: gebaut mit holzfasergedämmten Außenwandziegeln3
Holzständerbau für drei Generationen
Wie fließt die Baubiologie in Ihre tägliche Arbeit ein?
Die Architektur stellt das Gebäude in den Mittelpunkt und nicht die Menschen, die darin leben oder arbeiten. Gibt es zum Beispiel Störgeräusche oder Meldungen über Unverträglichkeiten eines Gebäudenutzers, basierend auf chemischen oder physikalischen Einflüssen aus dem Gebäude beziehungsweise dem Grundstück, werden diese gerne mit Verweis auf gesetzliche Vorgaben und Richtwerte verdrängt. Verharmlosung statt Auseinandersetzung mit dem Notwendigen stellt oft den bequemeren Weg dar. Zwischen Panikmache und Verharmlosung hilft die Baubiologie. In diesem Sinne befasse ich mich regelmäßig mit den 25 Leitlinien der Baubiologie sowie dem Standard der Baubiologischen Messtechnik mit seinen Richtwerten. Orientierungsmaßstab ist die Natur, im Mittelpunkt steht der Mensch. Ergänzt um die Baubiologie stellt aus meiner Sicht die Architektur einen guten Ansatz für die tägliche Arbeit dar.
Wo liegen Ihre Arbeitsschwerpunkte?
Wir bearbeiten sämtliche Leistungsphasen, von der Grundstücksauswahl, über den ersten Entwurfsansatz bis hin zur Überwachung des Objektes in der Bauphase – selbstverständlich kundenabhängig unter Berücksichtigung der Baubiologie und der Energieberatung. Die Erfahrungen unseres Büros umfassen neben Wohnhäusern, auch Gewerbebauten, bis hin zu öffentlichen Gebäuden.
Baubiologie kundenabhängig bearbeiten – was verstehen Sie darunter?
Jeder Kunde, insbesondere Privatkunde, ist als Individuum mit eigenen Bedürfnissen zu sehen. Bestehen z. B. bekannte Unverträglichkeiten gegen chemische, physikalische oder biologische Einflussfaktoren, so wird hierauf von der Stellung des Gebäudes auf dem Grundstück bis hin zur Auswahl von geeigneten Materialien Rücksicht genommen. Die Baubiologie bietet das dafür notwendige Wissen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist oft die Folge.
Was verstehen Sie unter interdisziplinärer Zusammenarbeit?
Gemeinsam mit Partner-Beratungsstellen, Ärzten, Zahnärzten, Heilpraktikern, Handwerkern, Fachingenieuren und Messtechnikern wird – falls nötig oder gewünscht – das individuelle Paket geschnürt. Dies kann das Austesten von Materialunverträglichkeiten, die Sanierung von Elektroinstallationen, aber auch das Behandeln von Zahnherden bedeuten. Je mehr Menschen aus diversen unterschiedlichen Berufsgruppen zusammenwirken, desto besser kann für die individuelle Situation bzw. das Lebens- oder Arbeitsumfeld gebaut werden.
Sie setzen sich beruflich intensiv für die Ökologie ein. Sind Sie auch privat ein Vorbild?
Ökologie ist keine Mode, der man folgt, sondern eine Überzeugung. Aus diesem Grund ist sie auch nicht auf einen Bereich zu beschränken. Wie erwähnt, ist einer unserer Ansätze, auch bei uns selbst ein Bewusstsein zu schaffen. Wie sollte das gehen, wenn man im Privaten entgegengesetzt handelt? So leben wir zum Beispiel seit 2006 in einem 3-Generationen-Niedrigenergiehaus in Holzbauweise, aus überwiegend nachwachsenden Rohstoffen erstellt. Wir achten beim Kauf von Lebensmitteln auf die Herkunft und fahren ein Elektroauto, das mit Ökostrom zu Hause und im Büro geladen wird. Wie gesagt, Ökologie, Baubiologie und Nachhaltigkeit sollte man nicht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit betreiben, sondern als Haltung auch im Alltag leben.
Geht das Konzept mit dem Elektroauto auf?
Unabhängig, ob das Konzept mit dem Elektroauto aufgeht, wird es eine Alternative zu den bisherigen Antrieben geben müssen. Ganz ähnlich der Situation bei den Baustoffen aus fossilen Rohstoffen. Derzeit bilden Reichweite und Ladezeiten neben den Anschaffungskosten einschränkende Faktoren, die es heißt, von Herstellerseite in den Griff zu bekommen. Hier sind wir guter Dinge – und bis dahin wird ein etwas höheres Maß an die eigene Organisationsfähigkeit gefordert.
Was ist Ihr Ziel? Welche Visionen haben Sie?
Derzeit ist Ökologie und insbesondere Nachhaltigkeit im Trend. Viel wird hierüber gesprochen und geschrieben, diskutiert und philosophiert. Dabei wird jedoch oftmals das eigentliche Handeln vergessen. Unser Ziel ist es, durch die Art unseres Schaffens Bewusstsein für Ökologie, Nachhaltigkeit und Ganzheitlichkeit zu nähren – sowohl bei uns selbst, als auch in unserem Umfeld. Dabei wollen wir Gedankenanstöße geben. Erinnert sich ein Kunde nach Jahren im Zuge eines Anbaus an uns und er verwendet zum Beispiel eine Dämmung aus nachwachsenden Rohstoffen, so haben wir eines unserer Ziele erreicht. Meine Vision ist es, jedem bewusst zu machen, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Anteil leisten kann.
Vielen Dank für das Interview!
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Tibor Kleinschmidt
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Über die Baubiologie
Die Baubiologie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebäude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Für einen schnellen, aufschlussreichen Überblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhältlich.
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