Umweltzimmer im Krankenhaus

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Wohin mit Allergikern und MCS-Patienten? Patienten mit einer Vielfachen Chemikalienunverträglichkeit (MCS = Multiple Chemical Sensitivity) reagieren höchst sensibel auf kleinste chemische Umweltbelastungen, wie sie zum Beispiel von Lösemittel, Zigarettenrauch oder Duftstoffen hervorgerufen werden.

Autor
Josef Frey

Josef

Frey

Dipl.-Ing. für Innenarchitektur, Baubiologe und Mitarbeiter im IBN

Im Hamburger Agaplesion Diakonieklinikum wurden nun in einem einzigartigen Projekt schadstoffarme Umweltzimmer eingerichtet, um den Bedürfnissen dieser Patientengruppe gerecht zu werden.

Hierzu stellen wir Frau Ute Schlemmer (Abteilungsleiterin und für die Unternehmenskommunikation des Klinikums zuständig) folgende Fragen:

Wie kam es zur Einrichtung eines Umweltbereichs in Ihrem Krankenhaus?

Durch die Kontaktaufnahme einer MCS-Selbsthilfegruppe und durch den Arbeitskreis „Umweltklinik“ mit Beteiligung Betroffener und verschiedener Umweltmediziner entstand die Idee zur Realisierung von Umweltzimmern im Neubau unserer Klinik.

Gab es Unterstützung bei der Konzeption?

Für die Planung des abgegrenzten Bereichs für Patienten mit MCS oder anderweitigen Umwelterkrankungen wurde ein dafür qualifiziertes Architekturbüro hinzugezogen. Gemeinsam wurde unter Beachtung aktueller baubiologischer Erkenntnisse ein Doppel- sowie ein Einzelzimmer mit Vorraum und Schleusenfunktion eingerichtet.

Welcher finanzielle Mehraufwand war nötig?

Grob geschätzt haben wir im Zuge unseres Krankenhaus-Neubaus für die beiden Patientenzimmer (insgesamt drei Betten) 60.000 Euro mehr ausgegeben, als für Patientenzimmer einer normalen Station. Der gesamte Neubau wurde zu zwei Dritteln vom Land Hamburg gefördert. Das verbleibende Drittel ist eigenfinanziert. Diese Aufteilung trifft auch auf andere Ausgaben im Umweltschutzbereich zu.

Welche Erfahrungen haben Ärzte und Pflegepersonal?

Die Ärzte der entsprechenden Fachrichtung müssen sich vor allem auf z. B. Medikamenten- oder Desinfektionsmittel-Unverträglichkeiten der Patienten einstellen und Alternativen anbieten können. Allerdings bringen diese auch viele eigene Erfahrungen bezüglich ihrer Medikamentenunverträglichkeit mit. Bezüglich der Ausstattung sagt unsere Stationsleitung: „Die Zimmer an sich bedeuten für uns kein anderes Vorgehen. Wir führen die Patienten in die Nutzung der Zimmer ein und erläutern ihnen, welche Einschränkungen bzw. Möglichkeiten diese haben.“ Die Zimmer befinden sich auf einer internistischen Station, in den Umweltzimmern werden Patienten aller Fachrichtungen unserer Klinik versorgt.

Ist der Unterhalt bzw. die Reinigung der Zimmer aufwändiger?

Die Zimmer werden mit einem speziellen Reinigungsmittel geputzt, welches extra zusammengestellt werden muss. Dadurch entsteht ein zeitlicher und finanzieller Mehraufwand. Es fanden deshalb schon Gespräche mit Reinigungsmittelherstellern über die Entwicklung duftstofffreier Desinfektionsmittel statt.

Aufgrund der geringen Absatzmengen besteht jedoch von Herstellerseite kein Interesse.

Vielen Dank für das Gespräch!

Durchgeführte Maßnahmen und verwendete Materialien

  • zusätzliche Abtrennung zum Stationsbereich mit einem Vorflur (Schleusenbereich)
  • Ganzglastüren für WC und Flurbereiche sowie als Zimmertüren
  • Trockenbauwände und -decke mit Gipsfaserplatten (Fermacell greenline)
  • Wandheizung mit Gipsfaserplatten anstelle einer „normalen“ Heizung
  • Holz-Aluminium-Fenster mit Hanfdämmung
  • historischer Kalkputz und Kalkfarbe für emissionsarme Zimmer
  • Fliesen verklebt mit Biokleber und Fugenmörtel von Haga
  • Anschlussfugen mit 1-K Polysiloxan Dichtstoff
  • Beleuchtung: LED-Downlights
  • Feldfreischalter und abgeschirmte Elektroinstallation
  • Schadstoffmessung

Ausstattung der Zimmer

  • Alle 3 Betten sind vom Stromkreis abtrennbar
  • Hydraulik-Betten (sonstiger Standard: elektrische Betten)
  • Patiententisch und -schrank versiegelt (keine Ausdünstungen)
  • Extra Abluft im Vorraum nahe der Eingangstüre, gefilterte Zuluft (kein Aktivkohle-Filter)
  • Küchenzeile mit Kühlschrank aus Edelstahl für mitgebrachte Lebensmittel
  • Wasserkocher aus Glas
  • Wasserfilter in den Nasszellen
  • Pflegemittel für die Körperhygiene ohne Duftstoffe (gilt auch für das Personal)
  • Duftstofffreie Bettwäsche (Standard im Haus)
  • ausgewähltes und geschultes Team

Ihre Stimme zählt

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5 Kommentare

  1. Es war für mich ein Segen, dort operiert worden zu sein! Dieses Krankenzimmer war wirklich deutlich besser zu vertragen, als Zimmer in anderen Krankenhäusern. Man traut sich mit MCS leider ja kaum zum Arzt, es ist höchste Zeit für weitere Maßnahmen. Wenigstens Reinigung und Seifen sollten standardmäßig ohne Duftstoffe auskommen.

    Antworten
  2. Schön, dass ihr in den Kliniken gesundheitsfördernde Maßnahmen einbringen könnt.
    Meiner Erfahrung nach sind Allergien und Unverträglichkeiten direkt heilbar.
    Das demonstriere ich regelmäßig in offenen Seminaren. Ich bin auch gerne bereit, bei baubiologischen Veranstaltungen Heildemonstrationen zu geben. Ich freue mich auf Zusammenarbeit und Kontaktaufnahme.
    Herzliche Grüße aus Trostberg,
    Alice Seidl van Haren

    Antworten
  3. Vielen Dank an den Autor für diese konstruktive Aktion und den Bericht darüber.
    Könnten Sie vielleicht einen Modellbrief für Selbsthilfegruppen ins Netz stellen,
    wie Betroffene in ihren Kommunen die Verantwortlichen um vergleichbare Zimmer bitten könnten mit link zu diesem Artikel?
    Mit freundlichem Gruss
    Hanna Tlach, Dipl.-Psych., Sprecherin des AK Esmog im .BUND-Konstanz.de/nachhaltiges_Leben/Elektrosmog

    Antworten
    • Sehr geehrte Frau Tlach,
      vielen Dank für Ihren Kommentar. Einen Modellbrief halten wir nicht für zielführend, weil ja doch jeder Einzelfall anders liegt. Betroffene können – wie Sie schreiben – Verantwortliche auf diesen Artikel mit Link hinweisen (oder alternativ ein PDF erzeugen) und können sich bei Bedarf an unsere Baubiologische Beratungsstellen IBN (baubiologie-verzeichnis.de) wenden und/oder Verantwortliche bitten, bei der Planung/Ausstattung von Krankenhäusern bzw. Krankenhauszimmern Baubiologische Beratungsstellen IBN hinzuzuziehen.
      Unser Ziel: Aus “Krankenhäusern” sollen “Gesundheitshäuser” werden.
      Herzliche Grüße
      Ihr IBN-Team

      Antworten
  4. Für ein Akut-Krankenhaus ist dies das hier vorgestellte Krankenhauszimmer ein erfreulicher und progressiver Schritt. Den Hauptteil der Mehrkosten sehe ich im Bereich der hydraulischen Betten, der zusätzlichen Schleuse und der Küchenzeile verortet. Lässt man die Schleuse und die Küchenzeile weg und nutzt übliche elektrische Betten, die vom Stromkreis getrennt werden können, ist das Prinzip für alle Zimmer ohne wesentliche Mehrkosten umsetzbar und bildet gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal. Kalkputz ist für ein solches Zimmer empfehlenswert. Eine gesonderte Lüftung ist teuer, aber auch sinnvoll, da der Feuchteanfall in einem Patientenzimmer recht groß ist. Andererseits ist die Luftqualität über den Aktivkohlefilter zu hinterfragen. Alternativ ließe sich der notwendige Luftwechsel auch durch manuelle Lüftungskonzepte realisieren. Die Kunststoffflächen laden sich elektrostatisch auf. Die Anzahl der negativen Ionen wird gering sein, was die Entgiftung des Körpers behindern kann, was aber nachzumessen wäre … Begrüßenswert ist, dass Medikation, Reinigungs- und Desinfektionsmittel individuell angepasst werden. Die farbliche Gestaltung könnte deutlich ansprechender sein, wobei die sterile Wirkung durchaus beabsichtigt sein kann. Und: Hier müssen sich die Mitarbeiter Gedanken machen, was sie benutzen und wie sie den Patienten begegnen und sie behandeln. Da stellt sich mir die Frage, warum für andere (immungeschwächte) Patienten und für das Personal, das den Mitteln und Substanzen täglich ausgesetzt ist, das gut sein soll, was für MCS-Patienten und Allergiker eine gesundheitsgefährdende Belastung darstellt.

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Bilder: Hamburger Agaplesion Diakonieklinikum

Autor
Josef Frey

Josef

Frey

Dipl.-Ing. für Innenarchitektur, Baubiologe und Mitarbeiter im IBN

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