Baubiologie, Umwelt- und Klimaschutz

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Endlich geht ein Ruck durch die globale Gesellschaft. Alle Welt redet von Umwelt- und Klimaschutz, ganz besonders die Jugend. Dabei geht es aber fast immer um Energie, Industrie, Verkehr oder Nahrungsmittel, aber selten um den Bausektor. Ist hier also alles in Ordnung? Bauen und Wohnen wir bereits nachhaltig? Leider ganz und gar nicht.

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Das Institut fรผr Baubiologie + Nachhaltigkeit IBN ist Herausgeber des Baubiologie Magazins.

Fรผr das Bauen und Wohnen wird mit wachsender Tendenz nicht nur rund ein Drittel des Gesamtenergieverbrauchs benรถtigt, sondern es werden zudem auch unfassbar groรŸe Mengen gesundheits- und umweltschรคdlicher Materialien verbraucht. Dabei bietet die Baubiologie seit rund 40 Jahren zukunftsfรคhige Konzepte. Um dafรผr mehr Menschen und Umweltinitiativen zu รผberzeugen, haben wir einige aktuelle Fakten und Zahlen zusammengetragen:

Der Bausektor boomt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Meist wird billig, schnell und hoch gebaut, um die Rendite zu maximieren. Aufgrund der Vorgaben der modernen Architektur nach groรŸen Fensterformaten und offenen Grundrissen wird immer รถfter mit Beton gebaut, die Immobilienbranche selbst beschreibt dies sรผffisant als โ€žBetongold schรผrfenโ€œ.

Bauen mit Beton ist jedoch energie- und ressourcenaufwรคndig. So werden allein ca. 8 % des jรคhrlichen CO2-AusstoรŸes durch die Zementindustrie verursacht (Grafik 1).[1] Wobei laut Entwicklungsรถkonom Dirk Messner allein China zwischen 2008 und 2010 mehr Zement verbaut hat, als die USA seit Beginn der industriellen Revolution – in nur drei Jahren! [2]

Grafik 1 Jรคhrlicher weltweiter CO2-AusstoรŸ aufgrund von Zementherstellung (1925-2000) [1]

Neben Zement sind Sand und Kies wesentliche Bestandteile von Beton und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Nachfrage danach in den letzten 20 Jahren verdreifacht hat. Mit 40 bis 50 Milliarden Tonnen im Jahr ist Sand gemessen am Volumen nach Wasser der grรถรŸte gehandelte Rohstoff der Welt.[3] Dabei liegt ein GroรŸteil der Sand-, Kies- und Natursteinvorkommen unter Stรคdten, Verkehrswegen, Naturschutzgebieten und landwirtschaftlichen Flรคchen und ist deshalb faktisch nicht nutzbar. Infolgedessen wird der schwere Kies und Sand energieaufwรคndig รผber weite Strecken transportiert.[4]

Hรคufig wird Stahlbeton verbaut, ein Verbundwerkstoff aus Beton und Stahl. Neben Zement wird auch fรผr Stahl sehr viel Energie fรผr Abbau, Herstellung und Transport benรถtigt. Fรผr Stahlbeton kann sich der Aufwand fรผr graue Energie gegenรผber unbewehrtem Beton verdoppeln.[5]

Kein Wunder also, dass der Wirtschaftsbereich Bauwesen ca. 18,3 % des Rohstoffkonsums der gesamten deutschen Wirtschaft verschlingt (Grafik 2). Betrachtet man den Rohstoffkonsum von Privathaushalten nรคher, so sieht man, dass 32 % allein fรผr das Wohnen verbraucht werden (Grafik 3). Hier ist neben dem Verbrauch fรผr die Erstellung der Gebรคude auch deren Unterhalt und Energieverbrauch v.a. fรผr Heizen, Kรผhlen und Strom mit eingerechnet.[6]

Grafik 2 Anteile der Wirtschaftsbereiche am Rohstoffkonsum der Endnachfrage in Deutschland nach Rohstoffgruppen, 2014 [6]

Grafik 3 Privater und รถffentlicher Rohstoffkonsum in Deutschland nach Konsumbereichen, 2014 [6]

Bereits im Jahr 2010 waren 32 % des weltweiten Endenergieverbrauchs und 19 % aller Treibhausgasemissionen auf Gebรคude zurรผckzufรผhren. Szenarien prognostizieren, dass sich die weltweit durch Gebรคude verbrauchte Energie bis 2050 verdoppelt oder gar verdreifacht, unter anderem, weil Milliarden Menschen Zugang zu Elektrizitรคt und zu Wohnraum, wie ihn die meisten Menschen z.B. in Europa bereits haben, erhalten werden.[7]

Grafik 4 2010 verursachten Gebรคude 32 % des weltweiten Endenergieverbrauchs [8]

Grafik 5 19 % aller Treibhausgasemissionen waren auf Gebรคude zurรผckzufรผhren [8]

Grafik 6ย Bis 2050 kรถnnten sich die CO2-Emissionen des Gebรคudesektors verdoppeln oder verdreifachen [8]

Mit dem Anstieg des Lebensstandards steigt auch der CO2-Verbrauch. Dies wird deutlich im internationalen Vergleich der jรคhrlichen Pro-Kopf-CO2-Emisionen. Der globale Durchschnitt liegt bei 4,8 Tonnen CO2 pro Kopf, in Deutschland ist er mit 9,6 Tonnen etwa doppelt so hoch und in Nordamerika mit knapp 16 Tonnen mehr als dreimal so hoch (Grafik 7).[9]

Grafik 7 Die jรคhrlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen Deutschlands waren 2018 mit rund 9,6 Tonnen ungefรคhr doppelt so hoch wie der internationale Durchschnitt [9]

Aber nicht nur der FuรŸabdruck wird grรถรŸer, auch der Wohnflรคchenverbrauch. So ist in Deutschland von 1950 bis 2018 die durchschnittliche Wohnflรคche von ca. 14 m2 auf stolze 46,7 mยฒ pro Person gestiegen! (Grafik 8).[10] Und dies trotz steigender Mieten! Im Vergleich hierzu liegt der Durchschnitt in Indien bei ca. 9 m2 pro Person.[11]

Grafik 8 Wohnflรคche in m2 je Einwohner in Deutschland 1950 – 2018 [10]

Die Baubranche verursacht jede Menge Abfall, z.B. durch Gebรคudeabbrรผche, Produktverpackungen oder Materialverschnitte. Im Jahr 2017 hat die Bau- und Abbruchbranche in Deutschland ca. 53 %, also etwas mehr als die Hรคlfte des gesamten Abfalls verursacht. Insgesamt kamen so ca. 220 Millionen Tonnen zusammen (Grafik 9).[12]

Grafik 9 Die Bau- und Abbruchbranche hat 2017 mehr als die Hรคlfte des Abfalls in Deutschland verursacht. Insgesamt kamen ca. 220 Millionen Tonnen zusammen. [12]

Dรผstere Aussichten: Die Lebenshaltungsansprรผche weltweit steigen und mit ihnen der Hunger nach Rohstoffen und Energie. Der Bausektor macht da keine Ausnahme und trรคgt einen wesentlichen Teil dazu bei. Ein wenig Hoffnung macht hier die Aussage des IPCC-Berichts: โ€žDer Bau- und Gebรคudesektor besitzt weltweit gesehen das grรถรŸte Potenzial zur Emissionsminderungโ€œ (Grafik 10). [13]

Grafik 10 Der Bausektor besitzt weltweit gesehen das grรถรŸte Emissionseinsparpotenzial [13]

Zu den beschriebenen Fakten und Zahlen kommen viele weitere Probleme hinzu, deren รถkologische, รถkonomische, soziale und gesundheitliche Folgen sich kaum bewerten lassen, nรคmlich fรผr Mensch, Fauna und Flora giftige Substanzen in vielen Baustoffen, Inneneinrichtungen und Mรถbeln, wie z.B. Schwermetalle, Aldehyde, Lรถsemittel, Weichmacher, Pestizide, Feinstรคube oder Nanopartikel, um nur einige zu nennen. Und das, obwohl es umweltvertrรคgliche Alternativen wie Produkte aus nachwachsenden oder mineralischen Rohstoffen gรคbe.

Energieeinsparung und Energieeffizienz sind die Schlรผsselwรถrter, die bereits รผber die EnEV und das neue Gebรคude-Energie-Gesetz auf den Bausektor wirken. Auch der aktuell debattierte รœbergang zu einer Kreislaufwirtschaft sowie die โ€žrichtigeโ€œ Baustoffauswahl stellen hier entscheidende Schritte zur Problemlรถsung dar. Die Baubranche muss lernen, nicht mehr nur die einzelnen Materialkennwerte und Eigenschaften der Produkte am Bau zu betrachten, sondern die ganzheitlichen Zusammenhรคnge mit einzubeziehen. Der gesamte Lebenszyklus von der Herstellung und Transport der Rohstoffe รผber den Einbau und Gebrauch bis zum Rรผckbau, die gesamten Auswirkungen von der Energieeffizienz bis hin zu gesundheitlichen Aspekten mรผssen betrachtet werden.

Damit dies funktioniert, wird es faire Rahmenbedingungen sowie Regelwerke und Vorgaben durch die Gesetzgeber brauchen. Alternativ kรถnnen wir auch an den gesunden Menschenverstand appellieren, wie es der IPCC-Bericht macht: โ€žร„nderungen des Lebensstils und der Verhaltensmuster kรถnnen รผber alle Sektoren hinweg zum Klimaschutz beitragen. Managementpraktiken kรถnnen ebenfalls eine positive Rolle spielen.โ€œ

Das IBN hat in den letzten gut 40 Jahren tausende Baubiolog*innen IBN ausgebildet. Sie stehen bereit fรผr Beratungs-, Planungs-, Bau- und Sanierungsaufgaben. Die dabei angewendete ganzheitliche Vorgehensweise wird von der Bauwirtschaft hรคufig als stรถrend empfunden. Die Zeche dafรผr zahlen aber nicht nur die Bewohner*innen, sondern letztendlich alle Menschen, denn Klimaerwรคrmung, Umweltprobleme und Krankheiten sind unmittelbare Folgen dieses Handelns. Bleibt zu hoffen, dass die Baubiologie nun โ€“ gestรคrkt durch die neuen Jugendbewegungen und Umweltinitiativen โ€“ ihren Stellenwert bekommt, den sie verdient. Ihr Ziel ist es, dass im Bauwesen die Berรผcksichtigung baubiologischer Kriterien (siehe 25 Leitlinien der Baubiologie) selbstverstรคndlich ist.

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4 Kommentare

  1. Vielen Dank fรผr diesen tollen Artikel! Zum Klimanotstand gibt es einen weiteren Lรถsungsbaustein: Die Baubiologie! Ich hoffe, dass hier nun endlich die Aufmerksamkeit der Baubiologie zukommt, die sie verdient hat. Gesundheit und Nachhaltigkeit im Einklang โ€“ besser geht es nicht ๐Ÿ™‚

    Christine Ehm
    Baubiologische Beratungsstelle IBN
    http://www.bau-und-biologie.de

    Antworten
  2. Danke fรผr diesen informativen Beitrag mit der Kernbotschaft, dass wir alle mit mehr Wissen Entscheidungen fรผr die Zukunft treffen kรถnnen. Andere darรผber informieren und bei jeder Gelegenheit das Samenkorn des Themas zu legen, um schon bei einer Bauprojektplanung beim Bauherrn das Bewusstsein fรผr Gesundheit und Nachhaltigkeit zu schaffen.
    Immer wieder erlebe ich dass auch aus Unkenntnis der einfache Weg gegangen wird. Nach einem Gesprรคch kommt dann auch die Entscheidung selbst aktiv zu werden und mehr in die Baustoffauswahl zu investieren um einen Beitrag fรผr die Zukunft unserer Kinder und der Allgemeinheit zu leisten . Letztendlich ist mit dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft ein guter Ansatz da.

    Antworten
  3. Vielen Dank fรผr diesen hervorragend recherchierten und aufrรผttelnden Beitrag!
    Baubiolog*innen, setzt euch politisch dafรผr ein, dass Nachhaltigkeitsaspekte im Sinne baubiologischer Ganzheitlichkeit fester Bestandteil in Normen, Verordnungen und Ausschreibungen werden. Auf regionaler, nationaler und europรคischer Ebene. Man mag es fรผr ein mรผhevolles, gar aussichtsloses Unterfangen halten. Doch steter Tropfen hรถhlt den Steinโ€ฆ ๐Ÿ™‚

    Antworten

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