Was ist der SAR-Wert wert?
„Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht nass!“ Adäquat zu diesem alten Sprichwort wünschen sich viele Smartphone-Benutzer: „Lass‘ mich mobil im Internet surfen und telefonieren, aber strahl‘ mich nicht an!“. Und so, wie mancher Raucher meint, Filterzigaretten seien „gesünder“ als Zigaretten ohne Filter, glauben viele Smartphone-Besitzer, ein Gerät mit niedrigem SAR-Wert sei generell strahlungsärmer und daher unbedenklicher als eines mit hohem SAR-Wert. Dieser Glaube muss aber im Praxisgebrauch stark bezweifelt werden.
Wie stark strahlt ein Smartphone?
Mobilfunk-Endgeräte (Smartphones, Handys und in Zukunft immer mehr „smarte“ Geräte) kommunizieren mit einer Mobilfunk-Basisstation (z. B. Mobilfunkmast) als „Gegenüber“. Eine Aufgabe der Basisstation ist es, dem Smartphone während der Verbindung ständig mitzuteilen, wie stark es senden muss, so dass es von der Basisstation noch gut empfangen werden kann. Das an der Basisstation ankommende Smartphone-Signal darf natürlich nicht zu schwach sein, denn sonst reißt die Verbindung ab. Es soll aber auch nicht stärker sein als nötig, da sonst andere Kanäle gestört werden können. Daher sind die Smartphones leistungsgeregelt und senden nur so stark, wie es für die Aufrechterhaltung einer stabilen Verbindung erforderlich ist.
Verschlechtert sich die Qualität der Verbindung, weil sich ein Smartphone von der Basisstation weg bewegt oder die Dämpfung zwischen Basisstation und Smartphone steigt, weil der Gesprächsteilnehmer z. B. von der Straße in ein Gebäude mit größerer Hochfrequenzdämpfung geht, so teilt die Basisstation dem Smartphone sofort mit, wie viel stärker es senden muss, um die höhere Dämpfung wieder auszugleichen (s. Abb. 1 und 2 ).
1 und 2
Leistungsregelung von Mobilteilen – die Breite des Pfeils ist ein Maß für die Höhe der Strahlungsdichte
„Strahlungsarme“ Smartphones
Unterschiedliche Smartphone-Typen verursachen, bedingt durch ihre individuellen technischen Eigenschaften, unterschiedliche Strahlungsbelastungen des Benutzers. Nicht die gesamte abgestrahlte Sendeleistung wird nämlich für die Informationsübertragung zur Basisstation genutzt, ein Teil dieser Leistung wird auch vom Körper des Benutzers aufgenommen, insbesondere von seinem Kopf, da dieser i. d. R. dem Smartphone am nächsten ist. Wie groß dieser Anteil ist, hängt zum einen von der Höhe der Sendeleistung ab, zum anderen von gerätespezifischen Eigenschaften, wie insbesondere Art, Größe, Lage und Richtcharakteristik der Smartphone-Antenne.
Bei „strahlungsarmen“ Smartphones soll die vom Körper aufgenommene Sendeleistung möglichst klein sein bzw. bestimmten, im Folgenden dargelegten Kriterien genügen. Prinzipiell ist es sicherlich nicht falsch, nach einem möglichst „strahlungsarmen“ Smartphone Ausschau zu halten. Man sollte sich aber nicht in der falschen Sicherheit wiegen, mit einem solchen Smartphone sei die Hochfrequenzbelastung des Benutzers im praktischen Gebrauch ständig und wesentlich reduziert.
SAR und SAR-Wert
Wichtig für das Verständnis ist eine klare Unterscheidung zwischen SAR (tatsächliche Belastung des Benutzers durch die Smartphone-Strahlung im praktischen Einsatz, die je nach Verbindungsqualität zu Basisstation ständig schwankt) und SAR-Wert (fester theoretischer Laborwert), vgl. Infokasten.
SAR (Spezifische Absorptionsrate) ist ein Maß für die Absorption von elektromagnetischen Feldern in einem Material, also auch im menschlichen Körper. Sie führt stets zu dessen Erwärmung. Während der SAR-Wert ein theoretischer Laborwert bei maximaler Sendeleistung ist, gibt die SAR die tatsächliche (im praktischen Gebrauch laufend schwankende) Belastung eines Benutzers durch die Strahlung z. B. eines Smartphones an. Die absorbierte Leistung wird bezogen auf die Masse des Gewebes, das der Strahlung ausgesetzt ist. Die Maßeinheit der SAR ist daher Watt pro Kilogramm (W/kg).
Bei der Festlegung von Grenzwerten, die vor Gesundheitsschäden durch unzulässige Gewebeerwärmung schützen sollen, wird hinsichtlich der SAR zwischen Ganzkörper- und Teilkörperexposition unterschieden. Bei der Ganzkörperexposition ist die gesamte Körperoberfläche gleichmäßig der Hochfrequenzstrahlung ausgesetzt, dementsprechend wird der gesamte Körper erwärmt. Für den Fall der Ganzkörperexposition gilt in den Ländern der Europäischen Union und in vielen anderen Ländern als Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung eine SAR von 0,08 W/kg.
Ganzkörperexposition liegt vor, wenn die Entfernung zur Sendeantenne mindestens einige Körperlängen beträgt, wie es z. B. bei Immissionen von Mobilfunk-Basisstationen der Fall ist. Bei der Teilkörperexposition dagegen befindet sich die Sendeantenne so nahe am Körper, dass ein bestimmter Körperteil bevorzugt bestrahlt wird, beim Smartphone typischerweise der Kopf. In dem zugrundeliegenden thermischen Wirkmodell geht man davon aus, dass ein Teil der Wärmeenergie von dem am stärksten bestrahlten Körperteil in andere, „kühlere“ Bereiche abfließen kann. Daher ist die zulässige SAR für Teilkörperexposition mit 2 W/kg (gemittelt über 10 Gramm Körpergewebe) 25-mal so hoch wie für die Ganzkörperexposition.
Wenn zu Smartphones SAR-Werte angegeben werden, so müssen diese nach bestimmten Normen ermittelt werden. Die Vorgehensweisen zur Messung der SAR-Werte sind in den europäischen Normen EN 62209-1 (Anwendungsfall „Telefonieren mit dem Smartphone am Ohr“) und EN 62209-2 („Betrieb beim Tragen des Smartphones am Körper“) festgelegt. Danach ist der SAR-Wert bei maximaler Sendeleistung eines Gerätes zu ermitteln.
Bei den zu Smartphones angegebenen SAR-Werten handelt es sich also um Laborwerte unter bestimmten, definierten Bedingungen, um die verschiedenen Geräte unter genau diesen Bedingungen überhaupt quantifizierend miteinander vergleichen zu können. Eine entsprechende Liste des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) von SAR-Werten ist unter [1] zu finden.
Beim Einsatz in der täglichen Praxis herrschen aber i. d. R. völlig andere Bedingungen, welche die vom Körper absorbierte Leistung in höherem Maße beeinflussen können, als die Variationsbreite der SAR-Werte unterschiedlicher Smartphone-Modelle. Der gemäß den o.a. Normen im Labor ermittelte und zu den Geräten angegebene SAR-Wert ist daher eine Sache, die im Praxiseinsatz auftretende – und sich je nach Einsatzbedingungen ständig ändernde – tatsächliche SAR eine ganz andere.
Wie wird ein Smartphone „strahlungsarm“?
Um den SAR-Wert eines Smartphones zu reduzieren, gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten:
1. Verringerung der maximalen Sendeleistung. Mit der Verringerung der Sendeleistung geht aber natürlich auch eine unerwünschte Verringerung der Reichweite des Smartphones einher. 2. Möglichst effiziente Nutzung der abgestrahlten Leistung für die Verbindung zur Basisstation; wenig „Verschwendung“ von Sendeleistung zur überflüssigen und unerwünschten Erwärmung des Körpers.
„Strahlungsarme“ Smartphones, für die unter Laborbedingungen ein niedriger SAR-Wert ermittelt wird, können z. B. durch den Einsatz einer entsprechenden Richtantenne realisiert werden, deren Hauptstrahlrichtung zur – vom Kopf abgewandten – Rückseite des Smartphones weist. Wenn sich die Basisstation im praktischen Einsatzfall auch tatsächlich in dieser Richtung befindet, so kann das Smartphone mit relativ schwacher Leistung senden, und für den Benutzer ergibt sich auch eine niedrige tatsächliche SAR. Der Unterschied der Strahlungsdichten zwischen Vorder- und Rückseite (als Antennengewinn bezeichnet) kann durchaus bei einem Faktor 10 liegen.
Sinn und Unsinn des SAR-Wertes
Die von einem Smartphone in Richtung Basisstation erzeugte Strahlungsdichte ist unabhängig vom SAR-Wert des Smartphones und wird alleine von der Basisstation bestimmt, die dem Smartphone ständig mitteilt, wie stark es senden muss, um noch „verstanden“ zu werden. Maßgeblich hierfür sind insbesondere Entfernung und Dämpfung auf der Übertragungsstrecke.
Wenn die Basisstation sich im praktischen Gebrauch zufälligerweise tatsächlich in Richtung der Rückseite eines „strahlungsarmen“ Smartphones befindet, so wird der Kopf in der Tat weniger bestrahlt, als bei einem Smartphone mit höherem SAR-Wert, da er in dieser Konstellation außerhalb der Übertragungsstrecke Smartphone -> Basisstation liegt (Abb. 3 ).
Die Rückseite des Smartphones ist der Basisstation zugewandt -> Die tatsächliche SAR des Benutzers reduziert sich bei einem niedrigen SAR-Wert des Mobilteils.
Die Rückseite des Smartphones ist von der Basisstation abgewandt -> Die tatsächliche SAR des Benutzers ist unabhängig vom SAR-Wert des Mobilteils, die Exposition benachbarter Personen auf der Rückseite des Smartphones steigt bei einem niedrigen SAR-Wert.
„Strahlungsarmes“ Smartphone mit Richtwirkung (rückseitig)
Auswirkungen von Leistungsregelung und Richtwirkung der Smartphone-Antenne auf die tatsächliche SAR im Kopf des Benutzers:3
Die Rückseite des Smartphones ist der Basisstation zugewandt -> Die tatsächliche SAR des Benutzers reduziert sich bei einem niedrigen SAR-Wert des Mobilteils.4
Die Rückseite des Smartphones ist von der Basisstation abgewandt -> Die tatsächliche SAR des Benutzers ist unabhängig vom SAR-Wert des Mobilteils, die Exposition benachbarter Personen auf der Rückseite des Smartphones steigt bei einem niedrigen SAR-Wert.
Befindet sich die Basisstation aber auf der anderen Seite, so muss das Smartphone mit seiner „unempfindlicheren“ Seite „durch den Kopf“ bzw. „um den Kopf herum“ zur Basisstation „durchkommen“. Die Belastung des Kopfes ist in dieser Konstellation bei jedem Smartphone unabhängig vom SAR-Wert gleich groß, sei es nun „strahlungsarm“ oder nicht, da die Basisstation ja dem Smartphone mitteilt, wie stark es strahlen muss, um bei ihr noch „verständlich“ anzukommen (Abb. 4). Liegt der Kopf innerhalb der Übertragungsstrecke Smartphone -> Basisstation, so bringt ein niedriger SAR-Wert keinen Vorteil. Auf seiner Rückseite strahlt das Smartphone natürlich auch jetzt um den gleichen Richtwirkungs-Faktor stärker wie im ersten Fall, so dass in dieser Richtung befindliche Personen der näheren Umgebung („Passivtelefonierer“) sogar entsprechend stärker bestrahlt werden als bei einem Smartphone mit höherem SAR-Wert.
Um als Smartphone-Benutzer beim praktischen Gebrauch tatsächlich in den Genuss der Vorteile eines niedrigen SAR-Wertes zu kommen, müsste man 1. wissen, wo sich genau die Basisstation befindet, mit der das Smartphone gerade aktuell verbunden ist und 2. das Smartphone konsequent so halten, dass die Rückseite exakt in Richtung dieser Basisstation zeigt 3. und das bei mobilem Einsatz alles dynamisch während der Bewegung mit entsprechender Anpassung beim Handover (Wechsel zur nächsten Basisstation).
Es ist leicht einsichtig, dass dies völlig unpraktikabel ist. Der Nutzen eines niedrigen SAR-Wertes ist unter Praxisbedingungen in der Auswirkung auf die tatsächliche SAR also bei weitem nicht so entscheidend, wie die reinen Laborwerte glauben machen.
Die Aussagekraft des SAR-Wertes hinsichtlich der Eignung zur Beschreibung der tatsächlichen Strahlungsexposition wird auch in technischen Kreisen kritisiert. Denn Smartphones mit hoher Maximalleistung werden durch den SAR-Wert prinzipiell benachteiligt. Beispiel: Zwei vom Abstrahlverhalten her identische Smartphones mögen sich nur in ihrer maximal möglichen Sendeleistung unterscheiden: Das eine hat 1 Watt, das andere mit 0,5 Watt nur die Hälfte. Definitionsgemäß ist der SAR-Wert des leistungsstärkeren Gerätes doppelt so hoch wie der des leistungsschwächeren.
Im praktischen Einsatz allerdings unterscheiden sich die beiden Geräte hinsichtlich der tatsächlichen SAR beim Benutzer nicht, soweit die höhere Leistung zwischen 0,5 und 1 Watt gar nicht gefordert wird.
Um diese Nachteile des SAR-Wertes zu vermeiden und eine realistischere Beschreibung der Belastung bei der Smartphone-Nutzung zu ermöglichen, wurden zwei andere, weniger bekannte Messgrößen geschaffen, nämlich:
1. „ connect-Strahlungsfaktor“, der von der Fachzeitschrift „connect“ vorgeschlagen wird [2]. Er berücksichtigt die Maximalleistung des Smartphones dadurch, dass der SAR-Wert auf eben diese Maximalleistung bezogen wird:
Von „connect“ wurden für eine Vielzahl von Smartphones die Strahlungsfaktoren gemessen und veröffentlicht [3]. Hierbei zeigte sich häufig, dass niedrige SAR-Werte nicht unbedingt auch kleinen Strahlungsfaktoren entsprechen und umgekehrt. Der connect-Strahlungsfaktor erlaubt also eine differenziertere, praxisrelevantere Bewertung als der SAR-Wert.
2. „TCP-Wert” (Telephone Communication Power) der TCO; dieser Wert gibt an, wie viel der Leistung tatsächlich zur Kommunikation per Funk genutzt und nicht z. B. im Kopf des Smartphone-Benutzers absorbiert wird. Günstig ist daher ein hoher TCP-Wert.
Ihre Stimme zählt
Kommentarregeln:
Wir sind neugierig, was Sie zu sagen haben. Hier ist Raum für Ihre Meinung, Erfahrung, Stellungnahme oder ergänzende Informationen. Bitte beachten Sie bei Ihrem Kommentar folgende Regeln:
- Bitte keine Fragen: Auf dieser kostenlosen Informationsplattform können wir keine Fragen beantworten - bitte stellen Sie Ihre Fragen direkt an unsere Autor*innenAutor*innen.
- Bitte keine Werbung: Gerne können Sie auf Ihre Produkte/Dienstleistungen mit einem Werbebanner aufmerksam machen.
Wie werde ich
Baubiolog*in IBN?
How to become a Building Biology Consultant IBN?
Nachhaltig weiterbilden
Know-how, Zusatzqualifikationen und neue berufliche Möglichkeiten für Baufachleute sowie alle, die sich für gesundes, nachhaltiges Bauen und Wohnen interessieren.
Unser Kompetenz-Netzwerk
Hier finden Sie unsere qualifizierten Baubiologischen Beratungsstellen und Kontakte im In- und Ausland nach Standort und Themen sortiert.
Über die Baubiologie
Die Baubiologie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Menschen und ihrer gebauten Umwelt. Wie wirken sich Gebäude, Baustoffe und Architektur auf Mensch und Natur aus? Dabei werden ganzheitlich gesundheitliche, nachhaltige und gestalterische Aspekte betrachtet.
25 Leitlinien
Für einen schnellen, aufschlussreichen Überblick haben wir in 25 Leitlinien der Baubiologie die wichtigsten Parameter herausgearbeitet, sortiert und zusammengefasst. In 15 Sprachen, als PDF oder als Plakat erhältlich.
0 Kommentare